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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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hatte. Die untere Hälfte desselben zeigte die durch einen rothen Vorhang
geschlossene Bühne, auf welcher gesungen und declamirt werden sollte, -- in
der Ecke rechts stand ein verhülltes Bild und vor diesem ein Paar national
aufgeputzter Knaben, die ihre phantastischen Mäntel und roth besetzten Hemden
mit einem Erstaunen betrachteten, welches der Echtheit dieses "volksthümlichen"
Costüms kein besonders ermutigendes Zeugniß ausstellte. Einer der Vor¬
steher gab ein Zeichen und vor die Bühne trat ein älterer geistlicher Herr,
der eine russische Rede über die Verdienste des Metropoliten (ich glaube Sne-
gurski) ablas, dessen Bildniß enthüllt werden sollte. Obgleich der Redner
in dem landesüblichen Idiom sprach, genügte meine nicht eben erschöpfende
Kenntniß des Großrussischen vollständig zum Verständniß des Vortrags.
Etwa in der Mitte desselben hielt der Sprecher inne -- die beiden "natio¬
nalen" Knaben rollten die Hülle des Bildes auf, aus dessen Rahmen die
Gestalt eines Kirchenfürsten in vollem Ornat finster heraufblickte, um mit
lautem Bravorufen und dem Gesang "NuoZis Ivtg," (viele Jahre) begrüßt
zu werden. Dann folgten von der Bühne aus Gesänge und Deklamationen,
deren künstlerischer Werth durchschnittlich zu bescheiden war, um eine Kritik
herauszufordern, die aber nichtsdestoweniger mit starkem Beifall begrüßt wurden.
Den aus etwa 16 jungen Männern bestehenden Sängerchor leitete ein blond-
häuptiger Jüngling, der mit beiden Händen eifrig dirigirte; eine junge, sehr
anmuthige Dame declamirte mit graciöser Coquetterie ein Gedicht "Abschied
von Halicz", das üg, eapo verlangt wurde, -- ein etwas blöder, noch sehr
knabenhaft aussehender Student trug ein patriotisches Gedicht vor, sprach aber
so undeutlich, daß ich nur die Worte "polnische Säbel" und "russische Helden¬
brust" verstehen konnte, ein ..Stammesgenosse" aus Krain gab Productionen
aus der Zither zum Besten, die ihren deutschen Ursprung nicht einen Augen¬
blick verleugneten, nichtsdestoweniger aber (wie die Tags daraus veröffentlichte
Kritik des "Slowo" bezeugte) für nationale Münze genommen wurden. Den
Schluß bildete ein italienisches oder pseudo-italienisches Männerquartett, dessen
handgreiflicher Humor die Zuhörer zu stürmischer Begeisterung fortriß. --
Dann wurden -- coram xublieo -- die Bänke und Stühle hinausgetragen,
zwei Diener herbeigerufen, die den Fußboden mit fröhlicher Unbefangenheit
staubwirbelnd reinigten und die Gesellschaft in die Ecken drängten -- die Musi-
ker des in der galizischen Hauptstadt stationirten Reiterregiments auf die Bühne
placirt und die "Tänze" begannen, welche den Gipfel des Festes bilden soll¬
ten. Zierlich genug nahm es sich aus, wie die Paare den Reigen der "Ko-
lomeika"*) schlangen, welche hier die Stelle ihrer nah verwandten Nachbarin,
der Mazurka einnimmt; auch die modernen Gesellschaftstänze wurden mit einem



") Nach der Stadt Kolomea in Ostgalizien so genannt.

hatte. Die untere Hälfte desselben zeigte die durch einen rothen Vorhang
geschlossene Bühne, auf welcher gesungen und declamirt werden sollte, — in
der Ecke rechts stand ein verhülltes Bild und vor diesem ein Paar national
aufgeputzter Knaben, die ihre phantastischen Mäntel und roth besetzten Hemden
mit einem Erstaunen betrachteten, welches der Echtheit dieses „volksthümlichen"
Costüms kein besonders ermutigendes Zeugniß ausstellte. Einer der Vor¬
steher gab ein Zeichen und vor die Bühne trat ein älterer geistlicher Herr,
der eine russische Rede über die Verdienste des Metropoliten (ich glaube Sne-
gurski) ablas, dessen Bildniß enthüllt werden sollte. Obgleich der Redner
in dem landesüblichen Idiom sprach, genügte meine nicht eben erschöpfende
Kenntniß des Großrussischen vollständig zum Verständniß des Vortrags.
Etwa in der Mitte desselben hielt der Sprecher inne — die beiden „natio¬
nalen" Knaben rollten die Hülle des Bildes auf, aus dessen Rahmen die
Gestalt eines Kirchenfürsten in vollem Ornat finster heraufblickte, um mit
lautem Bravorufen und dem Gesang „NuoZis Ivtg," (viele Jahre) begrüßt
zu werden. Dann folgten von der Bühne aus Gesänge und Deklamationen,
deren künstlerischer Werth durchschnittlich zu bescheiden war, um eine Kritik
herauszufordern, die aber nichtsdestoweniger mit starkem Beifall begrüßt wurden.
Den aus etwa 16 jungen Männern bestehenden Sängerchor leitete ein blond-
häuptiger Jüngling, der mit beiden Händen eifrig dirigirte; eine junge, sehr
anmuthige Dame declamirte mit graciöser Coquetterie ein Gedicht „Abschied
von Halicz", das üg, eapo verlangt wurde, — ein etwas blöder, noch sehr
knabenhaft aussehender Student trug ein patriotisches Gedicht vor, sprach aber
so undeutlich, daß ich nur die Worte „polnische Säbel" und „russische Helden¬
brust" verstehen konnte, ein ..Stammesgenosse" aus Krain gab Productionen
aus der Zither zum Besten, die ihren deutschen Ursprung nicht einen Augen¬
blick verleugneten, nichtsdestoweniger aber (wie die Tags daraus veröffentlichte
Kritik des „Slowo" bezeugte) für nationale Münze genommen wurden. Den
Schluß bildete ein italienisches oder pseudo-italienisches Männerquartett, dessen
handgreiflicher Humor die Zuhörer zu stürmischer Begeisterung fortriß. —
Dann wurden — coram xublieo — die Bänke und Stühle hinausgetragen,
zwei Diener herbeigerufen, die den Fußboden mit fröhlicher Unbefangenheit
staubwirbelnd reinigten und die Gesellschaft in die Ecken drängten — die Musi-
ker des in der galizischen Hauptstadt stationirten Reiterregiments auf die Bühne
placirt und die „Tänze" begannen, welche den Gipfel des Festes bilden soll¬
ten. Zierlich genug nahm es sich aus, wie die Paare den Reigen der „Ko-
lomeika"*) schlangen, welche hier die Stelle ihrer nah verwandten Nachbarin,
der Mazurka einnimmt; auch die modernen Gesellschaftstänze wurden mit einem



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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/435>, abgerufen am 29.06.2024.