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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Italien, Deutschland und Ungarn, zu wie man gestehen muß, im Jahre
1780 oder 90 noch wenig Aspecten vorhanden waren. Daß nicht blos ein
panegyristischer "Biographiker", sondern jeder andere gewöhnliche Mensch
einigermaßen in respecivolles Staunen ob solcher Divinationsgabe gerathen
darf, versteht sich von selbst und jeder Leser wird es nur natürlich gefunden
haben, daß Herr Ebeling nicht genug Worte des begeisterten Lobes darob
anheben konnte, wenn man auch vielleicht gewünscht hätte, daß sie mehr
auf der gemeinsamen Heerstraße des deutschen Styles und Satzbaues geblieben
wären. Aber Jedermann mußte fast überzeugt sein, daß Herr Ebeling in
diesem paläontologischen Gothaer seine eigene politische Ueberzeugung mit
"panegynsire". Aber nicht blos deshalb dürften seine neuesten Glaubensoerwand-
ten in Graf Beust noch vor wenig Monden wenig Freude an dem Verf. gehabt
haben. Denn derselbe Herr Ebeling ist damals seinem damaligen Helden
Weckherlin in einer anderen Marotte, in seinem grenzenlosen Judenhasse, durch
Dick und Dünn nachgegangen und hat hinter ganz Israel ein wahrhaft furcht¬
bares christlich-germanisches Hepp, Hepp ertönen lassen. Eben darum wird uns
die Aufrichtigkeit seiner freundlichen Beziehungen zu jenen genannten Kory¬
phäen deutscher Bildung und Freiheit an der Donau wieder recht zweifel¬
haft, er müßte denn irgendwo im Geheimen seine gründliche Bekehrung
dargethan haben. In dem Buche "vom Grafen Beust" sieht man sich ver¬
gebens, nach einer Palinodie dieser Art um, obgleich öfter dazu Gelegenheit
gewesen wäre, namentlich wenn es dem Verfasser gefallen hätte, uns das
Bild des Helden auch mehr von der privat-menschlichen Seite zu zeigen,
z. B. in der Familie, in der Geselligkeit, zu der er ja so ausnehmende Ta¬
lente besitzen soll, auf Wegen und Stegen im Kauf und Lauf des Tages,
auf der Börse, in Wechselcomptoirs ze., und nicht blos immer in den großen
Scenen von politischen Haupt- und Staatsactionen. Aus jenem idyllischen
Bereich häuslichen und menschlichen Waltens und Webens, das dem deutschen
Herzen so unendlich wohlthut, findet sich hier nichts Merkwürdiges als die
Anecdote von der tölpelhaften wendischen Amme des Heroen, die 12 Flaschen
Rheinwein, statt sie selber, wie sie sollte, auszutrinken, zu einem Bade für
das liebe Kind verwandte, wovon dieses ob übermäßigen Nervenreizes fast
zu Grunde gegangen wäre. Sonst aber, was die Hauptsache selbst, das
staatsmännische Wirken des Freiherrn betrifft, bleibt der Verfasser wie lobend
anerkannt werden muß, seinem Programme, das oben mitgetheilt wurde,
ganz treu. Er druckt nämlich nur die Staatsschriften, Reden und übrigen
Aeußerungen des Helden oder seiner zuverlässigen und durch Feuer und
Wasser erprobten Diener hoher und niederer Titel meist wörtlich ab, wobei
er sich die Mühe hätte sparen können, sie wie er angiebt, aus den Origina¬
len des Dresdener Archivs zu entnehmen, da sie alle ohne Ausnahme schon


