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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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und langen dunkeln Bärten, die auf schwarze, glänzende nicht immer rein¬
liche Gewänder herabhängen. Von den 73,767 Menschen die der Ritter
von Schmedes (Geographisch-statistische Uebersicht Galiziens und der Bukowina
nach amtlichen Quellen. 2. Auflage Lemberg 1869) als Bewohner Lembergs
bezeichnet, sind mindestens 30 Procent Juden; da statistische Erhebungen der
Neuzeit nicht vorliegen und diese Schätzung um ein halbes Jahrzehnt zurück-
datirr, ist dieses Zahlenverhältniß eher zu niedrig als zu hoch gegriffen. --
Der Kleinhandel und ein nicht unbeträchtlicher Theil des Gewerbes sind in
den Händen dieser betriebsamen Race, die sich durch ihre Geschmeidigkeit und
Gewandtheit der Vornehmthuerei und Indolenz des Polen längst unentbehr¬
lich gemacht hat und deren Einfluß ebenso rasch zunimmt wie ihre nume¬
rische Stärke.

Noch vor zehn Jahren hielten die Juden es in Lemberg und in ganz
Galizien mit dem deutschen Element, dessen Sprache sie angenommen hatten,
und mit der deutschen Regierung, unter deren Schutz sie lebten. Seit den
letzten Jahren hat sich das wesentlich geändert und wenn die galizischen
Juden auch gegenwärtig nicht völlig, ja häufig minder polonisirt sind, als
die deutschen Bewohner des Landes, so hat das mehr in dem guten Willen
und den Gewohnheiten dieser Leute seinen Grund, als in der Macht der
Verhältnisse. Diese Macht ist seit den Jahren, in denen Graf Goluchowski
als k. k. Statthalter über Galizien waltete, dem deutschen Element vollständig
genommen und auf das polnische übertragen worden. Der nationale Gou¬
verneur hat es von dem Tage seiner Ernennung an, öffentlich und eingestan¬
dener Maßen für seine Ausgabe angesehen, Galiziens alt-polnischen Charakter
in illteZrum zu restituiren und die Erinnerung an das halbe Jahrhundert
deutsch-absolutistischer Beamtenherrschast nach Kräften auszumärzen; des Grafen
deutscher Nachfolger, der Statthalterei-Leiter von Possinger fand das Land so
vollständig polnischem Einfluß unterworfen vor, daß er seine Stellung nur
erhalten konnte, indem er sich bis an die Grenze des Möglichen unterordnete.
Alle Zweige der Justiz und Verwaltung sind allmälig in polnische Hände
übergegangen und die Deutsch-Oestreicher. welche in ihren Aemtern blieben,
mußten diese Gunst mit völliger Hingabe an das neue System bezahlen. Zum
Theil im Lande geboren oder in demselben acclimatisirt. nicht selten mit pol¬
nischen Frauen verheirathet oder polnisch erzogen, ist diesen Leuten das
Opfer ihrer Nationalität nicht allzu schwer geworden; der Rest hatte nur
die Wahl zwischen Verabschiedung oder Annahme eines Wartegeldes und da
die Regierung aus ihrem Willen, sich in Galizien künftig ausschließlich auf
das polnische Element zu stützen, kein Hehl machte, sind alle deutsch-östreichi¬
schen Beamten, die nicht in der Lage waren auszuwandern, gezwungen wor¬
den, mit dem Polenthum ihren Frieden zu machen und die schwarzgelbe


und langen dunkeln Bärten, die auf schwarze, glänzende nicht immer rein¬
liche Gewänder herabhängen. Von den 73,767 Menschen die der Ritter
von Schmedes (Geographisch-statistische Uebersicht Galiziens und der Bukowina
nach amtlichen Quellen. 2. Auflage Lemberg 1869) als Bewohner Lembergs
bezeichnet, sind mindestens 30 Procent Juden; da statistische Erhebungen der
Neuzeit nicht vorliegen und diese Schätzung um ein halbes Jahrzehnt zurück-
datirr, ist dieses Zahlenverhältniß eher zu niedrig als zu hoch gegriffen. —
Der Kleinhandel und ein nicht unbeträchtlicher Theil des Gewerbes sind in
den Händen dieser betriebsamen Race, die sich durch ihre Geschmeidigkeit und
Gewandtheit der Vornehmthuerei und Indolenz des Polen längst unentbehr¬
lich gemacht hat und deren Einfluß ebenso rasch zunimmt wie ihre nume¬
rische Stärke.

