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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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namentlich Garantien dafür verlangt, daß in landesüblicher, nicht in gro߬
russischer Sprache gespielt werde. Daß die in Rede stehende Gesellschaft der
Unterstützung bedürftig ist, kann ich aus persönlicher Erfahrung bezeugen;
der Zehnguldenschein, den ich an der Casse gewechselt haben wollte, wurde
mir von dem Cassirer mit der lächelnden Bemerkung zurückgegeben: "Ander¬
gleichen Papiere sind wir hier nicht gewöhnt." -- Daß die Vorstellung kaum
mittelmäßig war, braucht nicht gesagt zu werden. Die Stücke, welche auf¬
geführt werden, müssen aä Koe angefertigt werden und tragen alle Spuren
ungeschickter Mache an sich; die Uebersetzungen aus fremden Sprachen sind
hölzern und geistlos, die "aus dem Volksleben" gegriffenen Original-Vaude-
villes entbehren gewöhnlich aller dramatischen Effecte, nicht selten auch des
Zusammenhangs. Darstellungstalent zeigten die Schauspieler fast Alle, da¬
gegen fehlte es ihnen durchgängig an Schule und Geschmack.

Neben dem Staropygischen Institut und dem Narodny-Dom besitzen die
russischen Bewohner Lembergs noch einen dritten Mittelpunkt, den Swentt-Jur
(Swätoi-Juri), die Metropolitankirche, welche an den erzbischöflichen Pallast
stößt, der von der östlichen Höhe des Lemberger Kessels auf die Stadt herab¬
sieht. Die Vorhöfe dieser festesten Burg der großrussischen Partei sind seit
einem Jahrzehnte der Punkt, an welchem die nationale Propaganda des
Clerus die Parole empfängt und ihre Berichte niederlegt. Der Gottesdienst,
der hier gehalten wird, trägt die griechische Färbung, in welcher die Unirten
des Landes das Heil suchen, am deutlichsten; die Orgel und die Klingel am
Hochaltar (Dinge, die jedem Rechtgläubigen sür ketzerische Greuel gelten) sind
zwar auch hier zu finden, dafür aber werden die Thüren des Allerheiligsten
(Ts.rslch'öäwöl'i) auch bei der Abendmahlsfeier nicht geschlossen und jeder Sach¬
kenner kann bezeugen, daß der Kirchengesang genau ebenso wie in Rußland
vorgetragen, das "KoWxoÄi xomilui" (LMs elöisvll) genau ebenso intonirt
wird wie in Petersburg oder Pskow. -- Seit den letzten Monaten stehen die
Säle des erzbischöflichen Palasts übrigens leer und ist die Zukunft des Swenti-
Jur in Schwanken gekommen. Der letzte Erzbischof (ein Mann, der seinen
geistlichen Kindern für einen "Halben" galt und darum wenig beliebt war)
ist seit Monaten todt und in Wien kann man sich über seinen Nachfolger
nicht einigen. Der von polnischer Seite vorgeschlagene Administrator von
Przemysl, Litwinowicz ist von den Ruthenen aufs Nachdrücklichste perhorres-
cirt worden, -- die von diesen unterstützten Candidaten haben an der in
Wien immerhin einflußreichen polnischen Aristokratie eine gefährliche Geg¬
nerin. Daß die bezügliche Entscheidung seit Monaten aussteht und inzwischen
der dem Capitel aufgedrungene Litwinowicz in Przemysl und auf dem Swenti-
Jur das entscheidende Wort spricht, hat nicht wenig dazu beigetragen, den


namentlich Garantien dafür verlangt, daß in landesüblicher, nicht in gro߬
russischer Sprache gespielt werde. Daß die in Rede stehende Gesellschaft der
Unterstützung bedürftig ist, kann ich aus persönlicher Erfahrung bezeugen;
der Zehnguldenschein, den ich an der Casse gewechselt haben wollte, wurde
mir von dem Cassirer mit der lächelnden Bemerkung zurückgegeben: „Ander¬
gleichen Papiere sind wir hier nicht gewöhnt.« — Daß die Vorstellung kaum
mittelmäßig war, braucht nicht gesagt zu werden. Die Stücke, welche auf¬
geführt werden, müssen aä Koe angefertigt werden und tragen alle Spuren
ungeschickter Mache an sich; die Uebersetzungen aus fremden Sprachen sind
hölzern und geistlos, die „aus dem Volksleben" gegriffenen Original-Vaude-
villes entbehren gewöhnlich aller dramatischen Effecte, nicht selten auch des
Zusammenhangs. Darstellungstalent zeigten die Schauspieler fast Alle, da¬
gegen fehlte es ihnen durchgängig an Schule und Geschmack.

