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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Fahne einzuziehen. Sämmtliche Behörden des Landes (mit Ausnahme der
Universität) verhandeln und correspondiren in polnischer Sprache, sämmtliche
Formulare, Unterdeckel, Aufschriften auf öffentlichen Gebäuden sind polnisch
und so groß ist die Eifersucht der in ihr altes Recht wieder eingesetzten Na¬
tionalität, daß selbst die deutschen Uebersetzungen der Inschriften auf den
Briefkasten künstig aufhören sollen. -- Natürlich hat das Beispiel der Be¬
amtenwelt, -- deren Verhalten allenthalben als Ausdruck des Regierungs¬
willens angesehen wird -- auf die übrigen deutschen, beziehungsweise nicht¬
polnischen Kreise entscheidend eingewirkt und auch diese sind in voller
Polonisirung begriffen.

Entscheidend auch sür ihre Zukunft wird das Geschick der Lemberger Hoch¬
schule sein; von Joseph II. als deutsche Universität gestisret, in der juristischen
und philosophischen Facultät ausschließlich mit deutschen Ordinarprofessoren
besetzt*), erscheint diese Anstalt in dem eigentlichsten Wesen ihrer Existenz be¬
droht, seit der neuerdings eingeführte polnische Gymnasialunterricht ihre
Schüler um die Fähigkeit bringt, den deutschen Vorträgen ihrer Lehrer zu
folgen und seit die Anstellung polnischer Supplenten (neben den deutschen
Ordinarien) der studirenden Jugend die Möglichkeit bietet, die eigentlichen
Universitätslehrer zur Seite schieben. Der Lchrkö-per der Lemberger Univer¬
sität hat darum nur seine Pflicht gethan, indem er die Verlegung dieser
Anstalt in eine der deutschen Provinzen des Reichs im Dec. des I. 1869 bean-
tragte. Es erscheint geradezu sinnlos, in einem Lande dessen polnischer Cha¬
rakter zweifellos und staatlich anerkannt ist, dessen Schulen und Behörden
längst aufgehört haben, auch nur dem Namen nach deutsch zu sein -- in
einem solchen Lande eine deutsche Hochschule zu erhalten und gleichzeitig deren
Lehrer durch die Anstellung polnischer Supplenten trocken zu legen. Die
deutsche Universität Lewberg ist unmöglich geworden, -- ihre Polonisirung
erscheint unrathsam, da die Stiftung eine deutsche ist, das Institut aus
Reichsmitteln erhalten wird und die drei Millionen starke polnische Bevölke¬
rung in Krakau bereits eine eigene nationale Hochschule besitzt. Diesen Grün¬
den gegenüber erscheinen alle Argumente der Polen für Erhaltung der An¬
stalt hinfällig und was die Ruthenen anlangt, so haben diese nie eine eigene
Universität, sondern nur eine theologische Facultät besessen, die ihnen ja ge¬
lassen werden kann. Nichtsdestoweniger ist der Antrag des academischen
Senats von Lemberg in Wien abschläglich beschicken und damit die Noth¬
wendigkeit, in Galizien zwei polnische Universitäten zu erhalten, wenigstens in-
direct anerkannt worden. Seit in den Gymnasien polnisch unterrichtet wird



") Eine medicinische Facultät besitzt diese Universität nicht, die theologische Facultät ist zur
Ausbildung griechisch-unirter Geistlicher bestimmt und wird demgemäß von Lehrern ruthenischer
Nationalität geleitet.

Fahne einzuziehen. Sämmtliche Behörden des Landes (mit Ausnahme der
Universität) verhandeln und correspondiren in polnischer Sprache, sämmtliche
Formulare, Unterdeckel, Aufschriften auf öffentlichen Gebäuden sind polnisch
und so groß ist die Eifersucht der in ihr altes Recht wieder eingesetzten Na¬
tionalität, daß selbst die deutschen Uebersetzungen der Inschriften auf den
Briefkasten künstig aufhören sollen. — Natürlich hat das Beispiel der Be¬
amtenwelt, — deren Verhalten allenthalben als Ausdruck des Regierungs¬
willens angesehen wird — auf die übrigen deutschen, beziehungsweise nicht¬
polnischen Kreise entscheidend eingewirkt und auch diese sind in voller
Polonisirung begriffen.

