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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Haus nur drei Fenster zur Straße hat. So wollte es eine Vorschrift der
hier giltig gewesenen Bearbeitung des Magdeburgischen Stadtrechts und ob
dieselbe gleich längst abrogirt ist. sind die Bürgerhäuser geblieben, was sie
waren und am "Ring" bildet diese Bauart noch heute die Regel.
'

Hat man diesen städtischen Mittelpunkt erreicht, so fühlt man sich freilich
über die Erwartungen enttäuscht, .welche das ziemlich anständige Aussehen
gewisser Theile der Haliczer und der langen Gasse vielleicht erregt hatte. In
der Mitte eines ziemlich großen gepflasterten, aber natürlich höchst schmutzi¬
gen Platzes, auf den unschöne, zum Theil mit Läden ausgestattete dreistöckige
Häuser hinabsehen, liegt ein gelb getünchtes schmuckloses Gebäude, das ebenso
langweilig aussieht, wie der viereckige, philiströse Thurm, der aus seiner Mitte
hervorragt. Es ist das von vier unschönen, seinen Ecken gegenüberliegenden
Gypsfiguren umgebene Rathhaus, in dem die Väter der Stadt sich versam¬
meln und verschiedene Gerichte ihre Sitzungen abhalten, das eine Bedeutung
für die gebildeten Bewohner der Stadt aber nur in den kurzen Wochen hat,
wo es den Mittelpunkt der Wahl bildet. Sich an dem Communalleben
einer bloßen Provinzialstadt, eines Rehes, in dem zahlreiche Deutsche. Juden
und Nuthenen wohnen, zu betheiligen, fällt dem polnischen Politiker, der
sich nicht gern mit Kleinigkeiten abgibt, selbstverständlich nicht ein; wahr¬
scheinlich aus diesem Grunde haben die Straßen es weder zum Pflaster noch
zu allgemein giltigen Namen gebracht. Die alten Straßennamen sind zum
Theil außer Uebung gekommen, zum Theil absichtlich abgeschafft worden; in
den neuen Stadttheilen hat man es zu dem Luxus solcher Bezeichnungen
noch nicht gebracht. Schuld daran soll der lebhafte, wenn auch nicht ge¬
hörig erleuchtete Patriotismus der Lemberger Stadträthe sein, welche sich nicht
darüber zu einigen vermögen, welchen der zahlreichen nationalen Helden
die Ehre des Straßenpalronats zuerkannt werden soll.

Unter den übrigen öffentlichen Gebäuden des Orts ist überhaupt keines das
auf besondere Beachtung Anspruch erheben dürfte. Hing vor dem Narodny-Dom
nicht das Schild mit dem goldenen Löwen von Halicz, wäre das Skarbek-Theater
nicht mit Arkaden, das Regierungsgebäude nicht mit dem zweiköpfigen Adler
geschmückt -- Niemand würde vermuthen, daß diese Häuser mehr als Privat¬
häuser sind. Wo das Landtagshaus liegt, habe ich nicht erfahren können
und alle Welt sagte mir, daß es nicht verlohne dasselbe aufzusuchen. Die
unter Joseph II. gestiftete Universität, welche an dem Fuß einer Anhöhe
liegt, ist gleichfalls in einem Bau der gewöhnlichsten Art untergebracht und
wenn man die Säulen in Abzug bringt, welche sein Portal zieren, hat auch
das Ossolineum (das Gebäude, in welchem die große vom Grafen Ossolinski
gestiftete polnische Nationalbibliothek aufgestellt ist) keine architectonischen
Reize aufzuweisen. -- Nicht besser ist es um die Kirchen und Klöster Lein-


Haus nur drei Fenster zur Straße hat. So wollte es eine Vorschrift der
hier giltig gewesenen Bearbeitung des Magdeburgischen Stadtrechts und ob
dieselbe gleich längst abrogirt ist. sind die Bürgerhäuser geblieben, was sie
waren und am „Ring" bildet diese Bauart noch heute die Regel.
'

Hat man diesen städtischen Mittelpunkt erreicht, so fühlt man sich freilich
über die Erwartungen enttäuscht, .welche das ziemlich anständige Aussehen
gewisser Theile der Haliczer und der langen Gasse vielleicht erregt hatte. In
der Mitte eines ziemlich großen gepflasterten, aber natürlich höchst schmutzi¬
gen Platzes, auf den unschöne, zum Theil mit Läden ausgestattete dreistöckige
Häuser hinabsehen, liegt ein gelb getünchtes schmuckloses Gebäude, das ebenso
langweilig aussieht, wie der viereckige, philiströse Thurm, der aus seiner Mitte
hervorragt. Es ist das von vier unschönen, seinen Ecken gegenüberliegenden
Gypsfiguren umgebene Rathhaus, in dem die Väter der Stadt sich versam¬
meln und verschiedene Gerichte ihre Sitzungen abhalten, das eine Bedeutung
für die gebildeten Bewohner der Stadt aber nur in den kurzen Wochen hat,
wo es den Mittelpunkt der Wahl bildet. Sich an dem Communalleben
einer bloßen Provinzialstadt, eines Rehes, in dem zahlreiche Deutsche. Juden
und Nuthenen wohnen, zu betheiligen, fällt dem polnischen Politiker, der
sich nicht gern mit Kleinigkeiten abgibt, selbstverständlich nicht ein; wahr¬
scheinlich aus diesem Grunde haben die Straßen es weder zum Pflaster noch
zu allgemein giltigen Namen gebracht. Die alten Straßennamen sind zum
Theil außer Uebung gekommen, zum Theil absichtlich abgeschafft worden; in
den neuen Stadttheilen hat man es zu dem Luxus solcher Bezeichnungen
noch nicht gebracht. Schuld daran soll der lebhafte, wenn auch nicht ge¬
hörig erleuchtete Patriotismus der Lemberger Stadträthe sein, welche sich nicht
darüber zu einigen vermögen, welchen der zahlreichen nationalen Helden
die Ehre des Straßenpalronats zuerkannt werden soll.

