Die Argumente, mit welchen Graf Bismarck im Einzelnen die Enthalt¬ samkeit der preußischen Politik motivirte, entbehrten freilich der durchschlagen¬ den Kraft. Die Trostgründe, die er Baden zu spenden schien, sind von der badischen Regierung würdig und in zureichender Weise zurückgewiesen worden. Am unwirksamsten war wohl das Argument mit der möglichen Kündigung des Zollvereins. Auch als das nationale Ferment unter den süddeutschen Genossen zu wirken wird Baden wenig Kraft und Gelegenheit haben, wenn es auch selbstverständlich das seinige dazu beigetragen hat, den Südbund zu verhindern und die süddeutschen Militärverabredungen wenigstens zu einem unschädlichen Ding zu machen. Alle diese einzelnen Argumente hatten ein Körnlein Wahrheit, sie waren aber nicht überzeugend und konnten es nicht sein.
Denn nicht aus solchen vereinzelten Motiven und vorgeblichen Vortheilen erklärt sich die Haltung der preußischen Regierung, sondern sie entspringt einer Politik, welche im Großen und Ganzen verstanden werden will. Graf Bismarck selbst hat große historische Gesichtspunkte zu Hilfe genommen um seine Politik in die rechte Beleuchtung zu rücken. Er hebt sie aus den klei¬ nen Stimmungen und Befürchtungen des Augenblicks heraus und stellt sie mitten in die Geschichte, die nicht nach Tagen oder Jahren rechnet. Schon im Jahr 1867 war die Aufnahme Badens ebenso möglich wie heute und ein selbstverständlicher Wunsch der nationalen Partei; es wäre dies der eine Weg gewesen, der sich darbot, um weiterzukommen, es wäre der Schritt über den Main, aber doch nur der Schritt in ein neues Provisorium gewesen. Die Bismarck'sche Politik schlug auf ihre Verantwortung den anderen Weg ein. Das Bundesschreiben vom September 1867 präcisirte diese neue Politik. Nachdem in den Verträgen die nationale Gemeinschaft gewahrt war, sollte der Süden für die nächste Zeit sich selber überlassen bleiben, kein Druck sollte auf seine Entschließungen geübt, weitere Schritte der Einigung ganz von seinem freien Entgegenkommen abhängig gemacht werden; dem Ausland wurde aus¬ drücklich ein Riegel gegen etwaige Einmischung vorgeschoben. Und wie kam der Süden entgegen? Er antwortete mit den Zollparlamentswahlen; sie waren die Unterschrift, die er unter den Pact mit dem Norden setzte.
Und damit entschied sich die nächste Zukunft. Es war die Perspective in einen politischen Prozeß eröffnet, der lediglich sich selbst überlassen war. Denn es mußte den süddeutschen Staaten Zeit gelassen werden, zu zeigen> wie weit sie mit ihrer selbstgewählten Haltung kämen. In Baden hatte sich zwar die Bevölkerung sehr rasch von der vorübergehenden Stimmung des Jahres 1866 erholt und entschlossenen Händen war die Führung des Staates anvertraut, allein für die Hauptmacht des süddeutschen Lagers war nicht Baden entscheidend. Es mußte als die Minderheit im Süden mitleiden, ebenso wie die ganze nationale Partei im Süden unter dieser Lage mit-
Die Argumente, mit welchen Graf Bismarck im Einzelnen die Enthalt¬ samkeit der preußischen Politik motivirte, entbehrten freilich der durchschlagen¬ den Kraft. Die Trostgründe, die er Baden zu spenden schien, sind von der badischen Regierung würdig und in zureichender Weise zurückgewiesen worden. Am unwirksamsten war wohl das Argument mit der möglichen Kündigung des Zollvereins. Auch als das nationale Ferment unter den süddeutschen Genossen zu wirken wird Baden wenig Kraft und Gelegenheit haben, wenn es auch selbstverständlich das seinige dazu beigetragen hat, den Südbund zu verhindern und die süddeutschen Militärverabredungen wenigstens zu einem unschädlichen Ding zu machen. Alle diese einzelnen Argumente hatten ein Körnlein Wahrheit, sie waren aber nicht überzeugend und konnten es nicht sein.
