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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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dessen "Kistor^ o^tke^vor" diese Thatsachen entnommen sind, bemerkt, wie
man sich einen Begriff von der schlechten Bewirthschaftung in dieser Periode
und von dem "daraus erwachsenden Elend der Arbeiter" aus der Thatsache
bilden könnte, daß der gewöhnliche Weizenertrag nur fünf bis sechs Büschel
per Morgen betrug. Im Jahr 1486 setzte ein neues Statut den jährlichen
Lohn uns 16 Schilling 8 Pence und 4 Schilling für Kleider fest. Allein
dieses Statut erwies sich als so unwirksam, daß zwanzig Jahre später auch
noch verordnet werden mußte, daß die Leute, welche sich zu arbeiten weiger¬
ten ins Gefängniß geworfen und daß jeder Vagabund,.welcher "gesund und
kräftig von Körper" sei. an das Karren Ende gebunden und so lange ge¬
peitscht werden solle, "bis sein Körper mittelst dieser Schläge blutig gewor¬
den sei." Wie zahlreich diese Vagabunden waren und wie groß die Schwierig¬
keit war Beschäftigung zu erhalten, erhellt aus der Thatsache, daß unter
Heinrich VIII. von einer Bevölkerung von nur drei Millionen nicht weniger
als 72,000 "große und kleine Diebe" hingerichtet wurden.

Im Anfang der Regierung Eduards VI. wurden Gesetze erlassen, welche
verordneten, daß, wenn ein Mann oder eine Frau, die arbeitsfähig waren,
zu arbeiten sich weigerten und drei Tage müßig gingen ihnen mit einen roth¬
glühenden Eisen der Buchstabe V aus die Brust gebrannt und daß sie außer¬
dem Jedermann, der sie zur Anzeige bringe, auf zwei Jahre als Sclaven
zuerkannt werden sollten.

Ein Schriftsteller aus der Regierungszeit der Elisabeth, wo die Bevölke¬
rung nicht über drei und eine halbe Million betragen haben konnte, sagte:
"Die Adligen versorgen sich gewöhnlich hinreichend mit Weizenbrod für ihre
eigene Tafel, während ihr Gesinde und ihre armen Nachbarn in einigen
Grafschaften genöthigt sind, sich mit Roggen oder Gerste zu begnügen, und
in Zeiten der Theuerung sogar mit Brod, das aus Bohnen. Erbsen oder
Hafer oder aus einem Gemisch derselben und einigen Eicheln bereitet wird."
Ein Friedensrichter in Somersethshire schreibt im Jahr 1396, daß "in einem
Jahre 40 Menschen wegen Raub, Diebstahl und anderer Criminalverbrechen
hingerichtet worden seien, daß 35 in die Hand gebrannt, 37 ausgepeitscht
und 183 freigesprochen worden seien, und daß doch nicht der fünfte Theil
der in der Grafschaft verübten Verbrechen zur Aburtheilung gekommen sei,
da die Friedensrichter durch die Drohungen der Verbündeten abgeschreckt
wurden, die Verbrecher vor das Gericht zu ziehen." So war der Zustand
des Volkes und namentlich der arbeitenden Classen in einer Zeit, die man
heutzutage nicht selten auf Kosten der Gegenwart anpreisen hört und von
der man behauptet, sie habe das erst durch den Jndustrialismus geschaffene
Arbeiterelend nicht gekannt.

Paris ist bekanntlich wie die administrative so auch die industrielle


dessen „Kistor^ o^tke^vor" diese Thatsachen entnommen sind, bemerkt, wie
man sich einen Begriff von der schlechten Bewirthschaftung in dieser Periode
und von dem „daraus erwachsenden Elend der Arbeiter" aus der Thatsache
bilden könnte, daß der gewöhnliche Weizenertrag nur fünf bis sechs Büschel
per Morgen betrug. Im Jahr 1486 setzte ein neues Statut den jährlichen
Lohn uns 16 Schilling 8 Pence und 4 Schilling für Kleider fest. Allein
dieses Statut erwies sich als so unwirksam, daß zwanzig Jahre später auch
noch verordnet werden mußte, daß die Leute, welche sich zu arbeiten weiger¬
ten ins Gefängniß geworfen und daß jeder Vagabund,.welcher „gesund und
kräftig von Körper" sei. an das Karren Ende gebunden und so lange ge¬
peitscht werden solle, „bis sein Körper mittelst dieser Schläge blutig gewor¬
den sei." Wie zahlreich diese Vagabunden waren und wie groß die Schwierig¬
keit war Beschäftigung zu erhalten, erhellt aus der Thatsache, daß unter
Heinrich VIII. von einer Bevölkerung von nur drei Millionen nicht weniger
als 72,000 „große und kleine Diebe" hingerichtet wurden.

Im Anfang der Regierung Eduards VI. wurden Gesetze erlassen, welche
verordneten, daß, wenn ein Mann oder eine Frau, die arbeitsfähig waren,
zu arbeiten sich weigerten und drei Tage müßig gingen ihnen mit einen roth¬
glühenden Eisen der Buchstabe V aus die Brust gebrannt und daß sie außer¬
dem Jedermann, der sie zur Anzeige bringe, auf zwei Jahre als Sclaven
zuerkannt werden sollten.

