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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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ein anderes Zeitungsblatt in das Eigenthum mehrerer Bankiers überging
und daß eben diese Bankiers zufällig um dieselbe Zeit hohe Orden erhielten
für unbekannte Verdienste. Daraus wurde geschlossen, daß die Geldmänner
für den Baronstitel einen Griff in ihre Cassen gethan und jenes Blatt der
Negierung zur Verfügung gestellt hätten. Und diese Auffassung besteht noch
heute, nicht zum Vortheil der Beust'schen Politik, wie uns dünkt, denn in
jenem Organe treibt die sogenannte süddeutsche Demokratie besonders un-
genirt ihr Wesen--und einen unglücklicheren Bundesgenossen kann man sich
wohl nicht aussuchen. Indessen mag der Reichskanzler seine bestimmten Ab¬
sichten bei solchen Verbindungen haben wie bei der Berufung eines polnischen
Flüchtlings in sein Cabinet. Dieser letztere Coup kann wenigstens unsere
Beziehungen zu Rußland kaum noch verschlimmern, und eine Weile schien es,
als ob die eisleithanische Regierung direct auf einen Bruch mit dem östlichen
Nachbarn hinarbeite. Die Freunde des Ministeriums fanden gar nichts be¬
denkliches dabei, den Polen in Galizien eine dem Landtage verantwortliche
Regierung zu geben, es mußte ihnen erst von einigen Blättern und von den
deutschen Abgeordneten klar gemacht werden, daß die beiden nächsten Früchte
des Zugeständnisses völlige Unterdrückung der Ruthenen und Ansammlung
aller russenfeindlichen Elemente in Galizien sein würden, also doppelte Her¬
ausforderung Rußlands. In der Verlegenheit fand sich zum guten Glück
wieder eine Straße, welche der Regierung den Rückzug erleichterte: die Con¬
cessionen an die Polen sollten vo". "Garantien" abhängig gemacht werden,
daß dann Galizien auch ruhig und zufrieden sein wolle. Auf die Frage nach
der Natur solcher Garantien blieb selbstverständlich die Antwort aus, ohne
daß die Polen ein Recht gehabt hätten, sich über solch' Spiel zu beklagen.
Denn sie selbst machen es genau ebenso. Alle möglichen staatlichen Ein¬
richtungen sollen für Galizien nur Geltung haben, wenn der Landtag mit
seiner polnischen Majorität sie gut geheißen hat -- so erheischen es die be¬
sonderen Verhältnisse der Provinz, hieß es fortwährend. Endlich erbat ein
deutscher Abgeordneter sich ganz bescheiden eine nähere Bezeichnung und Be¬
schreibung jener besonderen Verhältnisse und Grocholski, sonst der verständigste
der polnischen Reichsrathsmitglieder, entgegnete, sich darüber zu unterrichten,
sei Sache des Reichsraths. Bei so freundlichen Aussichten auf Verständigung
mit den Polen kam das Ministerium plötzlich auf die Idee, es mit den
Czechen zu versuchen: Rieger der Altczeche und Sladkowsky der Jungczeche
wurden eingeladen sich mit Giskra über die Bedingungen eines Ausgleichs
zu besprechen. Gern hätte man diese Sache ganz im Stillen abgemacht;
da sie aber sogleich Public wurde und die Opposition die Minister spöttisch
wegen ihrer Bekehrung zu dem verschenken Minoritätsprogramm beglück¬
wünschte, erhielten die Centraltsten durch ein notorisch ministerielles Blatt


Grenzboten I. 1870. 58

ein anderes Zeitungsblatt in das Eigenthum mehrerer Bankiers überging
und daß eben diese Bankiers zufällig um dieselbe Zeit hohe Orden erhielten
für unbekannte Verdienste. Daraus wurde geschlossen, daß die Geldmänner
für den Baronstitel einen Griff in ihre Cassen gethan und jenes Blatt der
Negierung zur Verfügung gestellt hätten. Und diese Auffassung besteht noch
heute, nicht zum Vortheil der Beust'schen Politik, wie uns dünkt, denn in
jenem Organe treibt die sogenannte süddeutsche Demokratie besonders un-
genirt ihr Wesen—und einen unglücklicheren Bundesgenossen kann man sich
wohl nicht aussuchen. Indessen mag der Reichskanzler seine bestimmten Ab¬
sichten bei solchen Verbindungen haben wie bei der Berufung eines polnischen
Flüchtlings in sein Cabinet. Dieser letztere Coup kann wenigstens unsere
Beziehungen zu Rußland kaum noch verschlimmern, und eine Weile schien es,
als ob die eisleithanische Regierung direct auf einen Bruch mit dem östlichen
Nachbarn hinarbeite. Die Freunde des Ministeriums fanden gar nichts be¬
denkliches dabei, den Polen in Galizien eine dem Landtage verantwortliche
Regierung zu geben, es mußte ihnen erst von einigen Blättern und von den
deutschen Abgeordneten klar gemacht werden, daß die beiden nächsten Früchte
des Zugeständnisses völlige Unterdrückung der Ruthenen und Ansammlung
aller russenfeindlichen Elemente in Galizien sein würden, also doppelte Her¬
ausforderung Rußlands. In der Verlegenheit fand sich zum guten Glück
wieder eine Straße, welche der Regierung den Rückzug erleichterte: die Con¬
cessionen an die Polen sollten vo». „Garantien" abhängig gemacht werden,
daß dann Galizien auch ruhig und zufrieden sein wolle. Auf die Frage nach
der Natur solcher Garantien blieb selbstverständlich die Antwort aus, ohne
daß die Polen ein Recht gehabt hätten, sich über solch' Spiel zu beklagen.
Denn sie selbst machen es genau ebenso. Alle möglichen staatlichen Ein¬
richtungen sollen für Galizien nur Geltung haben, wenn der Landtag mit
seiner polnischen Majorität sie gut geheißen hat — so erheischen es die be¬
sonderen Verhältnisse der Provinz, hieß es fortwährend. Endlich erbat ein
deutscher Abgeordneter sich ganz bescheiden eine nähere Bezeichnung und Be¬
schreibung jener besonderen Verhältnisse und Grocholski, sonst der verständigste
der polnischen Reichsrathsmitglieder, entgegnete, sich darüber zu unterrichten,
sei Sache des Reichsraths. Bei so freundlichen Aussichten auf Verständigung
mit den Polen kam das Ministerium plötzlich auf die Idee, es mit den
Czechen zu versuchen: Rieger der Altczeche und Sladkowsky der Jungczeche
wurden eingeladen sich mit Giskra über die Bedingungen eines Ausgleichs
zu besprechen. Gern hätte man diese Sache ganz im Stillen abgemacht;
da sie aber sogleich Public wurde und die Opposition die Minister spöttisch
wegen ihrer Bekehrung zu dem verschenken Minoritätsprogramm beglück¬
wünschte, erhielten die Centraltsten durch ein notorisch ministerielles Blatt


Grenzboten I. 1870. 58
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/463>, abgerufen am 29.06.2024.