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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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waldigen Tagen an der Katzbach und bei Dennewitz und Leipzig nur nach
dem Norden gerichtet, nach dem Volk, was zwischen der Weser, Elbe, Weichsel
bis zum Pregel wohnt, nach dem glorreichen Stamm, der es beherrscht, nach
den Hohenzollern. Hier sah er Deutschlands Zukunft aufdämmern, hier die
Macht und Herrlichkeit, wovon wir schon 1813 und 1815 geträumt hatten."
Arndt vertauschte die deutsche Cocarde. die er 1848 angelegt, mit der preußi¬
schen bei der Nachricht von der Erwerbung des Jcihdebusens.

Mit dieser politischen Zuversicht ging bei ihm eine ernste, immer posi-
tivere Religiosität Hand in Hand. Schon 1815 in der Vorrede zur dritten
Auflage des Geistes der Zeit widerrief er "manche aus einem zu herben und
und grünen Protestantismus ausgesprochene Aeußerungen über Kirche und
Priesterthum, die er seinen lieben Landsleuten demüthig abbilde." Die lieben
Landsleute werden freilich auch heute noch nicht müde, gerade diese Dinge
für ihren Protestantismus zu verwerthen. Er selbst hat sich in der tiefsten
und offensten Weise für die Freiheit, aber auch für die keusche Innerlichkeit
christlichen Lebens immer von Neuem ausgesprochen. Das Lied, das er als
Facsimile der letzten Ausgabe seiner Gedichte hinzufügte, zeigt deutlicher als
Alles, was und wie er glaubte.

Sein Haus war und wurde, namentlich im Sommer, der Mittelpunkt
eines Fremdenverkehrs, dessen immer wechselnden Eindrücken nur eine solche
Natur, ohne zu ermüden, in ungebrochener Heiterkett und Schlagfertigkeit
Stand halten konnte. Jeder Tag zeigte dann, daß unter diesem Dach viel¬
leicht der populärste Mann Deutschlands wohne.

Für den teilnehmenden Beobachter mochte die immer größere Ausdeh¬
nung seiner Popularität zugleich beweisen, wie sich die Grundanschauungen
eines so reichbewegter Lebens, trotz aller Unklarheit und Formlosigkeit immer
weiter verbreiteten, immer größere Kreise zogen.

Ohne eine besonders lebhafte Betheiligung an der Tagespresse, ohne eine
bedeutende parlamentarische Thätigkeit, bei einer halb publicistischen, halb
literärischen Wirksamkeit, man wäre bisweilen versucht, zu sagen, trotz der¬
selben war Arndt nicht nur der politische Märtyrer, an dessen Mißhandlung sich
die Opposition allein erhitzte, sondern vielmehr der positive, ehrliche, oft un¬
klare, aber unverfälschte Repräsentant einer tiefgehenden, weitverbreiteten,
immer weniger leidenschaftlichen, aber immer wärmeren und tieferen politi¬
schen Ueberzeugung geworden.

Es war ihm nicht vergönnt, die Verwirklichung seiner Hoffnungen im
Jahre 1866 zu erleben. Wie wenig oder wie sehr die jetzige Gestaltung
unserer Verhältnisse ihnen entsprochen hätte, das zeigen die merkwürdigen
Gedanken, die er schon im Herbst 1814 über den wahrscheinlichen Gang
der deutschen Entwickelung und über die einzig richtige Form einer


waldigen Tagen an der Katzbach und bei Dennewitz und Leipzig nur nach
dem Norden gerichtet, nach dem Volk, was zwischen der Weser, Elbe, Weichsel
bis zum Pregel wohnt, nach dem glorreichen Stamm, der es beherrscht, nach
den Hohenzollern. Hier sah er Deutschlands Zukunft aufdämmern, hier die
Macht und Herrlichkeit, wovon wir schon 1813 und 1815 geträumt hatten."
Arndt vertauschte die deutsche Cocarde. die er 1848 angelegt, mit der preußi¬
schen bei der Nachricht von der Erwerbung des Jcihdebusens.

Mit dieser politischen Zuversicht ging bei ihm eine ernste, immer posi-
tivere Religiosität Hand in Hand. Schon 1815 in der Vorrede zur dritten
Auflage des Geistes der Zeit widerrief er „manche aus einem zu herben und
und grünen Protestantismus ausgesprochene Aeußerungen über Kirche und
Priesterthum, die er seinen lieben Landsleuten demüthig abbilde." Die lieben
Landsleute werden freilich auch heute noch nicht müde, gerade diese Dinge
für ihren Protestantismus zu verwerthen. Er selbst hat sich in der tiefsten
und offensten Weise für die Freiheit, aber auch für die keusche Innerlichkeit
christlichen Lebens immer von Neuem ausgesprochen. Das Lied, das er als
Facsimile der letzten Ausgabe seiner Gedichte hinzufügte, zeigt deutlicher als
Alles, was und wie er glaubte.

Sein Haus war und wurde, namentlich im Sommer, der Mittelpunkt
eines Fremdenverkehrs, dessen immer wechselnden Eindrücken nur eine solche
Natur, ohne zu ermüden, in ungebrochener Heiterkett und Schlagfertigkeit
Stand halten konnte. Jeder Tag zeigte dann, daß unter diesem Dach viel¬
leicht der populärste Mann Deutschlands wohne.

Für den teilnehmenden Beobachter mochte die immer größere Ausdeh¬
nung seiner Popularität zugleich beweisen, wie sich die Grundanschauungen
eines so reichbewegter Lebens, trotz aller Unklarheit und Formlosigkeit immer
weiter verbreiteten, immer größere Kreise zogen.

Ohne eine besonders lebhafte Betheiligung an der Tagespresse, ohne eine
bedeutende parlamentarische Thätigkeit, bei einer halb publicistischen, halb
literärischen Wirksamkeit, man wäre bisweilen versucht, zu sagen, trotz der¬
selben war Arndt nicht nur der politische Märtyrer, an dessen Mißhandlung sich
die Opposition allein erhitzte, sondern vielmehr der positive, ehrliche, oft un¬
klare, aber unverfälschte Repräsentant einer tiefgehenden, weitverbreiteten,
immer weniger leidenschaftlichen, aber immer wärmeren und tieferen politi¬
schen Ueberzeugung geworden.

Es war ihm nicht vergönnt, die Verwirklichung seiner Hoffnungen im
Jahre 1866 zu erleben. Wie wenig oder wie sehr die jetzige Gestaltung
unserer Verhältnisse ihnen entsprochen hätte, das zeigen die merkwürdigen
Gedanken, die er schon im Herbst 1814 über den wahrscheinlichen Gang
der deutschen Entwickelung und über die einzig richtige Form einer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/379>, abgerufen am 29.06.2024.