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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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derer Aufgaben noch nicht mit der nöthigen Ausschließlichkeit angefaßt wer¬
den konnte, die Entwickelung von Handel und Verkehr im Sinn und Geist
der Bundesverfassung. Vergegenwärtigen wir uns die Bedeutung der
Aufgabe.

Die Mißstände, unter welchen das wirthschaftliche und Verkehrsleben
Deutschlands litt, sind bekannt und das Verlangen der nationalen Einigung
hatte neben idealen Beweggründen den sehr realen Beweggrund, für den
großen Volkskörper die rechten Bedingungen des materiellen Seins zu ge¬
winnen. Der Zollverein half den drückendsten Nachtheilen ab und ermög¬
lichte die stetige Zunahme gesunden Wohlstands, dessen wir uns heute freuen.
Allein so viel er gab, wenn man an die tausendfältigen Schwierigkeiten, die
zu bekämpfen waren, denkt, so wenig gab er doch, wenn man auf die ge¬
rechten Ansprüche, die ein großes Volk nicht allein machen darf, sondern
machen muß, blickt. Das Beispiel des Eisenbahnwesens spricht so beredt, daß
es weiterer Worte nicht bedarf. Es wiederholte sich dort wie fast überall,
daß der kleinste Bruchtheil der Nation, ob er in diesem oder jenem Staats¬
wesen sich vereinigt fand, stets die Befriedigung der Interessen, die er für seine
eigenen hielt und die es ebenso oft nicht wie wirklich waren, einseitig voran¬
stellte und den wirthschaftlichen Zusammenhang der deutschen Länder mi߬
achtete oder nicht beachtete. Kein Statistiker wird berechnen können, welche
Unsummen durch diese Zustände verloren gingen, an die wir blos erinnern,
um die Nothwendigkeit, die innere Berechtigung der Bundesthätigkeit auf
diesem Gebiet, von den Bestimmungen der Bundesverfassung ganz abgesehen,
zum Bewußtsein zu bringen.

Es braucht wieder nur auf das Eisenbahnwesen hingewiesen zu werden, um
die Schwierigkeiten, die der Thätigkeit des Bundes warten, erkennen zulassen.
Ein entfernter liegendes, aber trotz seiner vorzugsweise localen Bedeutung
interessantes Beispiel lieferte die Steuermannsprüfungsordnung, die nach den
Anschauungen der nordseeischen Rhederei allein oder doch überwiegend der
Ostseeschifffahrt Rechnung trägt. Die Gewöhnung der particulären Betrach¬
tung ist noch so stark, daß -- wir wollen über den vorliegenden Fall kein Urtheil
fällen -- jede Neuerung leicht statt im Lichte berechtigter unentbehrlicher Ein¬
heitlichkeit als unberechtigte gemeinschädliche. Centralisation erscheint. Es wird
Jahre und mühevolle Arbeit kosten, ehe der nationale Gemeinsinn hier die
Herrschaft erringt.

Eine Reihe von Gesetzen ist nothwendig, um die Thätigkeit des Bundes
für Handel und Verkehr in die richtigen Bahnen zu lenken, um ihm wie
den Bundesstaaten und dem Volke festen Anhalt, sichere Gewähr zu geben.
Allein sind die Gesetze für das wirthschaftliche und Verkehrsleben mehr als
Hilfsmaschinen? ist die anregende fördernde Thätigkeit innerhalb der Gesetze,


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derer Aufgaben noch nicht mit der nöthigen Ausschließlichkeit angefaßt wer¬
den konnte, die Entwickelung von Handel und Verkehr im Sinn und Geist
der Bundesverfassung. Vergegenwärtigen wir uns die Bedeutung der
Aufgabe.

Die Mißstände, unter welchen das wirthschaftliche und Verkehrsleben
Deutschlands litt, sind bekannt und das Verlangen der nationalen Einigung
hatte neben idealen Beweggründen den sehr realen Beweggrund, für den
großen Volkskörper die rechten Bedingungen des materiellen Seins zu ge¬
winnen. Der Zollverein half den drückendsten Nachtheilen ab und ermög¬
lichte die stetige Zunahme gesunden Wohlstands, dessen wir uns heute freuen.
Allein so viel er gab, wenn man an die tausendfältigen Schwierigkeiten, die
zu bekämpfen waren, denkt, so wenig gab er doch, wenn man auf die ge¬
rechten Ansprüche, die ein großes Volk nicht allein machen darf, sondern
machen muß, blickt. Das Beispiel des Eisenbahnwesens spricht so beredt, daß
es weiterer Worte nicht bedarf. Es wiederholte sich dort wie fast überall,
daß der kleinste Bruchtheil der Nation, ob er in diesem oder jenem Staats¬
wesen sich vereinigt fand, stets die Befriedigung der Interessen, die er für seine
eigenen hielt und die es ebenso oft nicht wie wirklich waren, einseitig voran¬
stellte und den wirthschaftlichen Zusammenhang der deutschen Länder mi߬
achtete oder nicht beachtete. Kein Statistiker wird berechnen können, welche
Unsummen durch diese Zustände verloren gingen, an die wir blos erinnern,
um die Nothwendigkeit, die innere Berechtigung der Bundesthätigkeit auf
diesem Gebiet, von den Bestimmungen der Bundesverfassung ganz abgesehen,
zum Bewußtsein zu bringen.

