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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Theil aus Baumgängen und grünenden Gärten hervorsehen, einen statiöser
Eindruck. Die Schönheit der Linie, welche durch die Höhen des Kessels von
Lemberg beschrieben wird, gibt dem Beschauer eine Vorstellung davon, was er
zu erwarten hat. wenn erst die Bergwelt der Karpathen ihre wilden Zauber
vor ihm aufthut: und diese Welt liegt ihm näher, als er glaubt. Hat er
den Gipfel des Berges bestiegen, auf welchem einst die alte Löwenburg stand,
hat er sein Auge an der Betrachtung der galizischen Hauptstadt gesättigt, (die
von hier aus gesehen, einen sehr viel größeren und schöneren Eindruck macht,
als bei näherer Bekanntschaft) und wendet er sich dann nach Westen, so
harrt seiner eine Ueberraschung, deren Zauber er sich sicher nicht entziehen
wird. Die weite lachende Ebene, in welche eine Reihe von noch zur Stadt
gehörigen Häusern hinausragt und durch welche das Dampfroß schnaubend seinen
Weg nimmt, ist abgegrenzt durch eine malerische Bergkette, deren Conturen noch
reinere Linien zeigen als die Gipfel der Lemberger Kesselwand und über diese
Kette zieht eine zweite, kühnere ihre Bogen, endlich eine dritte, die sich in dem
blauen Dämmer verliert, der über der reizenden abendlichen Landschaft liegt.
Es sind die Karpathen, welche die fruchtbare Ebene Galiziens im Westen
abschließen und in wenig mehr als eine Tagereise erreicht werden können, um
dem Wanderer, der von den Ansprüchen occidentalen Comforts frei zu werden
vermag, die Natur in einer reichen ungebändigten Schönheit zu zeigen. In
die köstliche Wildheit dieser Natur dringen zu dürfen, erscheint doppelt an¬
ziehend, wo die Cultur es zu gesunden Lebensgestaltungen nicht zu bringen
vermocht hat. wo das Glück ihrer Herrschaft sich von der zweifelhaftesten Seite
zeigt und der Gegensatz seit Jahrhunderten feindlicher Volksstämme die Qual
civilisirten Daseins über das gewöhnliche Maß hinaus aufhäuft.

Und doch müssen wir zu den Häusern und Menschen hinabsteigen, die
am Ufer des Pellew sitzen und die Mitspieler und nächste Zuschauer des Natio-
nalitätenkampss in Galizien sind. -- Gleich der Mehrzahl der im Mittelalter
erbauten Städte besteht auch Lemberg aus einem kleinen, einst wallumgürtet
gewesenen Stadtkern, um den sich ungleich ausgedehntere Vorstädte krvstalli-
sirt haben. Nur nach einer Seite hin sind Stadt und Vorstädte Lembergs
durch den Baumgang geschieden, der zu den unfehlbaren Attributen eines
befestigt gewesenen Orts gehört. In die Zolkiewer und Krakauer Vorstädte
geräth man. ehe man sichs versieht, und die großen schmutzigen Plätze (Salz¬
mark, Krakauer-Platz, Holz-Platz), welche hier an die Stelle der Befesti¬
gung getreten sind, erscheinen auf der städtischen Seite ebensowenig anziehend
oder würdig, wie auf der vorstädtischen. Auf der Westseite wird die Grenze
des ehemaligen Weichbildes entweder durch Bergwände oder durch Straßen
bezeichnet, denen man ihre besondere Bedeutung nicht abmerkt; nur eine einzige
ziemlich kurze Strecke zeigt auch hier eine Allee, die aber von der der Ostseite


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Theil aus Baumgängen und grünenden Gärten hervorsehen, einen statiöser
Eindruck. Die Schönheit der Linie, welche durch die Höhen des Kessels von
Lemberg beschrieben wird, gibt dem Beschauer eine Vorstellung davon, was er
zu erwarten hat. wenn erst die Bergwelt der Karpathen ihre wilden Zauber
vor ihm aufthut: und diese Welt liegt ihm näher, als er glaubt. Hat er
den Gipfel des Berges bestiegen, auf welchem einst die alte Löwenburg stand,
hat er sein Auge an der Betrachtung der galizischen Hauptstadt gesättigt, (die
von hier aus gesehen, einen sehr viel größeren und schöneren Eindruck macht,
als bei näherer Bekanntschaft) und wendet er sich dann nach Westen, so
harrt seiner eine Ueberraschung, deren Zauber er sich sicher nicht entziehen
wird. Die weite lachende Ebene, in welche eine Reihe von noch zur Stadt
gehörigen Häusern hinausragt und durch welche das Dampfroß schnaubend seinen
Weg nimmt, ist abgegrenzt durch eine malerische Bergkette, deren Conturen noch
reinere Linien zeigen als die Gipfel der Lemberger Kesselwand und über diese
Kette zieht eine zweite, kühnere ihre Bogen, endlich eine dritte, die sich in dem
blauen Dämmer verliert, der über der reizenden abendlichen Landschaft liegt.
Es sind die Karpathen, welche die fruchtbare Ebene Galiziens im Westen
abschließen und in wenig mehr als eine Tagereise erreicht werden können, um
dem Wanderer, der von den Ansprüchen occidentalen Comforts frei zu werden
vermag, die Natur in einer reichen ungebändigten Schönheit zu zeigen. In
die köstliche Wildheit dieser Natur dringen zu dürfen, erscheint doppelt an¬
ziehend, wo die Cultur es zu gesunden Lebensgestaltungen nicht zu bringen
vermocht hat. wo das Glück ihrer Herrschaft sich von der zweifelhaftesten Seite
zeigt und der Gegensatz seit Jahrhunderten feindlicher Volksstämme die Qual
civilisirten Daseins über das gewöhnliche Maß hinaus aufhäuft.