Noch vor zehn Jahren hielten die Juden es in Lemberg und in ganz
Galizien mit dem deutschen Element, dessen Sprache sie angenommen hatten,
und mit der deutschen Regierung, unter deren Schutz sie lebten. Seit den
letzten Jahren hat sich das wesentlich geändert und wenn die galizischen
Juden auch gegenwärtig nicht völlig, ja häufig minder polonisirt sind, als
die deutschen Bewohner des Landes, so hat das mehr in dem guten Willen
und den Gewohnheiten dieser Leute seinen Grund, als in der Macht der
Verhältnisse. Diese Macht ist seit den Jahren, in denen Graf Goluchowski
als k. k. Statthalter über Galizien waltete, dem deutschen Element vollständig
genommen und auf das polnische übertragen worden. Der nationale Gou¬
verneur hat es von dem Tage seiner Ernennung an, öffentlich und eingestan¬
dener Maßen für seine Ausgabe angesehen, Galiziens alt-polnischen Charakter
in illteZrum zu restituiren und die Erinnerung an das halbe Jahrhundert
deutsch-absolutistischer Beamtenherrschast nach Kräften auszumärzen; des Grafen
deutscher Nachfolger, der Statthalterei-Leiter von Possinger fand das Land so
vollständig polnischem Einfluß unterworfen vor, daß er seine Stellung nur
erhalten konnte, indem er sich bis an die Grenze des Möglichen unterordnete.
Alle Zweige der Justiz und Verwaltung sind allmälig in polnische Hände
übergegangen und die Deutsch-Oestreicher. welche in ihren Aemtern blieben,
mußten diese Gunst mit völliger Hingabe an das neue System bezahlen. Zum
Theil im Lande geboren oder in demselben acclimatisirt. nicht selten mit pol¬
nischen Frauen verheirathet oder polnisch erzogen, ist diesen Leuten das
Opfer ihrer Nationalität nicht allzu schwer geworden; der Rest hatte nur
die Wahl zwischen Verabschiedung oder Annahme eines Wartegeldes und da
die Regierung aus ihrem Willen, sich in Galizien künftig ausschließlich auf
das polnische Element zu stützen, kein Hehl machte, sind alle deutsch-östreichi¬
schen Beamten, die nicht in der Lage waren auszuwandern, gezwungen wor¬
den, mit dem Polenthum ihren Frieden zu machen und die schwarzgelbe


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[0429] und langen dunkeln Bärten, die auf schwarze, glänzende nicht immer rein¬ liche Gewänder herabhängen. Von den 73,767 Menschen die der Ritter von Schmedes (Geographisch-statistische Uebersicht Galiziens und der Bukowina nach amtlichen Quellen. 2. Auflage Lemberg 1869) als Bewohner Lembergs bezeichnet, sind mindestens 30 Procent Juden; da statistische Erhebungen der Neuzeit nicht vorliegen und diese Schätzung um ein halbes Jahrzehnt zurück- datirr, ist dieses Zahlenverhältniß eher zu niedrig als zu hoch gegriffen. — Der Kleinhandel und ein nicht unbeträchtlicher Theil des Gewerbes sind in den Händen dieser betriebsamen Race, die sich durch ihre Geschmeidigkeit und Gewandtheit der Vornehmthuerei und Indolenz des Polen längst unentbehr¬ lich gemacht hat und deren Einfluß ebenso rasch zunimmt wie ihre nume¬ rische Stärke. Noch vor zehn Jahren hielten die Juden es in Lemberg und in ganz Galizien mit dem deutschen Element, dessen Sprache sie angenommen hatten, und mit der deutschen Regierung, unter deren Schutz sie lebten. Seit den letzten Jahren hat sich das wesentlich geändert und wenn die galizischen Juden auch gegenwärtig nicht völlig, ja häufig minder polonisirt sind, als die deutschen Bewohner des Landes, so hat das mehr in dem guten Willen und den Gewohnheiten dieser Leute seinen Grund, als in der Macht der Verhältnisse. Diese Macht ist seit den Jahren, in denen Graf Goluchowski als k. k. Statthalter über Galizien waltete, dem deutschen Element vollständig genommen und auf das polnische übertragen worden. Der nationale Gou¬ verneur hat es von dem Tage seiner Ernennung an, öffentlich und eingestan¬ dener Maßen für seine Ausgabe angesehen, Galiziens alt-polnischen Charakter in illteZrum zu restituiren und die Erinnerung an das halbe Jahrhundert deutsch-absolutistischer Beamtenherrschast nach Kräften auszumärzen; des Grafen deutscher Nachfolger, der Statthalterei-Leiter von Possinger fand das Land so vollständig polnischem Einfluß unterworfen vor, daß er seine Stellung nur erhalten konnte, indem er sich bis an die Grenze des Möglichen unterordnete. Alle Zweige der Justiz und Verwaltung sind allmälig in polnische Hände übergegangen und die Deutsch-Oestreicher. welche in ihren Aemtern blieben, mußten diese Gunst mit völliger Hingabe an das neue System bezahlen. Zum Theil im Lande geboren oder in demselben acclimatisirt. nicht selten mit pol¬ nischen Frauen verheirathet oder polnisch erzogen, ist diesen Leuten das Opfer ihrer Nationalität nicht allzu schwer geworden; der Rest hatte nur die Wahl zwischen Verabschiedung oder Annahme eines Wartegeldes und da die Regierung aus ihrem Willen, sich in Galizien künftig ausschließlich auf das polnische Element zu stützen, kein Hehl machte, sind alle deutsch-östreichi¬ schen Beamten, die nicht in der Lage waren auszuwandern, gezwungen wor¬ den, mit dem Polenthum ihren Frieden zu machen und die schwarzgelbe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/429>, abgerufen am 29.06.2024.