Es braucht wieder nur auf das Eisenbahnwesen hingewiesen zu werden, um
die Schwierigkeiten, die der Thätigkeit des Bundes warten, erkennen zulassen.
Ein entfernter liegendes, aber trotz seiner vorzugsweise localen Bedeutung
interessantes Beispiel lieferte die Steuermannsprüfungsordnung, die nach den
Anschauungen der nordseeischen Rhederei allein oder doch überwiegend der
Ostseeschifffahrt Rechnung trägt. Die Gewöhnung der particulären Betrach¬
tung ist noch so stark, daß — wir wollen über den vorliegenden Fall kein Urtheil
fällen — jede Neuerung leicht statt im Lichte berechtigter unentbehrlicher Ein¬
heitlichkeit als unberechtigte gemeinschädliche. Centralisation erscheint. Es wird
Jahre und mühevolle Arbeit kosten, ehe der nationale Gemeinsinn hier die
Herrschaft erringt.

Eine Reihe von Gesetzen ist nothwendig, um die Thätigkeit des Bundes
für Handel und Verkehr in die richtigen Bahnen zu lenken, um ihm wie
den Bundesstaaten und dem Volke festen Anhalt, sichere Gewähr zu geben.
Allein sind die Gesetze für das wirthschaftliche und Verkehrsleben mehr als
Hilfsmaschinen? ist die anregende fördernde Thätigkeit innerhalb der Gesetze,


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[0409] derer Aufgaben noch nicht mit der nöthigen Ausschließlichkeit angefaßt wer¬ den konnte, die Entwickelung von Handel und Verkehr im Sinn und Geist der Bundesverfassung. Vergegenwärtigen wir uns die Bedeutung der Aufgabe. Die Mißstände, unter welchen das wirthschaftliche und Verkehrsleben Deutschlands litt, sind bekannt und das Verlangen der nationalen Einigung hatte neben idealen Beweggründen den sehr realen Beweggrund, für den großen Volkskörper die rechten Bedingungen des materiellen Seins zu ge¬ winnen. Der Zollverein half den drückendsten Nachtheilen ab und ermög¬ lichte die stetige Zunahme gesunden Wohlstands, dessen wir uns heute freuen. Allein so viel er gab, wenn man an die tausendfältigen Schwierigkeiten, die zu bekämpfen waren, denkt, so wenig gab er doch, wenn man auf die ge¬ rechten Ansprüche, die ein großes Volk nicht allein machen darf, sondern machen muß, blickt. Das Beispiel des Eisenbahnwesens spricht so beredt, daß es weiterer Worte nicht bedarf. Es wiederholte sich dort wie fast überall, daß der kleinste Bruchtheil der Nation, ob er in diesem oder jenem Staats¬ wesen sich vereinigt fand, stets die Befriedigung der Interessen, die er für seine eigenen hielt und die es ebenso oft nicht wie wirklich waren, einseitig voran¬ stellte und den wirthschaftlichen Zusammenhang der deutschen Länder mi߬ achtete oder nicht beachtete. Kein Statistiker wird berechnen können, welche Unsummen durch diese Zustände verloren gingen, an die wir blos erinnern, um die Nothwendigkeit, die innere Berechtigung der Bundesthätigkeit auf diesem Gebiet, von den Bestimmungen der Bundesverfassung ganz abgesehen, zum Bewußtsein zu bringen. Es braucht wieder nur auf das Eisenbahnwesen hingewiesen zu werden, um die Schwierigkeiten, die der Thätigkeit des Bundes warten, erkennen zulassen. Ein entfernter liegendes, aber trotz seiner vorzugsweise localen Bedeutung interessantes Beispiel lieferte die Steuermannsprüfungsordnung, die nach den Anschauungen der nordseeischen Rhederei allein oder doch überwiegend der Ostseeschifffahrt Rechnung trägt. Die Gewöhnung der particulären Betrach¬ tung ist noch so stark, daß — wir wollen über den vorliegenden Fall kein Urtheil fällen — jede Neuerung leicht statt im Lichte berechtigter unentbehrlicher Ein¬ heitlichkeit als unberechtigte gemeinschädliche. Centralisation erscheint. Es wird Jahre und mühevolle Arbeit kosten, ehe der nationale Gemeinsinn hier die Herrschaft erringt. Eine Reihe von Gesetzen ist nothwendig, um die Thätigkeit des Bundes für Handel und Verkehr in die richtigen Bahnen zu lenken, um ihm wie den Bundesstaaten und dem Volke festen Anhalt, sichere Gewähr zu geben. Allein sind die Gesetze für das wirthschaftliche und Verkehrsleben mehr als Hilfsmaschinen? ist die anregende fördernde Thätigkeit innerhalb der Gesetze, 51*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/409>, abgerufen am 29.06.2024.