Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

voller Geschmacksbildung danken. Ueber der großen gelehrten Arbeit wird
nunmehr der Journalist karg werden müssen; das ist diesem Blatte eine
unwillkommene Nothwendigkeit; den Lesern aber wird aus der Verbindung
der freundlichen Sitten des Publicisten mit den strengeren des Forschers, wie
sie die BeHandlungsweise der bedeutenderen Artikel des Meyer'schen Künstler-
lexicons bietet, der schöne Ton jenes alten Verhältnisses oft wieder anklingen.
Denn das neue Werk entspricht auch den an den wissenschaftlichen Lehrstil
zu richtenden Geschmacksanforderungen, als deren Meister wir Otto Jahr
verehren, so weit als es die Rücksicht auf Knappheit und Uebersichtlichkeit
nur irgend zuläßt. --




Reisebilder aus Galizien.
5." Czernowitz und die^Bukowina.

Zwölf Eisenbahnstunden südöstlich von Lemberg liegt Czernowitz, die
Hauptstadt der im Jahre 1849 zu einem selbständigen Kronlande erhobenen
Bukowina. Den Reisenden, der diesen durch Sümpfe und Niederungen füh¬
renden Weg nimmt, geleitet (einige kurze Strecken abgerechnet), die Karpathen-
kette, deren reine Conturen sich lockend am östlichen Horizont zeigen; hie
und da springt auch im Westen ein Höhenzug der Ausläufer hervor, welche
das herrliche Gebirge in die Niederung sendet, die zu seinen Füßen liegt. Die
ruthenische Physiognomie des Landes tritt auf dieser Strecke noch schärfer hervor,
als auf dem Wege von Przemysl nach Lemberg. Weitaus die Mehrzahl der
Kirchthürme steigt holzgefügt aus strohernen Dach hervor und verräth durch
diesen bescheidenen Ursprung wie durch die Zwiebelform, ruthenische Her¬
kunft. Nur wo man in die Nähe von Städten kommt oder wo steingemauerte
Herrenhöfe sichtbar werden, erinnert man sich daran, auf einem Boden zu stehen,
den das Polenthum in Anspruch nimmt. So unbedeutend und unschön diese
Städte auch sind, sie verleugnen nicht, daß in ihnen "Lateiner" herrschen;
namentlich Stanislawo, die stattlichste der an der Bahnlinie liegenden Ort¬
schaften, trägt einen ausgesprochen abendländischen Typus; über die Mauern
sehen stattliche Thürme hervor und der Schall der Glocken belehrt den Fremden
darüber, daß hier lateinisch celebrirt und gebetet wird. -- Soviel sich den
schneebedeckten, zuweilen auch von Herbstwassern überschwemmten Ebenen ab¬
sehen läßt , sind dieselben von einer Fruchtbarkeit, die zu der liederlichen, irratio¬
neller Wirthschaft der Bewohner in scharfem Contrast steht; je weiter es nach
Süden geht, desto üppiger wird, was von der Vegetation und dem Graswuchs
des Sommers noch zu sehen ist und mein Nachbar der Handelsmann, der immer


voller Geschmacksbildung danken. Ueber der großen gelehrten Arbeit wird
nunmehr der Journalist karg werden müssen; das ist diesem Blatte eine
unwillkommene Nothwendigkeit; den Lesern aber wird aus der Verbindung
der freundlichen Sitten des Publicisten mit den strengeren des Forschers, wie
sie die BeHandlungsweise der bedeutenderen Artikel des Meyer'schen Künstler-
lexicons bietet, der schöne Ton jenes alten Verhältnisses oft wieder anklingen.
Denn das neue Werk entspricht auch den an den wissenschaftlichen Lehrstil
zu richtenden Geschmacksanforderungen, als deren Meister wir Otto Jahr
verehren, so weit als es die Rücksicht auf Knappheit und Uebersichtlichkeit
nur irgend zuläßt. —




Reisebilder aus Galizien.
5." Czernowitz und die^Bukowina.

