Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ich zweifle nicht, daß es König Daniel und Leo von Haliez sind, die hier die
russische Vergangenheit Ostgaliziens vertreten. Desto bekannter und un¬
verkennbarer sind die Männer der Zukunft, die aus zwei anderen, goldum¬
rahmten Bildern hervortreten: das eine zeigt den von den Porträts seiner
sämmtlichen Minister umgebenen Kaiser Alexander II. von Rußland in Hu¬
sarenuniform, das andere die Züge eines wohlrasirten, mild und freund¬
lich dreinschauenden Mannes in bürgerlicher Kleidung. Seltsam contrastirt
mit dem sanften Ausdruck des Gesichts, der kalte Blick der kleinen klaren
Augen: er kann nur ein moderner Fanatiker der Reflexion sein, der so aus¬
sieht. Und in der That, ein solcher ist es: Nikolaus Miljutin, russischer
Geheimrath und Staatssecretär für Polen, der geistige Schöpfer des Agrar-
systems mit dem die Kraft der Revolution in Litthauen und im Königreich
Polen gebrochen, das Fundament des slavischen Zukunftsstaats gelegt
werden soll. Daß das Bild dieses Mannes an dieser Stelle hängt und unver¬
wandten Blicks zum russischen Kaiser hinüber sieht, will mehr sagen, als das
ausführlichste, offenherzigste Programm. In den Namen Miljutin ist Alles
zusammengefaßt, was der ruthenische Galizier von der Zukunft erwartet:
Vernichtung des Einflusses der polnischen Aristokratie durch eine neue Boden¬
vertheilung, Wiedervereinigung der unirten mit der griechisch-orthodoxen Kirche,
Vereinigung aller russischen Länder unter dem Banner nationaler Demokratie.
Ein Miljutin muß kommen um das nach Jahrhunderten zählende polnische
Joch mit Hilfe des agrarischen Socialismus zu brechen und die Ruthenen
in das verloren gegangene Erbe ihrer Väter wieder einzusetzen: von einem
Manne seines Schlages hofft der Priester die Demüthigung seines Nachbarn
des katholischen Ksends, der Bauer die Zutheilung der Wälder und Wiesen,
welche ihm das Entlastungsgesetz von 1848 schuldig geblieben, der Gelehrte
die Vernichtung der kleinrussischen Grammatiker, welche den Polen die Mittel
liefern, groß und kleinrussisches Volks- und Schriftthum für grundverschiedene
Dinge zu erklären, die Nichts miteinander zu schaffen hätten. Alles was der
getreue Swentojurze auf dem Herzen hat, ist in den Namen Miljutin zu¬
sammengefaßt, denn dieser Name bedeutet "Krieg den Palästen und Frieden den
Hütten", --. einen Krieg, den nicht turbulente Club- und Barrikadenhelden,
sondern wohl geschulte Regulirungsbeamte, Gensd'armen und Officiere von
der Linie führen sollen, -- Männer, die die Murawjew'sche Schule durch-
gemacht haben und als verdiente Missionäre der rechtgläubigen und demo¬
kratischen Sache ihren Weg gemacht haben.

"Noloäes" (ein tüchtiger Junge) unterbrach mein Führer die stumme
Betrachtung des Bildes, vor dem wir stehen geblieben waren. Ich berichtete in
Kürze, daß mir dasselbe Bild schon ein Mal und zwar im Palais Michel zu
Petersburg gezeigt worden sei und empfahl mich, um für die Soire'e, welche


64"