Denn nicht aus solchen vereinzelten Motiven und vorgeblichen Vortheilen erklärt sich die Haltung der preußischen Regierung, sondern sie entspringt einer Politik, welche im Großen und Ganzen verstanden werden will. Graf Bismarck selbst hat große historische Gesichtspunkte zu Hilfe genommen um seine Politik in die rechte Beleuchtung zu rücken. Er hebt sie aus den klei¬ nen Stimmungen und Befürchtungen des Augenblicks heraus und stellt sie mitten in die Geschichte, die nicht nach Tagen oder Jahren rechnet. Schon im Jahr 1867 war die Aufnahme Badens ebenso möglich wie heute und ein selbstverständlicher Wunsch der nationalen Partei; es wäre dies der eine Weg gewesen, der sich darbot, um weiterzukommen, es wäre der Schritt über den Main, aber doch nur der Schritt in ein neues Provisorium gewesen. Die Bismarck'sche Politik schlug auf ihre Verantwortung den anderen Weg ein. Das Bundesschreiben vom September 1867 präcisirte diese neue Politik. Nachdem in den Verträgen die nationale Gemeinschaft gewahrt war, sollte der Süden für die nächste Zeit sich selber überlassen bleiben, kein Druck sollte auf seine Entschließungen geübt, weitere Schritte der Einigung ganz von seinem freien Entgegenkommen abhängig gemacht werden; dem Ausland wurde aus¬ drücklich ein Riegel gegen etwaige Einmischung vorgeschoben. Und wie kam der Süden entgegen? Er antwortete mit den Zollparlamentswahlen; sie waren die Unterschrift, die er unter den Pact mit dem Norden setzte.
Und damit entschied sich die nächste Zukunft. Es war die Perspective in einen politischen Prozeß eröffnet, der lediglich sich selbst überlassen war. Denn es mußte den süddeutschen Staaten Zeit gelassen werden, zu zeigen> wie weit sie mit ihrer selbstgewählten Haltung kämen. In Baden hatte sich zwar die Bevölkerung sehr rasch von der vorübergehenden Stimmung des Jahres 1866 erholt und entschlossenen Händen war die Führung des Staates anvertraut, allein für die Hauptmacht des süddeutschen Lagers war nicht Baden entscheidend. Es mußte als die Minderheit im Süden mitleiden, ebenso wie die ganze nationale Partei im Süden unter dieser Lage mit-
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Die Argumente, mit welchen Graf Bismarck im Einzelnen die Enthalt¬
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badischen Regierung würdig und in zureichender Weise zurückgewiesen worden.
Am unwirksamsten war wohl das Argument mit der möglichen Kündigung
des Zollvereins. Auch als das nationale Ferment unter den süddeutschen
Genossen zu wirken wird Baden wenig Kraft und Gelegenheit haben, wenn
es auch selbstverständlich das seinige dazu beigetragen hat, den Südbund zu
verhindern und die süddeutschen Militärverabredungen wenigstens zu einem
unschädlichen Ding zu machen. Alle diese einzelnen Argumente hatten ein
Körnlein Wahrheit, sie waren aber nicht überzeugend und konnten es nicht sein.
Denn nicht aus solchen vereinzelten Motiven und vorgeblichen Vortheilen
erklärt sich die Haltung der preußischen Regierung, sondern sie entspringt
einer Politik, welche im Großen und Ganzen verstanden werden will. Graf
Bismarck selbst hat große historische Gesichtspunkte zu Hilfe genommen um
seine Politik in die rechte Beleuchtung zu rücken. Er hebt sie aus den klei¬
nen Stimmungen und Befürchtungen des Augenblicks heraus und stellt sie
mitten in die Geschichte, die nicht nach Tagen oder Jahren rechnet. Schon
im Jahr 1867 war die Aufnahme Badens ebenso möglich wie heute und ein
selbstverständlicher Wunsch der nationalen Partei; es wäre dies der eine Weg
gewesen, der sich darbot, um weiterzukommen, es wäre der Schritt über den
Main, aber doch nur der Schritt in ein neues Provisorium gewesen. Die
Bismarck'sche Politik schlug auf ihre Verantwortung den anderen Weg ein.
Das Bundesschreiben vom September 1867 präcisirte diese neue Politik.
Nachdem in den Verträgen die nationale Gemeinschaft gewahrt war, sollte der
Süden für die nächste Zeit sich selber überlassen bleiben, kein Druck sollte auf
seine Entschließungen geübt, weitere Schritte der Einigung ganz von seinem
freien Entgegenkommen abhängig gemacht werden; dem Ausland wurde aus¬
drücklich ein Riegel gegen etwaige Einmischung vorgeschoben. Und wie kam
der Süden entgegen? Er antwortete mit den Zollparlamentswahlen; sie
waren die Unterschrift, die er unter den Pact mit dem Norden setzte.
Und damit entschied sich die nächste Zukunft. Es war die Perspective
in einen politischen Prozeß eröffnet, der lediglich sich selbst überlassen war.
Denn es mußte den süddeutschen Staaten Zeit gelassen werden, zu zeigen>
wie weit sie mit ihrer selbstgewählten Haltung kämen. In Baden hatte sich
zwar die Bevölkerung sehr rasch von der vorübergehenden Stimmung des
Jahres 1866 erholt und entschlossenen Händen war die Führung des Staates
anvertraut, allein für die Hauptmacht des süddeutschen Lagers war nicht
Baden entscheidend. Es mußte als die Minderheit im Süden mitleiden,
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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/420>, abgerufen am 24.01.2025.
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