Und doch müssen wir zu den Häusern und Menschen hinabsteigen, die
am Ufer des Pellew sitzen und die Mitspieler und nächste Zuschauer des Natio-
nalitätenkampss in Galizien sind. — Gleich der Mehrzahl der im Mittelalter
erbauten Städte besteht auch Lemberg aus einem kleinen, einst wallumgürtet
gewesenen Stadtkern, um den sich ungleich ausgedehntere Vorstädte krvstalli-
sirt haben. Nur nach einer Seite hin sind Stadt und Vorstädte Lembergs
durch den Baumgang geschieden, der zu den unfehlbaren Attributen eines
befestigt gewesenen Orts gehört. In die Zolkiewer und Krakauer Vorstädte
geräth man. ehe man sichs versieht, und die großen schmutzigen Plätze (Salz¬
mark, Krakauer-Platz, Holz-Platz), welche hier an die Stelle der Befesti¬
gung getreten sind, erscheinen auf der städtischen Seite ebensowenig anziehend
oder würdig, wie auf der vorstädtischen. Auf der Westseite wird die Grenze
des ehemaligen Weichbildes entweder durch Bergwände oder durch Straßen
bezeichnet, denen man ihre besondere Bedeutung nicht abmerkt; nur eine einzige
ziemlich kurze Strecke zeigt auch hier eine Allee, die aber von der der Ostseite


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[0425] Theil aus Baumgängen und grünenden Gärten hervorsehen, einen statiöser Eindruck. Die Schönheit der Linie, welche durch die Höhen des Kessels von Lemberg beschrieben wird, gibt dem Beschauer eine Vorstellung davon, was er zu erwarten hat. wenn erst die Bergwelt der Karpathen ihre wilden Zauber vor ihm aufthut: und diese Welt liegt ihm näher, als er glaubt. Hat er den Gipfel des Berges bestiegen, auf welchem einst die alte Löwenburg stand, hat er sein Auge an der Betrachtung der galizischen Hauptstadt gesättigt, (die von hier aus gesehen, einen sehr viel größeren und schöneren Eindruck macht, als bei näherer Bekanntschaft) und wendet er sich dann nach Westen, so harrt seiner eine Ueberraschung, deren Zauber er sich sicher nicht entziehen wird. Die weite lachende Ebene, in welche eine Reihe von noch zur Stadt gehörigen Häusern hinausragt und durch welche das Dampfroß schnaubend seinen Weg nimmt, ist abgegrenzt durch eine malerische Bergkette, deren Conturen noch reinere Linien zeigen als die Gipfel der Lemberger Kesselwand und über diese Kette zieht eine zweite, kühnere ihre Bogen, endlich eine dritte, die sich in dem blauen Dämmer verliert, der über der reizenden abendlichen Landschaft liegt. Es sind die Karpathen, welche die fruchtbare Ebene Galiziens im Westen abschließen und in wenig mehr als eine Tagereise erreicht werden können, um dem Wanderer, der von den Ansprüchen occidentalen Comforts frei zu werden vermag, die Natur in einer reichen ungebändigten Schönheit zu zeigen. In die köstliche Wildheit dieser Natur dringen zu dürfen, erscheint doppelt an¬ ziehend, wo die Cultur es zu gesunden Lebensgestaltungen nicht zu bringen vermocht hat. wo das Glück ihrer Herrschaft sich von der zweifelhaftesten Seite zeigt und der Gegensatz seit Jahrhunderten feindlicher Volksstämme die Qual civilisirten Daseins über das gewöhnliche Maß hinaus aufhäuft. Und doch müssen wir zu den Häusern und Menschen hinabsteigen, die am Ufer des Pellew sitzen und die Mitspieler und nächste Zuschauer des Natio- nalitätenkampss in Galizien sind. — Gleich der Mehrzahl der im Mittelalter erbauten Städte besteht auch Lemberg aus einem kleinen, einst wallumgürtet gewesenen Stadtkern, um den sich ungleich ausgedehntere Vorstädte krvstalli- sirt haben. Nur nach einer Seite hin sind Stadt und Vorstädte Lembergs durch den Baumgang geschieden, der zu den unfehlbaren Attributen eines befestigt gewesenen Orts gehört. In die Zolkiewer und Krakauer Vorstädte geräth man. ehe man sichs versieht, und die großen schmutzigen Plätze (Salz¬ mark, Krakauer-Platz, Holz-Platz), welche hier an die Stelle der Befesti¬ gung getreten sind, erscheinen auf der städtischen Seite ebensowenig anziehend oder würdig, wie auf der vorstädtischen. Auf der Westseite wird die Grenze des ehemaligen Weichbildes entweder durch Bergwände oder durch Straßen bezeichnet, denen man ihre besondere Bedeutung nicht abmerkt; nur eine einzige ziemlich kurze Strecke zeigt auch hier eine Allee, die aber von der der Ostseite 53*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/425>, abgerufen am 29.06.2024.