Unter den übrigen öffentlichen Gebäuden des Orts ist überhaupt keines das
auf besondere Beachtung Anspruch erheben dürfte. Hing vor dem Narodny-Dom
nicht das Schild mit dem goldenen Löwen von Halicz, wäre das Skarbek-Theater
nicht mit Arkaden, das Regierungsgebäude nicht mit dem zweiköpfigen Adler
geschmückt — Niemand würde vermuthen, daß diese Häuser mehr als Privat¬
häuser sind. Wo das Landtagshaus liegt, habe ich nicht erfahren können
und alle Welt sagte mir, daß es nicht verlohne dasselbe aufzusuchen. Die
unter Joseph II. gestiftete Universität, welche an dem Fuß einer Anhöhe
liegt, ist gleichfalls in einem Bau der gewöhnlichsten Art untergebracht und
wenn man die Säulen in Abzug bringt, welche sein Portal zieren, hat auch
das Ossolineum (das Gebäude, in welchem die große vom Grafen Ossolinski
gestiftete polnische Nationalbibliothek aufgestellt ist) keine architectonischen
Reize aufzuweisen. — Nicht besser ist es um die Kirchen und Klöster Lein-


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[0427] Haus nur drei Fenster zur Straße hat. So wollte es eine Vorschrift der hier giltig gewesenen Bearbeitung des Magdeburgischen Stadtrechts und ob dieselbe gleich längst abrogirt ist. sind die Bürgerhäuser geblieben, was sie waren und am „Ring" bildet diese Bauart noch heute die Regel. ' Hat man diesen städtischen Mittelpunkt erreicht, so fühlt man sich freilich über die Erwartungen enttäuscht, .welche das ziemlich anständige Aussehen gewisser Theile der Haliczer und der langen Gasse vielleicht erregt hatte. In der Mitte eines ziemlich großen gepflasterten, aber natürlich höchst schmutzi¬ gen Platzes, auf den unschöne, zum Theil mit Läden ausgestattete dreistöckige Häuser hinabsehen, liegt ein gelb getünchtes schmuckloses Gebäude, das ebenso langweilig aussieht, wie der viereckige, philiströse Thurm, der aus seiner Mitte hervorragt. Es ist das von vier unschönen, seinen Ecken gegenüberliegenden Gypsfiguren umgebene Rathhaus, in dem die Väter der Stadt sich versam¬ meln und verschiedene Gerichte ihre Sitzungen abhalten, das eine Bedeutung für die gebildeten Bewohner der Stadt aber nur in den kurzen Wochen hat, wo es den Mittelpunkt der Wahl bildet. Sich an dem Communalleben einer bloßen Provinzialstadt, eines Rehes, in dem zahlreiche Deutsche. Juden und Nuthenen wohnen, zu betheiligen, fällt dem polnischen Politiker, der sich nicht gern mit Kleinigkeiten abgibt, selbstverständlich nicht ein; wahr¬ scheinlich aus diesem Grunde haben die Straßen es weder zum Pflaster noch zu allgemein giltigen Namen gebracht. Die alten Straßennamen sind zum Theil außer Uebung gekommen, zum Theil absichtlich abgeschafft worden; in den neuen Stadttheilen hat man es zu dem Luxus solcher Bezeichnungen noch nicht gebracht. Schuld daran soll der lebhafte, wenn auch nicht ge¬ hörig erleuchtete Patriotismus der Lemberger Stadträthe sein, welche sich nicht darüber zu einigen vermögen, welchen der zahlreichen nationalen Helden die Ehre des Straßenpalronats zuerkannt werden soll. Unter den übrigen öffentlichen Gebäuden des Orts ist überhaupt keines das auf besondere Beachtung Anspruch erheben dürfte. Hing vor dem Narodny-Dom nicht das Schild mit dem goldenen Löwen von Halicz, wäre das Skarbek-Theater nicht mit Arkaden, das Regierungsgebäude nicht mit dem zweiköpfigen Adler geschmückt — Niemand würde vermuthen, daß diese Häuser mehr als Privat¬ häuser sind. Wo das Landtagshaus liegt, habe ich nicht erfahren können und alle Welt sagte mir, daß es nicht verlohne dasselbe aufzusuchen. Die unter Joseph II. gestiftete Universität, welche an dem Fuß einer Anhöhe liegt, ist gleichfalls in einem Bau der gewöhnlichsten Art untergebracht und wenn man die Säulen in Abzug bringt, welche sein Portal zieren, hat auch das Ossolineum (das Gebäude, in welchem die große vom Grafen Ossolinski gestiftete polnische Nationalbibliothek aufgestellt ist) keine architectonischen Reize aufzuweisen. — Nicht besser ist es um die Kirchen und Klöster Lein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/427>, abgerufen am 29.06.2024.