Zwölf Eisenbahnstunden südöstlich von Lemberg liegt Czernowitz, die
Hauptstadt der im Jahre 1849 zu einem selbständigen Kronlande erhobenen
Bukowina. Den Reisenden, der diesen durch Sümpfe und Niederungen füh¬
renden Weg nimmt, geleitet (einige kurze Strecken abgerechnet), die Karpathen-
kette, deren reine Conturen sich lockend am östlichen Horizont zeigen; hie
und da springt auch im Westen ein Höhenzug der Ausläufer hervor, welche
das herrliche Gebirge in die Niederung sendet, die zu seinen Füßen liegt. Die
ruthenische Physiognomie des Landes tritt auf dieser Strecke noch schärfer hervor,
als auf dem Wege von Przemysl nach Lemberg. Weitaus die Mehrzahl der
Kirchthürme steigt holzgefügt aus strohernen Dach hervor und verräth durch
diesen bescheidenen Ursprung wie durch die Zwiebelform, ruthenische Her¬
kunft. Nur wo man in die Nähe von Städten kommt oder wo steingemauerte
Herrenhöfe sichtbar werden, erinnert man sich daran, auf einem Boden zu stehen,
den das Polenthum in Anspruch nimmt. So unbedeutend und unschön diese
Städte auch sind, sie verleugnen nicht, daß in ihnen „Lateiner" herrschen;
namentlich Stanislawo, die stattlichste der an der Bahnlinie liegenden Ort¬
schaften, trägt einen ausgesprochen abendländischen Typus; über die Mauern
sehen stattliche Thürme hervor und der Schall der Glocken belehrt den Fremden
darüber, daß hier lateinisch celebrirt und gebetet wird. — Soviel sich den
schneebedeckten, zuweilen auch von Herbstwassern überschwemmten Ebenen ab¬
sehen läßt , sind dieselben von einer Fruchtbarkeit, die zu der liederlichen, irratio¬
neller Wirthschaft der Bewohner in scharfem Contrast steht; je weiter es nach
Süden geht, desto üppiger wird, was von der Vegetation und dem Graswuchs
des Sommers noch zu sehen ist und mein Nachbar der Handelsmann, der immer


