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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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durch eine zu große Masse von Gebäuden geschieden ist, um für ihre Fort¬
setzung gelten zu können.

Obgleich in den vier ausgedehnten Vorstädten (Krakauer, Zolkiewer, Haliczer,
Brodyer Vorstadt, zu denen noch die sogenannte neue Welt kommt, die auf
der Höhe des Swenli Jur liegt) sehr viel mehr neue und stattliche Häuser
liegen als in der Altstadt, erscheint diese doch als der wichtigste Theil Lem-
bergs. Gepflastert sind die Straßen, die vom Marien- und Bernhardiner-Platz
oder vom Holzmarkt zum "Ring" führen, freilich ebensowenig wie die
Jesuiter- oder die Lazarusgasse und die Zahl der in den Vorstädten belegenen
Klöster und Kirchen ist beträchtlicher als die der altstädtischen. Aber in Lem-
berg ist es zugegangen wie in vielen anderen slavischen Städten. Wo hier der
Nahmen altvaterischer Bauart verlassen und die Gestaltung der neuen Gassen
von dem Geschmack der vorstädtischen Bauliebhaber abhängig gemacht wird,
laufe" dieselben Gefahr -- sit venia verbo -- zu verwildern und den städtischen
Charakter zu verlieren, ost ehe sie es noch zu einem solchen gebracht haben.
Bald sind die Plätze, welche um die einzelnen Neubauten leer gelassen blie¬
ben, so ungethümlich groß, daß diese den Eindruck von zerstreuten Höfen
machen -- bald sind die Häuser in Größe, Bauart, Material u. f. w. so
ungleich, daß sie nicht zusammenzugehören, oder nicht zusammenwachsen
zu können scheinen, -- oder die Straßenlinie wird nicht inne gehalten:
da in jedem Fall außerdem das Pflaster fehlt, tragen die vor den Thoren
slavischer Städte belegenen Neubauten fast immer einen unstädtischen Cha¬
rakter.

So ist es auch in Lemberg zugegangen. Trotz der einzelnen prächtigen
Häuser, die man beim Durchwandern der Jesuiterstraße oder der Georgs¬
gasse kennen lernt, wird man nicht leicht auf den Gedanken kommen, hier
wirkliches Städteleben vor sich zu haben. Anders im Weichbilde der Stadt,
wo die Häuser dicht bei einander stehen, in ihren Erdgeschossen Läden ent¬
halten, durch Trottoirs verbunden sind und wenigstens hie und da eine aus¬
geprägte Physiognomie zeigen. Wenn man vom Haliczer Platz durch die
ziemlich rasch ansteigende Haliczer Straße auf den "Ring" gelangt, oder sei¬
nen Weg vom Marienplatz durch die "lange Gasse" am "heiligen Geist¬
platz", der Dom- und der Stanislauskirche vorüber zum Narodny-Dom oder
zum Theater nimmt, so hat man einen vollständig städtischen, fast mittelalterlichen
Eindruck. Von der vornehmen stylvollen Ruhe Krakaus ist hier freilich ebenso
wenig die Rede, wie von dem gesättigten Gefühl, das sich aus der Be¬
trachtung einer altdeutschen Stadt schöpfen läßt. Die Häuser sehen meist
höchst mesquin aus, weil sie kleine Fenster haben, fast ausnamslos schlecht
gehalten sind und jeder Art von Styl entbehren; alterthümlich erscheinen sie
aber dennoch, schon weil jedes in den älteren Stadttheilen belegsne Privat-


durch eine zu große Masse von Gebäuden geschieden ist, um für ihre Fort¬
setzung gelten zu können.

Obgleich in den vier ausgedehnten Vorstädten (Krakauer, Zolkiewer, Haliczer,
Brodyer Vorstadt, zu denen noch die sogenannte neue Welt kommt, die auf
der Höhe des Swenli Jur liegt) sehr viel mehr neue und stattliche Häuser
liegen als in der Altstadt, erscheint diese doch als der wichtigste Theil Lem-
bergs. Gepflastert sind die Straßen, die vom Marien- und Bernhardiner-Platz
oder vom Holzmarkt zum „Ring" führen, freilich ebensowenig wie die
Jesuiter- oder die Lazarusgasse und die Zahl der in den Vorstädten belegenen
Klöster und Kirchen ist beträchtlicher als die der altstädtischen. Aber in Lem-
berg ist es zugegangen wie in vielen anderen slavischen Städten. Wo hier der
Nahmen altvaterischer Bauart verlassen und die Gestaltung der neuen Gassen
von dem Geschmack der vorstädtischen Bauliebhaber abhängig gemacht wird,
laufe» dieselben Gefahr — sit venia verbo — zu verwildern und den städtischen
Charakter zu verlieren, ost ehe sie es noch zu einem solchen gebracht haben.
Bald sind die Plätze, welche um die einzelnen Neubauten leer gelassen blie¬
ben, so ungethümlich groß, daß diese den Eindruck von zerstreuten Höfen
machen — bald sind die Häuser in Größe, Bauart, Material u. f. w. so
ungleich, daß sie nicht zusammenzugehören, oder nicht zusammenwachsen
zu können scheinen, — oder die Straßenlinie wird nicht inne gehalten:
da in jedem Fall außerdem das Pflaster fehlt, tragen die vor den Thoren
slavischer Städte belegenen Neubauten fast immer einen unstädtischen Cha¬
rakter.