Italien, Deutschland und Ungarn, zu wie man gestehen muß, im Jahre
1780 oder 90 noch wenig Aspecten vorhanden waren. Daß nicht blos ein
panegyristischer „Biographiker", sondern jeder andere gewöhnliche Mensch
einigermaßen in respecivolles Staunen ob solcher Divinationsgabe gerathen
darf, versteht sich von selbst und jeder Leser wird es nur natürlich gefunden
haben, daß Herr Ebeling nicht genug Worte des begeisterten Lobes darob
anheben konnte, wenn man auch vielleicht gewünscht hätte, daß sie mehr
auf der gemeinsamen Heerstraße des deutschen Styles und Satzbaues geblieben
wären. Aber Jedermann mußte fast überzeugt sein, daß Herr Ebeling in
diesem paläontologischen Gothaer seine eigene politische Ueberzeugung mit
„panegynsire". Aber nicht blos deshalb dürften seine neuesten Glaubensoerwand-
ten in Graf Beust noch vor wenig Monden wenig Freude an dem Verf. gehabt
haben. Denn derselbe Herr Ebeling ist damals seinem damaligen Helden
Weckherlin in einer anderen Marotte, in seinem grenzenlosen Judenhasse, durch
Dick und Dünn nachgegangen und hat hinter ganz Israel ein wahrhaft furcht¬
bares christlich-germanisches Hepp, Hepp ertönen lassen. Eben darum wird uns
die Aufrichtigkeit seiner freundlichen Beziehungen zu jenen genannten Kory¬
phäen deutscher Bildung und Freiheit an der Donau wieder recht zweifel¬
haft, er müßte denn irgendwo im Geheimen seine gründliche Bekehrung
dargethan haben. In dem Buche „vom Grafen Beust" sieht man sich ver¬
gebens, nach einer Palinodie dieser Art um, obgleich öfter dazu Gelegenheit
gewesen wäre, namentlich wenn es dem Verfasser gefallen hätte, uns das
Bild des Helden auch mehr von der privat-menschlichen Seite zu zeigen,
z. B. in der Familie, in der Geselligkeit, zu der er ja so ausnehmende Ta¬
lente besitzen soll, auf Wegen und Stegen im Kauf und Lauf des Tages,
auf der Börse, in Wechselcomptoirs ze., und nicht blos immer in den großen
Scenen von politischen Haupt- und Staatsactionen. Aus jenem idyllischen
Bereich häuslichen und menschlichen Waltens und Webens, das dem deutschen
Herzen so unendlich wohlthut, findet sich hier nichts Merkwürdiges als die
Anecdote von der tölpelhaften wendischen Amme des Heroen, die 12 Flaschen
Rheinwein, statt sie selber, wie sie sollte, auszutrinken, zu einem Bade für
das liebe Kind verwandte, wovon dieses ob übermäßigen Nervenreizes fast
zu Grunde gegangen wäre. Sonst aber, was die Hauptsache selbst, das
staatsmännische Wirken des Freiherrn betrifft, bleibt der Verfasser wie lobend
anerkannt werden muß, seinem Programme, das oben mitgetheilt wurde,
ganz treu. Er druckt nämlich nur die Staatsschriften, Reden und übrigen
Aeußerungen des Helden oder seiner zuverlässigen und durch Feuer und
Wasser erprobten Diener hoher und niederer Titel meist wörtlich ab, wobei
er sich die Mühe hätte sparen können, sie wie er angiebt, aus den Origina¬
len des Dresdener Archivs zu entnehmen, da sie alle ohne Ausnahme schon


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[0416] Italien, Deutschland und Ungarn, zu wie man gestehen muß, im Jahre 1780 oder 90 noch wenig Aspecten vorhanden waren. Daß nicht blos ein panegyristischer „Biographiker", sondern jeder andere gewöhnliche Mensch einigermaßen in respecivolles Staunen ob solcher Divinationsgabe gerathen darf, versteht sich von selbst und jeder Leser wird es nur natürlich gefunden haben, daß Herr Ebeling nicht genug Worte des begeisterten Lobes darob anheben konnte, wenn man auch vielleicht gewünscht hätte, daß sie mehr auf der gemeinsamen Heerstraße des deutschen Styles und Satzbaues geblieben wären. Aber Jedermann mußte fast überzeugt sein, daß Herr Ebeling in diesem paläontologischen Gothaer seine eigene politische Ueberzeugung mit „panegynsire". Aber nicht blos deshalb dürften seine neuesten Glaubensoerwand- ten in Graf Beust noch vor wenig Monden wenig Freude an dem Verf. gehabt haben. Denn derselbe Herr Ebeling ist damals seinem damaligen Helden Weckherlin in einer anderen Marotte, in seinem grenzenlosen Judenhasse, durch Dick und Dünn nachgegangen und hat hinter ganz Israel ein wahrhaft furcht¬ bares christlich-germanisches Hepp, Hepp ertönen lassen. Eben darum wird uns die Aufrichtigkeit seiner freundlichen Beziehungen zu jenen genannten Kory¬ phäen deutscher Bildung und Freiheit an der Donau wieder recht zweifel¬ haft, er müßte denn irgendwo im Geheimen seine gründliche Bekehrung dargethan haben. In dem Buche „vom Grafen Beust" sieht man sich ver¬ gebens, nach einer Palinodie dieser Art um, obgleich öfter dazu Gelegenheit gewesen wäre, namentlich wenn es dem Verfasser gefallen hätte, uns das Bild des Helden auch mehr von der privat-menschlichen Seite zu zeigen, z. B. in der Familie, in der Geselligkeit, zu der er ja so ausnehmende Ta¬ lente besitzen soll, auf Wegen und Stegen im Kauf und Lauf des Tages, auf der Börse, in Wechselcomptoirs ze., und nicht blos immer in den großen Scenen von politischen Haupt- und Staatsactionen. Aus jenem idyllischen Bereich häuslichen und menschlichen Waltens und Webens, das dem deutschen Herzen so unendlich wohlthut, findet sich hier nichts Merkwürdiges als die Anecdote von der tölpelhaften wendischen Amme des Heroen, die 12 Flaschen Rheinwein, statt sie selber, wie sie sollte, auszutrinken, zu einem Bade für das liebe Kind verwandte, wovon dieses ob übermäßigen Nervenreizes fast zu Grunde gegangen wäre. Sonst aber, was die Hauptsache selbst, das staatsmännische Wirken des Freiherrn betrifft, bleibt der Verfasser wie lobend anerkannt werden muß, seinem Programme, das oben mitgetheilt wurde, ganz treu. Er druckt nämlich nur die Staatsschriften, Reden und übrigen Aeußerungen des Helden oder seiner zuverlässigen und durch Feuer und Wasser erprobten Diener hoher und niederer Titel meist wörtlich ab, wobei er sich die Mühe hätte sparen können, sie wie er angiebt, aus den Origina¬ len des Dresdener Archivs zu entnehmen, da sie alle ohne Ausnahme schon

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/416>, abgerufen am 29.06.2024.