Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.die beruhigende Versicherung: der Versuch der Annäherung sei gar nicht ernst Ein würdiges Seitenstück zu dem polnischen und dem czechischen Capitel So verhandelt die Reichsvertretung seit November ohne das geringste Daß die deutsch-östreichische Fortschrittspartei täglich neue Niederlagen die beruhigende Versicherung: der Versuch der Annäherung sei gar nicht ernst Ein würdiges Seitenstück zu dem polnischen und dem czechischen Capitel So verhandelt die Reichsvertretung seit November ohne das geringste Daß die deutsch-östreichische Fortschrittspartei täglich neue Niederlagen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0464" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123552"/> <p xml:id="ID_1312" prev="#ID_1311"> die beruhigende Versicherung: der Versuch der Annäherung sei gar nicht ernst<lb/> gemeint, die Czechen sollten einfach s>ä absuräum geführt werden. Was nicht<lb/> ausbleiben konnte, geschah. Rieger und Sladkowsky lehnten höflich ab, zu zweck¬<lb/> losen Verhandlungen nach Wien zu kommen. Politisch klüger wäre es viel¬<lb/> leicht gewesen, wenn die Herren die Reise nicht gescheut und ihrerseits die<lb/> Minister durch die Frage, was den Czechen denn geboten werde, in die pein¬<lb/> lichste Verlegenheit versetzt hätten; aber für ernsthafte Leute wäre es doch eine<lb/> harte Zumuthung gewesen, in einer solchen Comödie mitzuspielen, deren<lb/> Pointe im voraus verrathen war. Und wenn nun die Regierungspresse<lb/> triumphirt: Ihr seht, daß mit den Czechen auf keinen guten Fuß zu kommen<lb/> ist, sie wollen nicht einmal unterhandeln! so tönt aus den unabhängigen<lb/> Blättern aller Zungen das Echo zurück: nur mit Euch wollen sie nicht unter¬<lb/> handeln.</p><lb/> <p xml:id="ID_1313"> Ein würdiges Seitenstück zu dem polnischen und dem czechischen Capitel<lb/> bildet die Behandlung der Frage des Dalmatiner Aufstandes. Nachdem der<lb/> Versuch, alle Schuld dem ausgeschiedenen Minister Taaffe „aufzupelzen",<lb/> gründlich gescheitert ist, wird die Angelegenheit durch jede neue „Aufklärung"<lb/> nur noch mehr verdunkelt und das Ergebniß wird augenscheinlich sein, daß<lb/> Niemand schuldtrage an den beklagenswerthen Ereignissen und der beinahe<lb/> noch beklagenswertheren Art der Beilegung des Conflicts. Die Bevölkerung<lb/> weiß, was sie davon zu denken hat und wird sich kaum wundern, falls mit<lb/> dem Schmelzen des Schnees der zweite Act des Dramas beginnen und —<lb/> die Scenerie unverändert finden sollte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1314"> So verhandelt die Reichsvertretung seit November ohne das geringste<lb/> vor sich gebracht zu haben als ein neues Erwerbsteuergesetz, über dessen Un¬<lb/> gerechtigkeit und Unausführbarkeit nur eine Stimme ist — außerhalb des<lb/> Abgeordnetenhauses. Gewiß hat Mancher nur dem Ftnanzminister zuliebe<lb/> gegen die eigene bessere Ueberzeugung gestimmt. An Brestel's ehrlichem<lb/> Willen ist auch gar nicht zu zweifeln; bei so verwickelten Finanzverhältnissen<lb/> wie die unseligen reicht man aber mit der Devise Ordnung und Sparsam¬<lb/> keit allein nicht aus. Der geschworene Feind der Bureaukratie ist dahin ge¬<lb/> kommen, das allerbureaukratischste System, die EinHebung der Steuer vom<lb/> Arbeiter durch den Arbeitgeber, einzuführen — als ob die Hände in einer<lb/> Fabrik constant wären wie die Beamten in einem Staatsbureau! und<lb/> der Apostel der Sparsamkeit