Neben dem Staropygischen Institut und dem Narodny-Dom besitzen die
russischen Bewohner Lembergs noch einen dritten Mittelpunkt, den Swentt-Jur
(Swätoi-Juri), die Metropolitankirche, welche an den erzbischöflichen Pallast
stößt, der von der östlichen Höhe des Lemberger Kessels auf die Stadt herab¬
sieht. Die Vorhöfe dieser festesten Burg der großrussischen Partei sind seit
einem Jahrzehnte der Punkt, an welchem die nationale Propaganda des
Clerus die Parole empfängt und ihre Berichte niederlegt. Der Gottesdienst,
der hier gehalten wird, trägt die griechische Färbung, in welcher die Unirten
des Landes das Heil suchen, am deutlichsten; die Orgel und die Klingel am
Hochaltar (Dinge, die jedem Rechtgläubigen sür ketzerische Greuel gelten) sind
zwar auch hier zu finden, dafür aber werden die Thüren des Allerheiligsten
(Ts.rslch'öäwöl'i) auch bei der Abendmahlsfeier nicht geschlossen und jeder Sach¬
kenner kann bezeugen, daß der Kirchengesang genau ebenso wie in Rußland
vorgetragen, das „KoWxoÄi xomilui" (LMs elöisvll) genau ebenso intonirt
wird wie in Petersburg oder Pskow. — Seit den letzten Monaten stehen die
Säle des erzbischöflichen Palasts übrigens leer und ist die Zukunft des Swenti-
Jur in Schwanken gekommen. Der letzte Erzbischof (ein Mann, der seinen
geistlichen Kindern für einen „Halben" galt und darum wenig beliebt war)
ist seit Monaten todt und in Wien kann man sich über seinen Nachfolger
nicht einigen. Der von polnischer Seite vorgeschlagene Administrator von
Przemysl, Litwinowicz ist von den Ruthenen aufs Nachdrücklichste perhorres-
cirt worden, — die von diesen unterstützten Candidaten haben an der in
Wien immerhin einflußreichen polnischen Aristokratie eine gefährliche Geg¬
nerin. Daß die bezügliche Entscheidung seit Monaten aussteht und inzwischen
der dem Capitel aufgedrungene Litwinowicz in Przemysl und auf dem Swenti-
Jur das entscheidende Wort spricht, hat nicht wenig dazu beigetragen, den


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[0437] namentlich Garantien dafür verlangt, daß in landesüblicher, nicht in gro߬ russischer Sprache gespielt werde. Daß die in Rede stehende Gesellschaft der Unterstützung bedürftig ist, kann ich aus persönlicher Erfahrung bezeugen; der Zehnguldenschein, den ich an der Casse gewechselt haben wollte, wurde mir von dem Cassirer mit der lächelnden Bemerkung zurückgegeben: „Ander¬ gleichen Papiere sind wir hier nicht gewöhnt.« — Daß die Vorstellung kaum mittelmäßig war, braucht nicht gesagt zu werden. Die Stücke, welche auf¬ geführt werden, müssen aä Koe angefertigt werden und tragen alle Spuren ungeschickter Mache an sich; die Uebersetzungen aus fremden Sprachen sind hölzern und geistlos, die „aus dem Volksleben" gegriffenen Original-Vaude- villes entbehren gewöhnlich aller dramatischen Effecte, nicht selten auch des Zusammenhangs. Darstellungstalent zeigten die Schauspieler fast Alle, da¬ gegen fehlte es ihnen durchgängig an Schule und Geschmack. Neben dem Staropygischen Institut und dem Narodny-Dom besitzen die russischen Bewohner Lembergs noch einen dritten Mittelpunkt, den Swentt-Jur (Swätoi-Juri), die Metropolitankirche, welche an den erzbischöflichen Pallast stößt, der von der östlichen Höhe des Lemberger Kessels auf die Stadt herab¬ sieht. Die Vorhöfe dieser festesten Burg der großrussischen Partei sind seit einem Jahrzehnte der Punkt, an welchem die nationale Propaganda des Clerus die Parole empfängt und ihre Berichte niederlegt. Der Gottesdienst, der hier gehalten wird, trägt die griechische Färbung, in welcher die Unirten des Landes das Heil suchen, am deutlichsten; die Orgel und die Klingel am Hochaltar (Dinge, die jedem Rechtgläubigen sür ketzerische Greuel gelten) sind zwar auch hier zu finden, dafür aber werden die Thüren des Allerheiligsten (Ts.rslch'öäwöl'i) auch bei der Abendmahlsfeier nicht geschlossen und jeder Sach¬ kenner kann bezeugen, daß der Kirchengesang genau ebenso wie in Rußland vorgetragen, das „KoWxoÄi xomilui" (LMs elöisvll) genau ebenso intonirt wird wie in Petersburg oder Pskow. — Seit den letzten Monaten stehen die Säle des erzbischöflichen Palasts übrigens leer und ist die Zukunft des Swenti- Jur in Schwanken gekommen. Der letzte Erzbischof (ein Mann, der seinen geistlichen Kindern für einen „Halben" galt und darum wenig beliebt war) ist seit Monaten todt und in Wien kann man sich über seinen Nachfolger nicht einigen. Der von polnischer Seite vorgeschlagene Administrator von Przemysl, Litwinowicz ist von den Ruthenen aufs Nachdrücklichste perhorres- cirt worden, — die von diesen unterstützten Candidaten haben an der in Wien immerhin einflußreichen polnischen Aristokratie eine gefährliche Geg¬ nerin. Daß die bezügliche Entscheidung seit Monaten aussteht und inzwischen der dem Capitel aufgedrungene Litwinowicz in Przemysl und auf dem Swenti- Jur das entscheidende Wort spricht, hat nicht wenig dazu beigetragen, den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/437>, abgerufen am 29.06.2024.