Ein Schriftsteller aus der Regierungszeit der Elisabeth, wo die Bevölke¬
rung nicht über drei und eine halbe Million betragen haben konnte, sagte:
„Die Adligen versorgen sich gewöhnlich hinreichend mit Weizenbrod für ihre
eigene Tafel, während ihr Gesinde und ihre armen Nachbarn in einigen
Grafschaften genöthigt sind, sich mit Roggen oder Gerste zu begnügen, und
in Zeiten der Theuerung sogar mit Brod, das aus Bohnen. Erbsen oder
Hafer oder aus einem Gemisch derselben und einigen Eicheln bereitet wird."
Ein Friedensrichter in Somersethshire schreibt im Jahr 1396, daß „in einem
Jahre 40 Menschen wegen Raub, Diebstahl und anderer Criminalverbrechen
hingerichtet worden seien, daß 35 in die Hand gebrannt, 37 ausgepeitscht
und 183 freigesprochen worden seien, und daß doch nicht der fünfte Theil
der in der Grafschaft verübten Verbrechen zur Aburtheilung gekommen sei,
da die Friedensrichter durch die Drohungen der Verbündeten abgeschreckt
wurden, die Verbrecher vor das Gericht zu ziehen." So war der Zustand
des Volkes und namentlich der arbeitenden Classen in einer Zeit, die man
heutzutage nicht selten auf Kosten der Gegenwart anpreisen hört und von
der man behauptet, sie habe das erst durch den Jndustrialismus geschaffene
Arbeiterelend nicht gekannt.

Paris ist bekanntlich wie die administrative so auch die industrielle


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[0397] dessen „Kistor^ o^tke^vor" diese Thatsachen entnommen sind, bemerkt, wie man sich einen Begriff von der schlechten Bewirthschaftung in dieser Periode und von dem „daraus erwachsenden Elend der Arbeiter" aus der Thatsache bilden könnte, daß der gewöhnliche Weizenertrag nur fünf bis sechs Büschel per Morgen betrug. Im Jahr 1486 setzte ein neues Statut den jährlichen Lohn uns 16 Schilling 8 Pence und 4 Schilling für Kleider fest. Allein dieses Statut erwies sich als so unwirksam, daß zwanzig Jahre später auch noch verordnet werden mußte, daß die Leute, welche sich zu arbeiten weiger¬ ten ins Gefängniß geworfen und daß jeder Vagabund,.welcher „gesund und kräftig von Körper" sei. an das Karren Ende gebunden und so lange ge¬ peitscht werden solle, „bis sein Körper mittelst dieser Schläge blutig gewor¬ den sei." Wie zahlreich diese Vagabunden waren und wie groß die Schwierig¬ keit war Beschäftigung zu erhalten, erhellt aus der Thatsache, daß unter Heinrich VIII. von einer Bevölkerung von nur drei Millionen nicht weniger als 72,000 „große und kleine Diebe" hingerichtet wurden. Im Anfang der Regierung Eduards VI. wurden Gesetze erlassen, welche verordneten, daß, wenn ein Mann oder eine Frau, die arbeitsfähig waren, zu arbeiten sich weigerten und drei Tage müßig gingen ihnen mit einen roth¬ glühenden Eisen der Buchstabe V aus die Brust gebrannt und daß sie außer¬ dem Jedermann, der sie zur Anzeige bringe, auf zwei Jahre als Sclaven zuerkannt werden sollten. Ein Schriftsteller aus der Regierungszeit der Elisabeth, wo die Bevölke¬ rung nicht über drei und eine halbe Million betragen haben konnte, sagte: „Die Adligen versorgen sich gewöhnlich hinreichend mit Weizenbrod für ihre eigene Tafel, während ihr Gesinde und ihre armen Nachbarn in einigen Grafschaften genöthigt sind, sich mit Roggen oder Gerste zu begnügen, und in Zeiten der Theuerung sogar mit Brod, das aus Bohnen. Erbsen oder Hafer oder aus einem Gemisch derselben und einigen Eicheln bereitet wird." Ein Friedensrichter in Somersethshire schreibt im Jahr 1396, daß „in einem Jahre 40 Menschen wegen Raub, Diebstahl und anderer Criminalverbrechen hingerichtet worden seien, daß 35 in die Hand gebrannt, 37 ausgepeitscht und 183 freigesprochen worden seien, und daß doch nicht der fünfte Theil der in der Grafschaft verübten Verbrechen zur Aburtheilung gekommen sei, da die Friedensrichter durch die Drohungen der Verbündeten abgeschreckt wurden, die Verbrecher vor das Gericht zu ziehen." So war der Zustand des Volkes und namentlich der arbeitenden Classen in einer Zeit, die man heutzutage nicht selten auf Kosten der Gegenwart anpreisen hört und von der man behauptet, sie habe das erst durch den Jndustrialismus geschaffene Arbeiterelend nicht gekannt. Paris ist bekanntlich wie die administrative so auch die industrielle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/397>, abgerufen am 29.06.2024.