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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Geschick ausgeführt, wie es nur bei Slaven und Magyaren gefunden
wird.

Festlichkeiten ähnlicher Art werden in Lemberg und den übrigen ostga-
lizischen Städten, welche russische Casinos besitzen, während der Herbst- und
Wintersaison beinahe monatlich abgehalten. So gering auch ihr eigent¬
licher Gehalt ist -- es läßt sich nicht leugnen, daß sie der nationalen
Propaganda erhebliche Dienste leisten und auch die indifferenten Glieder der
Gesellschaft daran gewöhnen, sich als Glieder eines Leibes zu fühlen. Wenn
die Ruthenen auch an politischem Geschick und schlagfertiger Energie hinter
den Polen ebensoweit zurückstehen, wie bezüglich ihrer Bildung, so dürfen die
Fortschritte, welche ihre Organisation in den letzten Jahren gemacht hat,
doch nicht unterschätzt werden. Um den kleinen Kreis der Führer von Lem¬
berg und Przemysl gruppirt sich der gesammte griechisch-unirte Clerus des
Landes und hinter diesem steht ein drei Millionen Köpfe zählendes Volk,
das jedem Wink, den dieser Clerus gibt, bedingungslos gehorcht. Statt die
Welt mit erfundenen oder übertriebenen Gerüchten von der schrankenlosen
Herrschaft des russischen Rudels in Ostgalizien zu unterhalten, sollte die pol¬
nische Presse es sich zur Aufgabe machen, die ruthenische Organisation im
Einzelnen zu verfolgen und derselben die Mittel abzulauschen, mit denen sie
die ländliche Bevölkerung beherrscht und im Zaum hält, ohne doch irgend
etwas für die materielle Wohlfahrt derselben thun zu können.

Den Saal des Lemberger Rutheneneasinos habe ich später noch ein Mal
zu sehen Gelegenheit gehabt, -- in Veranlassung einer der Theatervorstellungen,
welche von der herumziehenden nationalen Schauspielergesellschaft hierzu un¬
glaublich niedrigen Preisen gegeben werden. Diese Gesellschaft ist die-zweite,
die sich die Ausgabe gestellt hat, eine nationale Schaubühne in Ostgalizien zu
begründen: ihre Vorgängerin hat, trotz der Theilnahme und Opferfreudtgkeit,
welche die Bevölkerung zeigte, wegen ungenügender Einnahmen über die
russische Grenze zurückkehren müssen. Vergeblich hatten die ärmsten Dorf¬
priester ihre Kreuzer und Gulden in den Karren der Thespis geworfen, ver¬
geblich junge Studenten gratis Aushilfsrollen übernommen und dabei ihre
gesammte Laufbahn aufs Spiel gestellt, vergeblich die russischen Literaten Lern-
bergs der Uebersetzung und Verarbeitung fremder Stücke ihre Kräfte geopfert,
-- die Sache hatte nicht Fuß fassen können. Die neue Gesellschaft, welche
von den früher gemachten Erfahrungen Nutzen zog und sich auf die Wieder¬
gabe kleiner Lustspiele und Vaudevilles beschränkte, hat etwas bessere Geschäfte
gemacht und scheint sich zu behaupten. Ob ihr die 3000 Gulden zugewandt
werden, welche der letzte Landtag "der national-ruthenischen Bühne in Lem¬
berg" aus Lawrowski's Verwendung zugestanden, ist noch zweifelhaft, denn die
Polen haben die Bewilligung von allerlei Bedingungen abhängig gemacht,


Geschick ausgeführt, wie es nur bei Slaven und Magyaren gefunden
wird.

Festlichkeiten ähnlicher Art werden in Lemberg und den übrigen ostga-
lizischen Städten, welche russische Casinos besitzen, während der Herbst- und
Wintersaison beinahe monatlich abgehalten. So gering auch ihr eigent¬
licher Gehalt ist — es läßt sich nicht leugnen, daß sie der nationalen
Propaganda erhebliche Dienste leisten und auch die indifferenten Glieder der
Gesellschaft daran gewöhnen, sich als Glieder eines Leibes zu fühlen. Wenn
die Ruthenen auch an politischem Geschick und schlagfertiger Energie hinter
den Polen ebensoweit zurückstehen, wie bezüglich ihrer Bildung, so dürfen die
Fortschritte, welche ihre Organisation in den letzten Jahren gemacht hat,
doch nicht unterschätzt werden. Um den kleinen Kreis der Führer von Lem¬
berg und Przemysl gruppirt sich der gesammte griechisch-unirte Clerus des
Landes und hinter diesem steht ein drei Millionen Köpfe zählendes Volk,
das jedem Wink, den dieser Clerus gibt, bedingungslos gehorcht. Statt die
Welt mit erfundenen oder übertriebenen Gerüchten von der schrankenlosen
Herrschaft des russischen Rudels in Ostgalizien zu unterhalten, sollte die pol¬
nische Presse es sich zur Aufgabe machen, die ruthenische Organisation im
Einzelnen zu verfolgen und derselben die Mittel abzulauschen, mit denen sie
die ländliche Bevölkerung beherrscht und im Zaum hält, ohne doch irgend
etwas für die materielle Wohlfahrt derselben thun zu können.

