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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Beständig bewegt von einer nicht rastenden Zuversicht und dem Zorn
über die immer neu sich gestaltenden Hindernisse, bald hier bald dort den
festen Boden einer neuen Und sicheren Bildung suchend, gibt seine ganze lite-
rärische Thätigkeit die Stimmung eines großen und gebildeten Theils der
Nation eben in jener Unklarheit wieder, die er schon 1814 für unsere poli¬
tische Bildungsstufe selbst als gegeben anerkannte.

Einer der wesentlichsten Züge jedoch in diesem Bilde ist die Freude an
dem, was trotz alledem erreicht, das ehrliche und offene Behagen an den
wirklichen und unumstößlichen Resultaten der großen Kämpfe und an dem
für ihn größten dieser Resultate, der wiedergewonnenen Existenz des preußi¬
schen Staats. Diese positive Grundstimmung seiner ehrlichen deutschen Seele,
dieses "alten deutschen Gewissens", wie er sich selbst einmal genannt, trat,
bei ihm je länger, desto unerschütterlicher hervor.

Es ist Mir das Glück geworden', in seinen letzten Jahren wiederholent-
lich mit ihrri verkehren zu können, in jenem kleinen Haus an der Coblenzer
Straße vor Bonn, in dem Obstgarten, seinem "BaumgUt", wie er es mit
Humor bezeichnete, dessen kleinen Besorgungen und Geschäften er so gern
und rüstig nachzugehen liebte. Man sah hier gleichsam die Fortsetzung jener
freundlichen Idyllen unter Schloß Nassau, aus den Lahnwiesen > unter den
alten Bäumen, in denen er Stein und seine Freunde aus den trüben zwan¬
ziger Jahren mit so heiterem und unbefangenem Behagen geschildert hat.
Die Rüstigkeit seines Greisenalters ist bekannt. Er hat noch als mehr denn
achtzigjähriger Fußwanderer die neun Meilen von dem Gute seines Freundes
Hasenclever nach Bonn an einem Tage zurückgelegt.

Aber was beim persönlichen Umgang vor Allem anzog, das war der
Geist humaner Klugheit, sein mildes, bescheidenes und unbefangenes Urtheil
über Menschen und Dinge^

"Es ist leicht, Geschichte zu schreiben". Pflegte er zu sagen, "wenn man
Sueton sein will." Seine Erinnerungen an die Ereignisse und Begegnungen
seiner großen Jahre, wie sie später in dem Buche über Stein veröffentlicht
sind/beschäftigten ihn grade damals besonders lebendig. Das liebenswürdige
und erfrischende Buch enthält natürlich lange nicht Alles, was aus der Ge¬
schichte jener Tage ihm so unverwüstlich gegenwärtig geblieben, seine Seele
war eben jung geblieben in dem reinen Sinn für das wirklich Große und
Gute. Die Zeit, in der ihm dies wieder faßbar erstanden, war für ihn die
Zeit, da ihm auch Gottes gewaltige Hand sichtbar in den Menschengeschicken
erschienen.

In diesem Sinne war für ihn die Erhebung des preußischen Staats das
erste Zeichen und die erste Bedingung einer Neuschöpfung Deutschlands ge¬
worden und geblieben. "Sein Blick", sagt er von Stein, "War seit den ge-


Beständig bewegt von einer nicht rastenden Zuversicht und dem Zorn
über die immer neu sich gestaltenden Hindernisse, bald hier bald dort den
festen Boden einer neuen Und sicheren Bildung suchend, gibt seine ganze lite-
rärische Thätigkeit die Stimmung eines großen und gebildeten Theils der
Nation eben in jener Unklarheit wieder, die er schon 1814 für unsere poli¬
tische Bildungsstufe selbst als gegeben anerkannte.

Einer der wesentlichsten Züge jedoch in diesem Bilde ist die Freude an
dem, was trotz alledem erreicht, das ehrliche und offene Behagen an den
wirklichen und unumstößlichen Resultaten der großen Kämpfe und an dem
für ihn größten dieser Resultate, der wiedergewonnenen Existenz des preußi¬
schen Staats. Diese positive Grundstimmung seiner ehrlichen deutschen Seele,
dieses „alten deutschen Gewissens", wie er sich selbst einmal genannt, trat,
bei ihm je länger, desto unerschütterlicher hervor.

Es ist Mir das Glück geworden', in seinen letzten Jahren wiederholent-
lich mit ihrri verkehren zu können, in jenem kleinen Haus an der Coblenzer
Straße vor Bonn, in dem Obstgarten, seinem „BaumgUt", wie er es mit
Humor bezeichnete, dessen kleinen Besorgungen und Geschäften er so gern
und rüstig nachzugehen liebte. Man sah hier gleichsam die Fortsetzung jener
freundlichen Idyllen unter Schloß Nassau, aus den Lahnwiesen > unter den
alten Bäumen, in denen er Stein und seine Freunde aus den trüben zwan¬
ziger Jahren mit so heiterem und unbefangenem Behagen geschildert hat.
Die Rüstigkeit seines Greisenalters ist bekannt. Er hat noch als mehr denn
achtzigjähriger Fußwanderer die neun Meilen von dem Gute seines Freundes
Hasenclever nach Bonn an einem Tage zurückgelegt.