besteuert die Consum- und Sparvereine der<lb/> Mittellosen. Es ist traurig, den braven Mann sich so verirren zu sehen, und<lb/> tragisch kann man es nennen, daß gerade Brestel am meisten dazu bettragen<lb/> muß, die Regierung, welcher er angehört, unpopulär zu machen. Denn welche<lb/> Stürme sein Einkommensteuergesetz erregen wird, läßt sich leicht voraussehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1315" next="#ID_1316"> Daß die deutsch-östreichische Fortschrittspartei täglich neue Niederlagen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0464]
die beruhigende Versicherung: der Versuch der Annäherung sei gar nicht ernst
gemeint, die Czechen sollten einfach s>ä absuräum geführt werden. Was nicht
ausbleiben konnte, geschah. Rieger und Sladkowsky lehnten höflich ab, zu zweck¬
losen Verhandlungen nach Wien zu kommen. Politisch klüger wäre es viel¬
leicht gewesen, wenn die Herren die Reise nicht gescheut und ihrerseits die
Minister durch die Frage, was den Czechen denn geboten werde, in die pein¬
lichste Verlegenheit versetzt hätten; aber für ernsthafte Leute wäre es doch eine
harte Zumuthung gewesen, in einer solchen Comödie mitzuspielen, deren
Pointe im voraus verrathen war. Und wenn nun die Regierungspresse
triumphirt: Ihr seht, daß mit den Czechen auf keinen guten Fuß zu kommen
ist, sie wollen nicht einmal unterhandeln! so tönt aus den unabhängigen
Blättern aller Zungen das Echo zurück: nur mit Euch wollen sie nicht unter¬
handeln.
Ein würdiges Seitenstück zu dem polnischen und dem czechischen Capitel
bildet die Behandlung der Frage des Dalmatiner Aufstandes. Nachdem der
Versuch, alle Schuld dem ausgeschiedenen Minister Taaffe „aufzupelzen",
gründlich gescheitert ist, wird die Angelegenheit durch jede neue „Aufklärung"
nur noch mehr verdunkelt und das Ergebniß wird augenscheinlich sein, daß
Niemand schuldtrage an den beklagenswerthen Ereignissen und der beinahe
noch beklagenswertheren Art der Beilegung des Conflicts. Die Bevölkerung
weiß, was sie davon zu denken hat und wird sich kaum wundern, falls mit
dem Schmelzen des Schnees der zweite Act des Dramas beginnen und —
die Scenerie unverändert finden sollte.
So verhandelt die Reichsvertretung seit November ohne das geringste
vor sich gebracht zu haben als ein neues Erwerbsteuergesetz, über dessen Un¬
gerechtigkeit und Unausführbarkeit nur eine Stimme ist — außerhalb des
Abgeordnetenhauses. Gewiß hat Mancher nur dem Ftnanzminister zuliebe
gegen die eigene bessere Ueberzeugung gestimmt. An Brestel's ehrlichem
Willen ist auch gar nicht zu zweifeln; bei so verwickelten Finanzverhältnissen
wie die unseligen reicht man aber mit der Devise Ordnung und Sparsam¬
keit allein nicht aus. Der geschworene Feind der Bureaukratie ist dahin ge¬
kommen, das allerbureaukratischste System, die EinHebung der Steuer vom
Arbeiter durch den Arbeitgeber, einzuführen — als ob die Hände in einer
Fabrik constant wären wie die Beamten in einem Staatsbureau! und
der Apostel der Sparsamkeit besteuert die Consum- und Sparvereine der
Mittellosen. Es ist traurig, den braven Mann sich so verirren zu sehen, und
tragisch kann man es nennen, daß gerade Brestel am meisten dazu bettragen
muß, die Regierung, welcher er angehört, unpopulär zu machen. Denn welche
Stürme sein Einkommensteuergesetz erregen wird, läßt sich leicht voraussehen.
Daß die deutsch-östreichische Fortschrittspartei täglich neue Niederlagen
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |