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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Licht durch den Focus des Ursatzes gleiten, daß auch der wahre
Staatsmann einem Vaterlande, einem Volke von ganzer Seele anzugehören
hat, nicht aber innerhalb einer Partei, sondern schlechterdings über den Par¬
teien stehen muß; dann, sage ich, wird mich der Leser nicht beschuldigen,
meinem Genrestück mittels des Druckwerks der Sophistik und der Stampfe
der Rabulisterei, Apologeme eingepreßt zu haben. Er wird im Gegentheil
erkennen, daß diese (bezieht sich "diese" auf das letzte oder die beiden ersten
Substantive des vorigen Satzgliedes?) den eigensten Handlungen im Leben
Beust's frei von jeglichem Trugsal von selbst entquollen, ich einzig an
letztere mich zu halten brauchte, um zur Bloslegung und Abwehr ihrer Ent¬
stellungen und Fälschungen durch Unkenntniß und Parteileidenschaft zu ge¬
langen. Und er wird dann auch gerne zugesteht,, daß mit der Einsicht in die
Reinheit und Größe eines Verdienstes die Wärme der Anerken¬
nung desselben zu steigen hat."

Ohne Zweifel wird es auch den andern Lesern so gehen, wie dem
Schreiber, nämlich, daß sie nicht Alles in diesen mächtigen Sätzen verstehn,
die in jeder Stylistik als Probestücke für deutschen Satzbau figuriren dürften.
Aber was man davon versteht, gibt wahrhaft überraschende Belehrungen über
"Biographik", Ziel und Mittel eines solchen "Biographikers" und was da¬
mit zusammenhängt. Doch überlassen wir dies den Lesern selbst zu verdauen,
wenn sie können. Mit Genugthuung sei nur darauf verwiesen, wie trefflich
des Herrn Verf. Styl und Tiradik -- warum sollte dies Wort nach dem
Muster der "Biographik" nicht gut sein? -- mit der seiner Gesinnungs- und
Geistesverwandten an der Donau harmonirt, der Inhaber und Pfleger des
k. k. Bausbacken und Stelzenstyles. Die Neue freie Presse und andere "fort¬
geschrittenste" Repräsentanten deutscher Bildung und politischer Einsicht könn¬
ten beinahe eifersüchtig auf einen solchen stylistischen Rivalen werden.

Vor kurzem noch mochten sie sich ohnehin über Herrn Ebeling wegen aller¬
lei Differenzen in einigen Grundanschauungen beklagt haben. Im vorigen
Jahre (1869 steht auf dem Titel), erschien von ihm ein gleichfalls nicht unbe¬
leibtes Buch über Ludwig Weckherlin, jenes einst viel genannte publicistische
Meteor des vorigen Jahrhunderts, das im gegenwärtigen freilich beinahe ver-
gessen ist. Verdienstlich war es daher immerhin das Andenken dieses lüder-
licher Genies wieder zu erneuern, wenn es gleich mit weniger Schwulst und
Bombast und mit mehr positivem Wissen und Forschen hätte geschehen kön¬
nen. Weckherlin hat nun unter vielen seltsamen Einfällen auch einmal den
gehabt, die Gestalt der Karte von Europa hundert Jahre nach seinem Tode,
also etwa am Ende dieses neunzehnten Jahrhundert zu prophezeien. Darauf
figuriren neben den Staaten Frankreich, England, Nußland auch die Staaten


Grenzboten I. 1870. ö2

Licht durch den Focus des Ursatzes gleiten, daß auch der wahre
Staatsmann einem Vaterlande, einem Volke von ganzer Seele anzugehören
hat, nicht aber innerhalb einer Partei, sondern schlechterdings über den Par¬
teien stehen muß; dann, sage ich, wird mich der Leser nicht beschuldigen,
meinem Genrestück mittels des Druckwerks der Sophistik und der Stampfe
der Rabulisterei, Apologeme eingepreßt zu haben. Er wird im Gegentheil
erkennen, daß diese (bezieht sich „diese" auf das letzte oder die beiden ersten
Substantive des vorigen Satzgliedes?) den eigensten Handlungen im Leben
Beust's frei von jeglichem Trugsal von selbst entquollen, ich einzig an
letztere mich zu halten brauchte, um zur Bloslegung und Abwehr ihrer Ent¬
stellungen und Fälschungen durch Unkenntniß und Parteileidenschaft zu ge¬
langen. Und er wird dann auch gerne zugesteht,, daß mit der Einsicht in die
Reinheit und Größe eines Verdienstes die Wärme der Anerken¬
nung desselben zu steigen hat."