So ist es auch in Lemberg zugegangen. Trotz der einzelnen prächtigen
Häuser, die man beim Durchwandern der Jesuiterstraße oder der Georgs¬
gasse kennen lernt, wird man nicht leicht auf den Gedanken kommen, hier
wirkliches Städteleben vor sich zu haben. Anders im Weichbilde der Stadt,
wo die Häuser dicht bei einander stehen, in ihren Erdgeschossen Läden ent¬
halten, durch Trottoirs verbunden sind und wenigstens hie und da eine aus¬
geprägte Physiognomie zeigen. Wenn man vom Haliczer Platz durch die
ziemlich rasch ansteigende Haliczer Straße auf den „Ring" gelangt, oder sei¬
nen Weg vom Marienplatz durch die „lange Gasse" am „heiligen Geist¬
platz", der Dom- und der Stanislauskirche vorüber zum Narodny-Dom oder
zum Theater nimmt, so hat man einen vollständig städtischen, fast mittelalterlichen
Eindruck. Von der vornehmen stylvollen Ruhe Krakaus ist hier freilich ebenso
wenig die Rede, wie von dem gesättigten Gefühl, das sich aus der Be¬
trachtung einer altdeutschen Stadt schöpfen läßt. Die Häuser sehen meist
höchst mesquin aus, weil sie kleine Fenster haben, fast ausnamslos schlecht
gehalten sind und jeder Art von Styl entbehren; alterthümlich erscheinen sie
aber dennoch, schon weil jedes in den älteren Stadttheilen belegsne Privat-


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[0426] durch eine zu große Masse von Gebäuden geschieden ist, um für ihre Fort¬ setzung gelten zu können. Obgleich in den vier ausgedehnten Vorstädten (Krakauer, Zolkiewer, Haliczer, Brodyer Vorstadt, zu denen noch die sogenannte neue Welt kommt, die auf der Höhe des Swenli Jur liegt) sehr viel mehr neue und stattliche Häuser liegen als in der Altstadt, erscheint diese doch als der wichtigste Theil Lem- bergs. Gepflastert sind die Straßen, die vom Marien- und Bernhardiner-Platz oder vom Holzmarkt zum „Ring" führen, freilich ebensowenig wie die Jesuiter- oder die Lazarusgasse und die Zahl der in den Vorstädten belegenen Klöster und Kirchen ist beträchtlicher als die der altstädtischen. Aber in Lem- berg ist es zugegangen wie in vielen anderen slavischen Städten. Wo hier der Nahmen altvaterischer Bauart verlassen und die Gestaltung der neuen Gassen von dem Geschmack der vorstädtischen Bauliebhaber abhängig gemacht wird, laufe» dieselben Gefahr — sit venia verbo — zu verwildern und den städtischen Charakter zu verlieren, ost ehe sie es noch zu einem solchen gebracht haben. Bald sind die Plätze, welche um die einzelnen Neubauten leer gelassen blie¬ ben, so ungethümlich groß, daß diese den Eindruck von zerstreuten Höfen machen — bald sind die Häuser in Größe, Bauart, Material u. f. w. so ungleich, daß sie nicht zusammenzugehören, oder nicht zusammenwachsen zu können scheinen, — oder die Straßenlinie wird nicht inne gehalten: da in jedem Fall außerdem das Pflaster fehlt, tragen die vor den Thoren slavischer Städte belegenen Neubauten fast immer einen unstädtischen Cha¬ rakter. So ist es auch in Lemberg zugegangen. Trotz der einzelnen prächtigen Häuser, die man beim Durchwandern der Jesuiterstraße oder der Georgs¬ gasse kennen lernt, wird man nicht leicht auf den Gedanken kommen, hier wirkliches Städteleben vor sich zu haben. Anders im Weichbilde der Stadt, wo die Häuser dicht bei einander stehen, in ihren Erdgeschossen Läden ent¬ halten, durch Trottoirs verbunden sind und wenigstens hie und da eine aus¬ geprägte Physiognomie zeigen. Wenn man vom Haliczer Platz durch die ziemlich rasch ansteigende Haliczer Straße auf den „Ring" gelangt, oder sei¬ nen Weg vom Marienplatz durch die „lange Gasse" am „heiligen Geist¬ platz", der Dom- und der Stanislauskirche vorüber zum Narodny-Dom oder zum Theater nimmt, so hat man einen vollständig städtischen, fast mittelalterlichen Eindruck. Von der vornehmen stylvollen Ruhe Krakaus ist hier freilich ebenso wenig die Rede, wie von dem gesättigten Gefühl, das sich aus der Be¬ trachtung einer altdeutschen Stadt schöpfen läßt. Die Häuser sehen meist höchst mesquin aus, weil sie kleine Fenster haben, fast ausnamslos schlecht gehalten sind und jeder Art von Styl entbehren; alterthümlich erscheinen sie aber dennoch, schon weil jedes in den älteren Stadttheilen belegsne Privat-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/426>, abgerufen am 29.06.2024.