Entscheidend auch sür ihre Zukunft wird das Geschick der Lemberger Hoch¬
schule sein; von Joseph II. als deutsche Universität gestisret, in der juristischen
und philosophischen Facultät ausschließlich mit deutschen Ordinarprofessoren
besetzt*), erscheint diese Anstalt in dem eigentlichsten Wesen ihrer Existenz be¬
droht, seit der neuerdings eingeführte polnische Gymnasialunterricht ihre
Schüler um die Fähigkeit bringt, den deutschen Vorträgen ihrer Lehrer zu
folgen und seit die Anstellung polnischer Supplenten (neben den deutschen
Ordinarien) der studirenden Jugend die Möglichkeit bietet, die eigentlichen
Universitätslehrer zur Seite schieben. Der Lchrkö-per der Lemberger Univer¬
sität hat darum nur seine Pflicht gethan, indem er die Verlegung dieser
Anstalt in eine der deutschen Provinzen des Reichs im Dec. des I. 1869 bean-
tragte. Es erscheint geradezu sinnlos, in einem Lande dessen polnischer Cha¬
rakter zweifellos und staatlich anerkannt ist, dessen Schulen und Behörden
längst aufgehört haben, auch nur dem Namen nach deutsch zu sein — in
einem solchen Lande eine deutsche Hochschule zu erhalten und gleichzeitig deren
Lehrer durch die Anstellung polnischer Supplenten trocken zu legen. Die
deutsche Universität Lewberg ist unmöglich geworden, — ihre Polonisirung
erscheint unrathsam, da die Stiftung eine deutsche ist, das Institut aus
Reichsmitteln erhalten wird und die drei Millionen starke polnische Bevölke¬
rung in Krakau bereits eine eigene nationale Hochschule besitzt. Diesen Grün¬
den gegenüber erscheinen alle Argumente der Polen für Erhaltung der An¬
stalt hinfällig und was die Ruthenen anlangt, so haben diese nie eine eigene
Universität, sondern nur eine theologische Facultät besessen, die ihnen ja ge¬
lassen werden kann. Nichtsdestoweniger ist der Antrag des academischen
Senats von Lemberg in Wien abschläglich beschicken und damit die Noth¬
wendigkeit, in Galizien zwei polnische Universitäten zu erhalten, wenigstens in-
direct anerkannt worden. Seit in den Gymnasien polnisch unterrichtet wird



") Eine medicinische Facultät besitzt diese Universität nicht, die theologische Facultät ist zur
Ausbildung griechisch-unirter Geistlicher bestimmt und wird demgemäß von Lehrern ruthenischer
Nationalität geleitet.
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[0430] Fahne einzuziehen. Sämmtliche Behörden des Landes (mit Ausnahme der Universität) verhandeln und correspondiren in polnischer Sprache, sämmtliche Formulare, Unterdeckel, Aufschriften auf öffentlichen Gebäuden sind polnisch und so groß ist die Eifersucht der in ihr altes Recht wieder eingesetzten Na¬ tionalität, daß selbst die deutschen Uebersetzungen der Inschriften auf den Briefkasten künstig aufhören sollen. — Natürlich hat das Beispiel der Be¬ amtenwelt, — deren Verhalten allenthalben als Ausdruck des Regierungs¬ willens angesehen wird — auf die übrigen deutschen, beziehungsweise nicht¬ polnischen Kreise entscheidend eingewirkt und auch diese sind in voller Polonisirung begriffen. Entscheidend auch sür ihre Zukunft wird das Geschick der Lemberger Hoch¬ schule sein; von Joseph II. als deutsche Universität gestisret, in der juristischen und philosophischen Facultät ausschließlich mit deutschen Ordinarprofessoren besetzt*), erscheint diese Anstalt in dem eigentlichsten Wesen ihrer Existenz be¬ droht, seit der neuerdings eingeführte polnische Gymnasialunterricht ihre Schüler um die Fähigkeit bringt, den deutschen Vorträgen ihrer Lehrer zu folgen und seit die Anstellung polnischer Supplenten (neben den deutschen Ordinarien) der studirenden Jugend die Möglichkeit bietet, die eigentlichen Universitätslehrer zur Seite schieben. Der Lchrkö-per der Lemberger Univer¬ sität hat darum nur seine Pflicht gethan, indem er die Verlegung dieser Anstalt in eine der deutschen Provinzen des Reichs im Dec. des I. 1869 bean- tragte. Es erscheint geradezu sinnlos, in einem Lande dessen polnischer Cha¬ rakter zweifellos und staatlich anerkannt ist, dessen Schulen und Behörden längst aufgehört haben, auch nur dem Namen nach deutsch zu sein — in einem solchen Lande eine deutsche Hochschule zu erhalten und gleichzeitig deren Lehrer durch die Anstellung polnischer Supplenten trocken zu legen. Die deutsche Universität Lewberg ist unmöglich geworden, — ihre Polonisirung erscheint unrathsam, da die Stiftung eine deutsche ist, das Institut aus Reichsmitteln erhalten wird und die drei Millionen starke polnische Bevölke¬ rung in Krakau bereits eine eigene nationale Hochschule besitzt. Diesen Grün¬ den gegenüber erscheinen alle Argumente der Polen für Erhaltung der An¬ stalt hinfällig und was die Ruthenen anlangt, so haben diese nie eine eigene Universität, sondern nur eine theologische Facultät besessen, die ihnen ja ge¬ lassen werden kann. Nichtsdestoweniger ist der Antrag des academischen Senats von Lemberg in Wien abschläglich beschicken und damit die Noth¬ wendigkeit, in Galizien zwei polnische Universitäten zu erhalten, wenigstens in- direct anerkannt worden. Seit in den Gymnasien polnisch unterrichtet wird ") Eine medicinische Facultät besitzt diese Universität nicht, die theologische Facultät ist zur Ausbildung griechisch-unirter Geistlicher bestimmt und wird demgemäß von Lehrern ruthenischer Nationalität geleitet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/430>, abgerufen am 29.06.2024.