ich zweifle nicht, daß es König Daniel und Leo von Haliez sind, die hier die
russische Vergangenheit Ostgaliziens vertreten. Desto bekannter und un¬
verkennbarer sind die Männer der Zukunft, die aus zwei anderen, goldum¬
rahmten Bildern hervortreten: das eine zeigt den von den Porträts seiner
sämmtlichen Minister umgebenen Kaiser Alexander II. von Rußland in Hu¬
sarenuniform, das andere die Züge eines wohlrasirten, mild und freund¬
lich dreinschauenden Mannes in bürgerlicher Kleidung. Seltsam contrastirt
mit dem sanften Ausdruck des Gesichts, der kalte Blick der kleinen klaren
Augen: er kann nur ein moderner Fanatiker der Reflexion sein, der so aus¬
sieht. Und in der That, ein solcher ist es: Nikolaus Miljutin, russischer
Geheimrath und Staatssecretär für Polen, der geistige Schöpfer des Agrar-
systems mit dem die Kraft der Revolution in Litthauen und im Königreich
Polen gebrochen, das Fundament des slavischen Zukunftsstaats gelegt
werden soll. Daß das Bild dieses Mannes an dieser Stelle hängt und unver¬
wandten Blicks zum russischen Kaiser hinüber sieht, will mehr sagen, als das
ausführlichste, offenherzigste Programm. In den Namen Miljutin ist Alles
zusammengefaßt, was der ruthenische Galizier von der Zukunft erwartet:
Vernichtung des Einflusses der polnischen Aristokratie durch eine neue Boden¬
vertheilung, Wiedervereinigung der unirten mit der griechisch-orthodoxen Kirche,
Vereinigung aller russischen Länder unter dem Banner nationaler Demokratie.
Ein Miljutin muß kommen um das nach Jahrhunderten zählende polnische
Joch mit Hilfe des agrarischen Socialismus zu brechen und die Ruthenen
in das verloren gegangene Erbe ihrer Väter wieder einzusetzen: von einem
Manne seines Schlages hofft der Priester die Demüthigung seines Nachbarn
des katholischen Ksends, der Bauer die Zutheilung der Wälder und Wiesen,
welche ihm das Entlastungsgesetz von 1848 schuldig geblieben, der Gelehrte
die Vernichtung der kleinrussischen Grammatiker, welche den Polen die Mittel
liefern, groß und kleinrussisches Volks- und Schriftthum für grundverschiedene
Dinge zu erklären, die Nichts miteinander zu schaffen hätten. Alles was der
getreue Swentojurze auf dem Herzen hat, ist in den Namen Miljutin zu¬
sammengefaßt, denn dieser Name bedeutet „Krieg den Palästen und Frieden den
Hütten", —. einen Krieg, den nicht turbulente Club- und Barrikadenhelden,
sondern wohl geschulte Regulirungsbeamte, Gensd'armen und Officiere von
der Linie führen sollen, — Männer, die die Murawjew'sche Schule durch-
gemacht haben und als verdiente Missionäre der rechtgläubigen und demo¬
kratischen Sache ihren Weg gemacht haben.

„Noloäes" (ein tüchtiger Junge) unterbrach mein Führer die stumme
Betrachtung des Bildes, vor dem wir stehen geblieben waren. Ich berichtete in
Kürze, daß mir dasselbe Bild schon ein Mal und zwar im Palais Michel zu
Petersburg gezeigt worden sei und empfahl mich, um für die Soire'e, welche


