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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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zählige Male in russischen Zeitungen gelesen hatte, war schon der erste Gang
durch die Localitäten desselben vom höchsten Interesse. Das Hauptgemach
ist ein großer Saal, in dem die lebensgroßen Porträts eines nationalen
Metropoliten und des Kaisers Franz Joseph hängen -- das dritte in dem¬
selben befindliche Bild war verhängt und sollte Abends enthüllt werden.
Dieser Saal wird indessen nur zu feierlichen Gelegenheiten, und wenn es
Tanzgesellschaften oder Vorstellungen der die ostgalizischen Städte durchwan¬
dernden Schauspielergesellschaft gilt, benutzt, -- sein officielles Aussehen läßt
bei dem ruthenischen Patrioten, der hier seinen idealen Bedürfnissen genug zu
thun sucht, kein rechtes Behagen aufkommen. Dieser Saal ist für die Welt,
das anstoßende kleinere Gemach, das wir jetzt betreten, für das Herz. Auf
dem Lesetisch, der die Mitte des Zimmers einnimmt, liegen Zeitungen und
zwar Zeitungen, wie der eifrige Swentojurze sie braucht: neben der Neuen freien
Presse und dem Fremdenblatt, die das deutsche Element vertreten, prangen
in Lebensgröße die "Moskausche Zeitung", der dreihundertmal im Jahre
erscheinende politische Katechismus jedes echten Russen, die "Petersburger
Börsenzeitung", ebenso löblich als entschiedene Panslavistin, wie als gestn-
nungstüchtige Protectinistin, der Golos -- kurz, die Büthe der nationalen
russischen Presse. Die kostbaren russischen Monatsschriften zu halten, reichen
die Mittel der Gesellschaft leider nicht aus, -- wie der freundliche Cicerone
berichtet. Aber zum Zeugniß dafür, daß die Sphäre russischen Einflusses und
russischen Geistes keineswegs mit den Grenzen des Reiches zusammenfällt, über
welches der rechtgläubige Zaar gebietet, ist die außer-russische panslavtstische
Presse vollzählig vertreten: das Slowo, derUtschitel, die zu Unghvär (Ostun¬
garn) erscheinende russische Wochenschrift solet und die übrigen russisch-gali-
zischen Blätter sind selbstverständlich, ebenso das polnische Blatt "Slaw-
jänin". dessen panslavtstische Richtung ebenso bekannt ist, wie der Zusam¬
menhang seines Herausgebers mit der russischen Regierung; aber auch die
Wiener "Zukunft" und der "Osten", zwei deutsche Organe des slavischen
Racenbewußtseins fehlen gleichfalls nicht, denn aus ihnen erfährt der Lemberger
Leser mit besonderer Ausführlichkeit, daß in Serbien, Bulgarien u. f. w.
slavische Brüder gleich ihm dulden, leiden -- und hoffen. -- Noch charakte¬
ristischer als dieser Zeitungstisch, den eine große Anzahl zumeist jugendlicher
Leser umlagert, ist aber die Ausschmückung der Wände dieses Gemachs, er
welchem sich der Kern der Lemberger Ruthenenpartet allabendlich zum Kar¬
tenspiel und zu traulichem Gespräch zusammenfindet. Mit der officiellen
östreichischen Welt hat man sich durch das kaiserliche Porträt im Saal abge¬
funden -- hier folgt man allein dem Zuge des Herzens. Wer die beiden
auf uneingerahmten Oelbildern abgebildeten mittelalterlichen Helden sein sollen,
die schnurrbärtig aus die Enkel herabsehen, habe ich nicht erfahren können:


zählige Male in russischen Zeitungen gelesen hatte, war schon der erste Gang
durch die Localitäten desselben vom höchsten Interesse. Das Hauptgemach
ist ein großer Saal, in dem die lebensgroßen Porträts eines nationalen
Metropoliten und des Kaisers Franz Joseph hängen — das dritte in dem¬
selben befindliche Bild war verhängt und sollte Abends enthüllt werden.
Dieser Saal wird indessen nur zu feierlichen Gelegenheiten, und wenn es
Tanzgesellschaften oder Vorstellungen der die ostgalizischen Städte durchwan¬
dernden Schauspielergesellschaft gilt, benutzt, — sein officielles Aussehen läßt
bei dem ruthenischen Patrioten, der hier seinen idealen Bedürfnissen genug zu
thun sucht, kein rechtes Behagen aufkommen. Dieser Saal ist für die Welt,
das anstoßende kleinere Gemach, das wir jetzt betreten, für das Herz. Auf
dem Lesetisch, der die Mitte des Zimmers einnimmt, liegen Zeitungen und
zwar Zeitungen, wie der eifrige Swentojurze sie braucht: neben der Neuen freien
Presse und dem Fremdenblatt, die das deutsche Element vertreten, prangen
in Lebensgröße die „Moskausche Zeitung", der dreihundertmal im Jahre
erscheinende politische Katechismus jedes echten Russen, die „Petersburger
Börsenzeitung", ebenso löblich als entschiedene Panslavistin, wie als gestn-
nungstüchtige Protectinistin, der Golos — kurz, die Büthe der nationalen
russischen Presse. Die kostbaren russischen Monatsschriften zu halten, reichen
die Mittel der Gesellschaft leider nicht aus, — wie der freundliche Cicerone
berichtet. Aber zum Zeugniß dafür, daß die Sphäre russischen Einflusses und
russischen Geistes keineswegs mit den Grenzen des Reiches zusammenfällt, über
welches der rechtgläubige Zaar gebietet, ist die außer-russische panslavtstische
Presse vollzählig vertreten: das Slowo, derUtschitel, die zu Unghvär (Ostun¬
garn) erscheinende russische Wochenschrift solet und die übrigen russisch-gali-
zischen Blätter sind selbstverständlich, ebenso das polnische Blatt „Slaw-
jänin". dessen panslavtstische Richtung ebenso bekannt ist, wie der Zusam¬
menhang seines Herausgebers mit der russischen Regierung; aber auch die
Wiener „Zukunft" und der „Osten", zwei deutsche Organe des slavischen
Racenbewußtseins fehlen gleichfalls nicht, denn aus ihnen erfährt der Lemberger
Leser mit besonderer Ausführlichkeit, daß in Serbien, Bulgarien u. f. w.
slavische Brüder gleich ihm dulden, leiden — und hoffen. — Noch charakte¬
ristischer als dieser Zeitungstisch, den eine große Anzahl zumeist jugendlicher
Leser umlagert, ist aber die Ausschmückung der Wände dieses Gemachs, er
welchem sich der Kern der Lemberger Ruthenenpartet allabendlich zum Kar¬
tenspiel und zu traulichem Gespräch zusammenfindet. Mit der officiellen
östreichischen Welt hat man sich durch das kaiserliche Porträt im Saal abge¬
funden — hier folgt man allein dem Zuge des Herzens. Wer die beiden
auf uneingerahmten Oelbildern abgebildeten mittelalterlichen Helden sein sollen,
die schnurrbärtig aus die Enkel herabsehen, habe ich nicht erfahren können:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/432>, abgerufen am 29.06.2024.