Den Saal des Lemberger Rutheneneasinos habe ich später noch ein Mal
zu sehen Gelegenheit gehabt, — in Veranlassung einer der Theatervorstellungen,
welche von der herumziehenden nationalen Schauspielergesellschaft hierzu un¬
glaublich niedrigen Preisen gegeben werden. Diese Gesellschaft ist die-zweite,
die sich die Ausgabe gestellt hat, eine nationale Schaubühne in Ostgalizien zu
begründen: ihre Vorgängerin hat, trotz der Theilnahme und Opferfreudtgkeit,
welche die Bevölkerung zeigte, wegen ungenügender Einnahmen über die
russische Grenze zurückkehren müssen. Vergeblich hatten die ärmsten Dorf¬
priester ihre Kreuzer und Gulden in den Karren der Thespis geworfen, ver¬
geblich junge Studenten gratis Aushilfsrollen übernommen und dabei ihre
gesammte Laufbahn aufs Spiel gestellt, vergeblich die russischen Literaten Lern-
bergs der Uebersetzung und Verarbeitung fremder Stücke ihre Kräfte geopfert,
— die Sache hatte nicht Fuß fassen können. Die neue Gesellschaft, welche
von den früher gemachten Erfahrungen Nutzen zog und sich auf die Wieder¬
gabe kleiner Lustspiele und Vaudevilles beschränkte, hat etwas bessere Geschäfte
gemacht und scheint sich zu behaupten. Ob ihr die 3000 Gulden zugewandt
werden, welche der letzte Landtag „der national-ruthenischen Bühne in Lem¬
berg" aus Lawrowski's Verwendung zugestanden, ist noch zweifelhaft, denn die
Polen haben die Bewilligung von allerlei Bedingungen abhängig gemacht,


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[0436] Geschick ausgeführt, wie es nur bei Slaven und Magyaren gefunden wird. Festlichkeiten ähnlicher Art werden in Lemberg und den übrigen ostga- lizischen Städten, welche russische Casinos besitzen, während der Herbst- und Wintersaison beinahe monatlich abgehalten. So gering auch ihr eigent¬ licher Gehalt ist — es läßt sich nicht leugnen, daß sie der nationalen Propaganda erhebliche Dienste leisten und auch die indifferenten Glieder der Gesellschaft daran gewöhnen, sich als Glieder eines Leibes zu fühlen. Wenn die Ruthenen auch an politischem Geschick und schlagfertiger Energie hinter den Polen ebensoweit zurückstehen, wie bezüglich ihrer Bildung, so dürfen die Fortschritte, welche ihre Organisation in den letzten Jahren gemacht hat, doch nicht unterschätzt werden. Um den kleinen Kreis der Führer von Lem¬ berg und Przemysl gruppirt sich der gesammte griechisch-unirte Clerus des Landes und hinter diesem steht ein drei Millionen Köpfe zählendes Volk, das jedem Wink, den dieser Clerus gibt, bedingungslos gehorcht. Statt die Welt mit erfundenen oder übertriebenen Gerüchten von der schrankenlosen Herrschaft des russischen Rudels in Ostgalizien zu unterhalten, sollte die pol¬ nische Presse es sich zur Aufgabe machen, die ruthenische Organisation im Einzelnen zu verfolgen und derselben die Mittel abzulauschen, mit denen sie die ländliche Bevölkerung beherrscht und im Zaum hält, ohne doch irgend etwas für die materielle Wohlfahrt derselben thun zu können. Den Saal des Lemberger Rutheneneasinos habe ich später noch ein Mal zu sehen Gelegenheit gehabt, — in Veranlassung einer der Theatervorstellungen, welche von der herumziehenden nationalen Schauspielergesellschaft hierzu un¬ glaublich niedrigen Preisen gegeben werden. Diese Gesellschaft ist die-zweite, die sich die Ausgabe gestellt hat, eine nationale Schaubühne in Ostgalizien zu begründen: ihre Vorgängerin hat, trotz der Theilnahme und Opferfreudtgkeit, welche die Bevölkerung zeigte, wegen ungenügender Einnahmen über die russische Grenze zurückkehren müssen. Vergeblich hatten die ärmsten Dorf¬ priester ihre Kreuzer und Gulden in den Karren der Thespis geworfen, ver¬ geblich junge Studenten gratis Aushilfsrollen übernommen und dabei ihre gesammte Laufbahn aufs Spiel gestellt, vergeblich die russischen Literaten Lern- bergs der Uebersetzung und Verarbeitung fremder Stücke ihre Kräfte geopfert, — die Sache hatte nicht Fuß fassen können. Die neue Gesellschaft, welche von den früher gemachten Erfahrungen Nutzen zog und sich auf die Wieder¬ gabe kleiner Lustspiele und Vaudevilles beschränkte, hat etwas bessere Geschäfte gemacht und scheint sich zu behaupten. Ob ihr die 3000 Gulden zugewandt werden, welche der letzte Landtag „der national-ruthenischen Bühne in Lem¬ berg" aus Lawrowski's Verwendung zugestanden, ist noch zweifelhaft, denn die Polen haben die Bewilligung von allerlei Bedingungen abhängig gemacht,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/436>, abgerufen am 28.09.2024.