64"
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0433" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123521"/>
            <p xml:id="ID_1240" prev="#ID_1239"> ich zweifle nicht, daß es König Daniel und Leo von Haliez sind, die hier die<lb/>
russische Vergangenheit Ostgaliziens vertreten. Desto bekannter und un¬<lb/>
verkennbarer sind die Männer der Zukunft, die aus zwei anderen, goldum¬<lb/>
rahmten Bildern hervortreten: das eine zeigt den von den Porträts seiner<lb/>
sämmtlichen Minister umgebenen Kaiser Alexander II. von Rußland in Hu¬<lb/>
sarenuniform, das andere die Züge eines wohlrasirten, mild und freund¬<lb/>
lich dreinschauenden Mannes in bürgerlicher Kleidung. Seltsam contrastirt<lb/>
mit dem sanften Ausdruck des Gesichts, der kalte Blick der kleinen klaren<lb/>
Augen: er kann nur ein moderner Fanatiker der Reflexion sein, der so aus¬<lb/>
sieht. Und in der That, ein solcher ist es: Nikolaus Miljutin, russischer<lb/>
Geheimrath und Staatssecretär für Polen, der geistige Schöpfer des Agrar-<lb/>
systems mit dem die Kraft der Revolution in Litthauen und im Königreich<lb/>
Polen gebrochen, das Fundament des slavischen Zukunftsstaats gelegt<lb/>
werden soll. Daß das Bild dieses Mannes an dieser Stelle hängt und unver¬<lb/>
wandten Blicks zum russischen Kaiser hinüber sieht, will mehr sagen, als das<lb/>
ausführlichste, offenherzigste Programm. In den Namen Miljutin ist Alles<lb/>
zusammengefaßt, was der ruthenische Galizier von der Zukunft erwartet:<lb/>
Vernichtung des Einflusses der polnischen Aristokratie durch eine neue Boden¬<lb/>
vertheilung, Wiedervereinigung der unirten mit der griechisch-orthodoxen Kirche,<lb/>
Vereinigung aller russischen Länder unter dem Banner nationaler Demokratie.<lb/>
Ein Miljutin muß kommen um das nach Jahrhunderten zählende polnische<lb/>
Joch mit Hilfe des agrarischen Socialismus zu brechen und die Ruthenen<lb/>
in das verloren gegangene Erbe ihrer Väter wieder einzusetzen: von einem<lb/>
Manne seines Schlages hofft der Priester die Demüthigung seines Nachbarn<lb/>
des katholischen Ksends, der Bauer die Zutheilung der Wälder und Wiesen,<lb/>
welche ihm das Entlastungsgesetz von 1848 schuldig geblieben, der Gelehrte<lb/>
die Vernichtung der kleinrussischen Grammatiker, welche den Polen die Mittel<lb/>
liefern, groß und kleinrussisches Volks- und Schriftthum für grundverschiedene<lb/>
Dinge zu erklären, die Nichts miteinander zu schaffen hätten. Alles was der<lb/>
getreue Swentojurze auf dem Herzen hat, ist in den Namen Miljutin zu¬<lb/>
sammengefaßt, denn dieser Name bedeutet &#x201E;Krieg den Palästen und Frieden den<lb/>
Hütten", &#x2014;. einen Krieg, den nicht turbulente Club- und Barrikadenhelden,<lb/>
sondern wohl geschulte Regulirungsbeamte, Gensd'armen und Officiere von<lb/>
der Linie führen sollen, &#x2014; Männer, die die Murawjew'sche Schule durch-<lb/>
gemacht haben und als verdiente Missionäre der rechtgläubigen und demo¬<lb/>
kratischen Sache ihren Weg gemacht haben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1241" next="#ID_1242"> &#x201E;Noloäes" (ein tüchtiger Junge) unterbrach mein Führer die stumme<lb/>
Betrachtung des Bildes, vor dem wir stehen geblieben waren. Ich berichtete in<lb/>
Kürze, daß mir dasselbe Bild schon ein Mal und zwar im Palais Michel zu<lb/>
Petersburg gezeigt worden sei und empfahl mich, um für die Soire'e, welche</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> 64"</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0433] ich zweifle nicht, daß es König Daniel und Leo von Haliez sind, die hier die russische Vergangenheit Ostgaliziens vertreten. Desto bekannter und un¬ verkennbarer sind die Männer der Zukunft, die aus zwei anderen, goldum¬ rahmten Bildern hervortreten: das eine zeigt den von den Porträts seiner sämmtlichen Minister umgebenen Kaiser Alexander II. von Rußland in Hu¬ sarenuniform, das andere die Züge eines wohlrasirten, mild und freund¬ lich dreinschauenden Mannes in bürgerlicher Kleidung. Seltsam contrastirt mit dem sanften Ausdruck des Gesichts, der kalte Blick der kleinen klaren Augen: er kann nur ein moderner Fanatiker der Reflexion sein, der so aus¬ sieht. Und in der That, ein solcher ist es: Nikolaus Miljutin, russischer Geheimrath und Staatssecretär für Polen, der geistige Schöpfer des Agrar- systems mit dem die Kraft der Revolution in Litthauen und im Königreich Polen gebrochen, das Fundament des slavischen Zukunftsstaats gelegt werden soll. Daß das Bild dieses Mannes an dieser Stelle hängt und unver¬ wandten Blicks zum russischen Kaiser hinüber sieht, will mehr sagen, als das ausführlichste, offenherzigste Programm. In den Namen Miljutin ist Alles zusammengefaßt, was der ruthenische Galizier von der Zukunft erwartet: Vernichtung des Einflusses der polnischen Aristokratie durch eine neue Boden¬ vertheilung, Wiedervereinigung der unirten mit der griechisch-orthodoxen Kirche, Vereinigung aller russischen Länder unter dem Banner nationaler Demokratie. Ein Miljutin muß kommen um das nach Jahrhunderten zählende polnische Joch mit Hilfe des agrarischen Socialismus zu brechen und die Ruthenen in das verloren gegangene Erbe ihrer Väter wieder einzusetzen: von einem Manne seines Schlages hofft der Priester die Demüthigung seines Nachbarn des katholischen Ksends, der Bauer die Zutheilung der Wälder und Wiesen, welche ihm das Entlastungsgesetz von 1848 schuldig geblieben, der Gelehrte die Vernichtung der kleinrussischen Grammatiker, welche den Polen die Mittel liefern, groß und kleinrussisches Volks- und Schriftthum für grundverschiedene Dinge zu erklären, die Nichts miteinander zu schaffen hätten. Alles was der getreue Swentojurze auf dem Herzen hat, ist in den Namen Miljutin zu¬ sammengefaßt, denn dieser Name bedeutet „Krieg den Palästen und Frieden den Hütten", —. einen Krieg, den nicht turbulente Club- und Barrikadenhelden, sondern wohl geschulte Regulirungsbeamte, Gensd'armen und Officiere von der Linie führen sollen, — Männer, die die Murawjew'sche Schule durch- gemacht haben und als verdiente Missionäre der rechtgläubigen und demo¬ kratischen Sache ihren Weg gemacht haben. „Noloäes" (ein tüchtiger Junge) unterbrach mein Führer die stumme Betrachtung des Bildes, vor dem wir stehen geblieben waren. Ich berichtete in Kürze, daß mir dasselbe Bild schon ein Mal und zwar im Palais Michel zu Petersburg gezeigt worden sei und empfahl mich, um für die Soire'e, welche 64"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/433
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/433>, abgerufen am 29.06.2024.