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0474" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123562"/>
          <p xml:id="ID_1339" prev="#ID_1338"> voller Geschmacksbildung danken. Ueber der großen gelehrten Arbeit wird<lb/>
nunmehr der Journalist karg werden müssen; das ist diesem Blatte eine<lb/>
unwillkommene Nothwendigkeit; den Lesern aber wird aus der Verbindung<lb/>
der freundlichen Sitten des Publicisten mit den strengeren des Forschers, wie<lb/>
sie die BeHandlungsweise der bedeutenderen Artikel des Meyer'schen Künstler-<lb/>
lexicons bietet, der schöne Ton jenes alten Verhältnisses oft wieder anklingen.<lb/>
Denn das neue Werk entspricht auch den an den wissenschaftlichen Lehrstil<lb/>
zu richtenden Geschmacksanforderungen, als deren Meister wir Otto Jahr<lb/>
verehren, so weit als es die Rücksicht auf Knappheit und Uebersichtlichkeit<lb/>
nur irgend zuläßt. &#x2014;</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Reisebilder aus Galizien.</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> 5." Czernowitz und die^Bukowina.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1340" next="#ID_1341"> Zwölf Eisenbahnstunden südöstlich von Lemberg liegt Czernowitz, die<lb/>
Hauptstadt der im Jahre 1849 zu einem selbständigen Kronlande erhobenen<lb/>
Bukowina. Den Reisenden, der diesen durch Sümpfe und Niederungen füh¬<lb/>
renden Weg nimmt, geleitet (einige kurze Strecken abgerechnet), die Karpathen-<lb/>
kette, deren reine Conturen sich lockend am östlichen Horizont zeigen; hie<lb/>
und da springt auch im Westen ein Höhenzug der Ausläufer hervor, welche<lb/>
das herrliche Gebirge in die Niederung sendet, die zu seinen Füßen liegt. Die<lb/>
ruthenische Physiognomie des Landes tritt auf dieser Strecke noch schärfer hervor,<lb/>
als auf dem Wege von Przemysl nach Lemberg. Weitaus die Mehrzahl der<lb/>
Kirchthürme steigt holzgefügt aus strohernen Dach hervor und verräth durch<lb/>
diesen bescheidenen Ursprung wie durch die Zwiebelform, ruthenische Her¬<lb/>
kunft. Nur wo man in die Nähe von Städten kommt oder wo steingemauerte<lb/>
Herrenhöfe sichtbar werden, erinnert man sich daran, auf einem Boden zu stehen,<lb/>
den das Polenthum in Anspruch nimmt. So unbedeutend und unschön diese<lb/>
Städte auch sind, sie verleugnen nicht, daß in ihnen &#x201E;Lateiner" herrschen;<lb/>
namentlich Stanislawo, die stattlichste der an der Bahnlinie liegenden Ort¬<lb/>
schaften, trägt einen ausgesprochen abendländischen Typus; über die Mauern<lb/>
sehen stattliche Thürme hervor und der Schall der Glocken belehrt den Fremden<lb/>
darüber, daß hier lateinisch celebrirt und gebetet wird. &#x2014; Soviel sich den<lb/>
schneebedeckten, zuweilen auch von Herbstwassern überschwemmten Ebenen ab¬<lb/>
sehen läßt , sind dieselben von einer Fruchtbarkeit, die zu der liederlichen, irratio¬<lb/>
neller Wirthschaft der Bewohner in scharfem Contrast steht; je weiter es nach<lb/>
Süden geht, desto üppiger wird, was von der Vegetation und dem Graswuchs<lb/>
des Sommers noch zu sehen ist und mein Nachbar der Handelsmann, der immer</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0474] voller Geschmacksbildung danken. Ueber der großen gelehrten Arbeit wird nunmehr der Journalist karg werden müssen; das ist diesem Blatte eine unwillkommene Nothwendigkeit; den Lesern aber wird aus der Verbindung der freundlichen Sitten des Publicisten mit den strengeren des Forschers, wie sie die BeHandlungsweise der bedeutenderen Artikel des Meyer'schen Künstler- lexicons bietet, der schöne Ton jenes alten Verhältnisses oft wieder anklingen. Denn das neue Werk entspricht auch den an den wissenschaftlichen Lehrstil zu richtenden Geschmacksanforderungen, als deren Meister wir Otto Jahr verehren, so weit als es die Rücksicht auf Knappheit und Uebersichtlichkeit nur irgend zuläßt. — Reisebilder aus Galizien. 5." Czernowitz und die^Bukowina. Zwölf Eisenbahnstunden südöstlich von Lemberg liegt Czernowitz, die Hauptstadt der im Jahre 1849 zu einem selbständigen Kronlande erhobenen Bukowina. Den Reisenden, der diesen durch Sümpfe und Niederungen füh¬ renden Weg nimmt, geleitet (einige kurze Strecken abgerechnet), die Karpathen- kette, deren reine Conturen sich lockend am östlichen Horizont zeigen; hie und da springt auch im Westen ein Höhenzug der Ausläufer hervor, welche das herrliche Gebirge in die Niederung sendet, die zu seinen Füßen liegt. Die ruthenische Physiognomie des Landes tritt auf dieser Strecke noch schärfer hervor, als auf dem Wege von Przemysl nach Lemberg. Weitaus die Mehrzahl der Kirchthürme steigt holzgefügt aus strohernen Dach hervor und verräth durch diesen bescheidenen Ursprung wie durch die Zwiebelform, ruthenische Her¬ kunft. Nur wo man in die Nähe von Städten kommt oder wo steingemauerte Herrenhöfe sichtbar werden, erinnert man sich daran, auf einem Boden zu stehen, den das Polenthum in Anspruch nimmt. So unbedeutend und unschön diese Städte auch sind, sie verleugnen nicht, daß in ihnen „Lateiner" herrschen; namentlich Stanislawo, die stattlichste der an der Bahnlinie liegenden Ort¬ schaften, trägt einen ausgesprochen abendländischen Typus; über die Mauern sehen stattliche Thürme hervor und der Schall der Glocken belehrt den Fremden darüber, daß hier lateinisch celebrirt und gebetet wird. — Soviel sich den schneebedeckten, zuweilen auch von Herbstwassern überschwemmten Ebenen ab¬ sehen läßt , sind dieselben von einer Fruchtbarkeit, die zu der liederlichen, irratio¬ neller Wirthschaft der Bewohner in scharfem Contrast steht; je weiter es nach Süden geht, desto üppiger wird, was von der Vegetation und dem Graswuchs des Sommers noch zu sehen ist und mein Nachbar der Handelsmann, der immer

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/474
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/474>, abgerufen am 29.06.2024.