Aber was beim persönlichen Umgang vor Allem anzog, das war der
Geist humaner Klugheit, sein mildes, bescheidenes und unbefangenes Urtheil
über Menschen und Dinge^

„Es ist leicht, Geschichte zu schreiben". Pflegte er zu sagen, „wenn man
Sueton sein will." Seine Erinnerungen an die Ereignisse und Begegnungen
seiner großen Jahre, wie sie später in dem Buche über Stein veröffentlicht
sind/beschäftigten ihn grade damals besonders lebendig. Das liebenswürdige
und erfrischende Buch enthält natürlich lange nicht Alles, was aus der Ge¬
schichte jener Tage ihm so unverwüstlich gegenwärtig geblieben, seine Seele
war eben jung geblieben in dem reinen Sinn für das wirklich Große und
Gute. Die Zeit, in der ihm dies wieder faßbar erstanden, war für ihn die
Zeit, da ihm auch Gottes gewaltige Hand sichtbar in den Menschengeschicken
erschienen.

In diesem Sinne war für ihn die Erhebung des preußischen Staats das
erste Zeichen und die erste Bedingung einer Neuschöpfung Deutschlands ge¬
worden und geblieben. „Sein Blick", sagt er von Stein, „War seit den ge-


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[0378] Beständig bewegt von einer nicht rastenden Zuversicht und dem Zorn über die immer neu sich gestaltenden Hindernisse, bald hier bald dort den festen Boden einer neuen Und sicheren Bildung suchend, gibt seine ganze lite- rärische Thätigkeit die Stimmung eines großen und gebildeten Theils der Nation eben in jener Unklarheit wieder, die er schon 1814 für unsere poli¬ tische Bildungsstufe selbst als gegeben anerkannte. Einer der wesentlichsten Züge jedoch in diesem Bilde ist die Freude an dem, was trotz alledem erreicht, das ehrliche und offene Behagen an den wirklichen und unumstößlichen Resultaten der großen Kämpfe und an dem für ihn größten dieser Resultate, der wiedergewonnenen Existenz des preußi¬ schen Staats. Diese positive Grundstimmung seiner ehrlichen deutschen Seele, dieses „alten deutschen Gewissens", wie er sich selbst einmal genannt, trat, bei ihm je länger, desto unerschütterlicher hervor. Es ist Mir das Glück geworden', in seinen letzten Jahren wiederholent- lich mit ihrri verkehren zu können, in jenem kleinen Haus an der Coblenzer Straße vor Bonn, in dem Obstgarten, seinem „BaumgUt", wie er es mit Humor bezeichnete, dessen kleinen Besorgungen und Geschäften er so gern und rüstig nachzugehen liebte. Man sah hier gleichsam die Fortsetzung jener freundlichen Idyllen unter Schloß Nassau, aus den Lahnwiesen > unter den alten Bäumen, in denen er Stein und seine Freunde aus den trüben zwan¬ ziger Jahren mit so heiterem und unbefangenem Behagen geschildert hat. Die Rüstigkeit seines Greisenalters ist bekannt. Er hat noch als mehr denn achtzigjähriger Fußwanderer die neun Meilen von dem Gute seines Freundes Hasenclever nach Bonn an einem Tage zurückgelegt. Aber was beim persönlichen Umgang vor Allem anzog, das war der Geist humaner Klugheit, sein mildes, bescheidenes und unbefangenes Urtheil über Menschen und Dinge^ „Es ist leicht, Geschichte zu schreiben". Pflegte er zu sagen, „wenn man Sueton sein will." Seine Erinnerungen an die Ereignisse und Begegnungen seiner großen Jahre, wie sie später in dem Buche über Stein veröffentlicht sind/beschäftigten ihn grade damals besonders lebendig. Das liebenswürdige und erfrischende Buch enthält natürlich lange nicht Alles, was aus der Ge¬ schichte jener Tage ihm so unverwüstlich gegenwärtig geblieben, seine Seele war eben jung geblieben in dem reinen Sinn für das wirklich Große und Gute. Die Zeit, in der ihm dies wieder faßbar erstanden, war für ihn die Zeit, da ihm auch Gottes gewaltige Hand sichtbar in den Menschengeschicken erschienen. In diesem Sinne war für ihn die Erhebung des preußischen Staats das erste Zeichen und die erste Bedingung einer Neuschöpfung Deutschlands ge¬ worden und geblieben. „Sein Blick", sagt er von Stein, „War seit den ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/378>, abgerufen am 29.06.2024.