Ohne Zweifel wird es auch den andern Lesern so gehen, wie dem
Schreiber, nämlich, daß sie nicht Alles in diesen mächtigen Sätzen verstehn,
die in jeder Stylistik als Probestücke für deutschen Satzbau figuriren dürften.
Aber was man davon versteht, gibt wahrhaft überraschende Belehrungen über
„Biographik", Ziel und Mittel eines solchen „Biographikers" und was da¬
mit zusammenhängt. Doch überlassen wir dies den Lesern selbst zu verdauen,
wenn sie können. Mit Genugthuung sei nur darauf verwiesen, wie trefflich
des Herrn Verf. Styl und Tiradik — warum sollte dies Wort nach dem
Muster der „Biographik" nicht gut sein? — mit der seiner Gesinnungs- und
Geistesverwandten an der Donau harmonirt, der Inhaber und Pfleger des
k. k. Bausbacken und Stelzenstyles. Die Neue freie Presse und andere „fort¬
geschrittenste" Repräsentanten deutscher Bildung und politischer Einsicht könn¬
ten beinahe eifersüchtig auf einen solchen stylistischen Rivalen werden.

Vor kurzem noch mochten sie sich ohnehin über Herrn Ebeling wegen aller¬
lei Differenzen in einigen Grundanschauungen beklagt haben. Im vorigen
Jahre (1869 steht auf dem Titel), erschien von ihm ein gleichfalls nicht unbe¬
leibtes Buch über Ludwig Weckherlin, jenes einst viel genannte publicistische
Meteor des vorigen Jahrhunderts, das im gegenwärtigen freilich beinahe ver-
gessen ist. Verdienstlich war es daher immerhin das Andenken dieses lüder-
licher Genies wieder zu erneuern, wenn es gleich mit weniger Schwulst und
Bombast und mit mehr positivem Wissen und Forschen hätte geschehen kön¬
nen. Weckherlin hat nun unter vielen seltsamen Einfällen auch einmal den
gehabt, die Gestalt der Karte von Europa hundert Jahre nach seinem Tode,
also etwa am Ende dieses neunzehnten Jahrhundert zu prophezeien. Darauf
figuriren neben den Staaten Frankreich, England, Nußland auch die Staaten


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[0415] Licht durch den Focus des Ursatzes gleiten, daß auch der wahre Staatsmann einem Vaterlande, einem Volke von ganzer Seele anzugehören hat, nicht aber innerhalb einer Partei, sondern schlechterdings über den Par¬ teien stehen muß; dann, sage ich, wird mich der Leser nicht beschuldigen, meinem Genrestück mittels des Druckwerks der Sophistik und der Stampfe der Rabulisterei, Apologeme eingepreßt zu haben. Er wird im Gegentheil erkennen, daß diese (bezieht sich „diese" auf das letzte oder die beiden ersten Substantive des vorigen Satzgliedes?) den eigensten Handlungen im Leben Beust's frei von jeglichem Trugsal von selbst entquollen, ich einzig an letztere mich zu halten brauchte, um zur Bloslegung und Abwehr ihrer Ent¬ stellungen und Fälschungen durch Unkenntniß und Parteileidenschaft zu ge¬ langen. Und er wird dann auch gerne zugesteht,, daß mit der Einsicht in die Reinheit und Größe eines Verdienstes die Wärme der Anerken¬ nung desselben zu steigen hat." Ohne Zweifel wird es auch den andern Lesern so gehen, wie dem Schreiber, nämlich, daß sie nicht Alles in diesen mächtigen Sätzen verstehn, die in jeder Stylistik als Probestücke für deutschen Satzbau figuriren dürften. Aber was man davon versteht, gibt wahrhaft überraschende Belehrungen über „Biographik", Ziel und Mittel eines solchen „Biographikers" und was da¬ mit zusammenhängt. Doch überlassen wir dies den Lesern selbst zu verdauen, wenn sie können. Mit Genugthuung sei nur darauf verwiesen, wie trefflich des Herrn Verf. Styl und Tiradik — warum sollte dies Wort nach dem Muster der „Biographik" nicht gut sein? — mit der seiner Gesinnungs- und Geistesverwandten an der Donau harmonirt, der Inhaber und Pfleger des k. k. Bausbacken und Stelzenstyles. Die Neue freie Presse und andere „fort¬ geschrittenste" Repräsentanten deutscher Bildung und politischer Einsicht könn¬ ten beinahe eifersüchtig auf einen solchen stylistischen Rivalen werden. Vor kurzem noch mochten sie sich ohnehin über Herrn Ebeling wegen aller¬ lei Differenzen in einigen Grundanschauungen beklagt haben. Im vorigen Jahre (1869 steht auf dem Titel), erschien von ihm ein gleichfalls nicht unbe¬ leibtes Buch über Ludwig Weckherlin, jenes einst viel genannte publicistische Meteor des vorigen Jahrhunderts, das im gegenwärtigen freilich beinahe ver- gessen ist. Verdienstlich war es daher immerhin das Andenken dieses lüder- licher Genies wieder zu erneuern, wenn es gleich mit weniger Schwulst und Bombast und mit mehr positivem Wissen und Forschen hätte geschehen kön¬ nen. Weckherlin hat nun unter vielen seltsamen Einfällen auch einmal den gehabt, die Gestalt der Karte von Europa hundert Jahre nach seinem Tode, also etwa am Ende dieses neunzehnten Jahrhundert zu prophezeien. Darauf figuriren neben den Staaten Frankreich, England, Nußland auch die Staaten Grenzboten I. 1870. ö2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/415>, abgerufen am 29.06.2024.