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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Es ist eine für die Geschichte unser öffentlichen Meinung sehr beachtens-
werthe Thatsache, daß Arndt's literärische und politische Persönlichkeit in der
zum Theil zick- und bahnlosen Bewegung dieser Jahre immer für sehr weite
und zum Theil hochgebildete Kreise der eigentliche Ausdruck ihrer politischen
Stimmung blieb. Die eigenthümliche Mischung einer leidenschaftlichen und
tief verletzten Opposition, einer nur sehr allmälig sich lichtender Unklarheit
der Ziele und einer tiefen, immer ^positiverer religiösen Ueberzeugung bildet
ein Ganzes, das zu der frivolen und eleganten Publicistik z. B. eines Börne
in einem schroffen und vielleicht nicht genug beachteten Gegensatz steht.

Während diese letztere Richtung sich immer mehr an den Anschauungen
französischer Doctrin ausbildete und den politischen Maßstab der Pariser
Kammerdebatten ihren Urtheilen und Forderungen zu Grunde legte, blieb
Arndt, man wird es sagen können, wesentlich auf dem Standpunkt stehen,
den er unter den überwältigenden Eindrücken selner großen Jahre gewonnen
hatte. Sein Urtheil über die Bildung des 18ten Jahrhunderts, der tiefe
Abscheu vor den Bewegungen der Revolution und ihren napoleonischen Con-
sequenzen ist wesentlich dasselbe geblieben, wie er es im Geist der Zeit leiden¬
schaftlich und mit dem Jnstinct einer tief sittlichen Entrüstung heraus¬
gestoßen hatte.

Man könnte den Eindruck gewinnen, als ob er Goethe und Stein, "die
beiden größten Deutschen des 19ten Jahrhunderts", sich gegenüberstellte wie
die beiden Repräsentanten jener großen Richtungen der Nation, deren eine
seine Jugendjahre so heiter bewegt, deren .andere ihn so unwiderstehlich zu
dem Manne gemacht, der er für uns ist. Noch in den späteren Jahren
brach bei der Erinnerung an gewisse Persönlichkeiten, wie namentlich der
Brüder v. Gerlach und Alexanders v. Humboldt das Entsetzen vor den so
verschiedenen geistigen Richtungen leidenschaftlich hervor, die er in so aus¬
geprägten Charakteren immer von Neuem zu verurtheilen sich gedrungen fühlte.

Ihnen gegenüber hatte die Bewegung, der Fichte, Schleiermacher, Gnei-
senau und Scharnhorst mit Feder und Schwert Ausdruck gegeben und Bahn
gebrochen, für ihn eine für immer sieghafte und unwiderstehliche Bedeutung
gewonnen. Für diesen "Geist und diese Freiheit des Geistes" forderte und
stritt er weiter um freie Bahn, mit der Ueberzeugung eines Mannes, dem
"das Unbegreifliche" sichtbar in den Erfolgen jener Gewaltigen erschienen.
In dem Gedränge alter und neuer, unreifer und überreifer Anschauungen
und Ansprüche sieht man ihn, von allen positiv und negativ bewegt, sich
dem Ziele zu kämpfen, das er wie eine Verheißung immer im Auge behält.
"Ihr mögt", so rief er 1818 aus, "die Zeit für einen Teufel oder einen
Gott halten, so mächtig sind ihre Lebenskeime, daß sie lebendig zur Welt
kommen wird."


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Es ist eine für die Geschichte unser öffentlichen Meinung sehr beachtens-
werthe Thatsache, daß Arndt's literärische und politische Persönlichkeit in der
zum Theil zick- und bahnlosen Bewegung dieser Jahre immer für sehr weite
und zum Theil hochgebildete Kreise der eigentliche Ausdruck ihrer politischen
Stimmung blieb. Die eigenthümliche Mischung einer leidenschaftlichen und
tief verletzten Opposition, einer nur sehr allmälig sich lichtender Unklarheit
der Ziele und einer tiefen, immer ^positiverer religiösen Ueberzeugung bildet
ein Ganzes, das zu der frivolen und eleganten Publicistik z. B. eines Börne
in einem schroffen und vielleicht nicht genug beachteten Gegensatz steht.

Während diese letztere Richtung sich immer mehr an den Anschauungen
französischer Doctrin ausbildete und den politischen Maßstab der Pariser
Kammerdebatten ihren Urtheilen und Forderungen zu Grunde legte, blieb
Arndt, man wird es sagen können, wesentlich auf dem Standpunkt stehen,
den er unter den überwältigenden Eindrücken selner großen Jahre gewonnen
hatte. Sein Urtheil über die Bildung des 18ten Jahrhunderts, der tiefe
Abscheu vor den Bewegungen der Revolution und ihren napoleonischen Con-
sequenzen ist wesentlich dasselbe geblieben, wie er es im Geist der Zeit leiden¬
schaftlich und mit dem Jnstinct einer tief sittlichen Entrüstung heraus¬
gestoßen hatte.

Man könnte den Eindruck gewinnen, als ob er Goethe und Stein, „die
beiden größten Deutschen des 19ten Jahrhunderts", sich gegenüberstellte wie
die beiden Repräsentanten jener großen Richtungen der Nation, deren eine
seine Jugendjahre so heiter bewegt, deren .andere ihn so unwiderstehlich zu
dem Manne gemacht, der er für uns ist. Noch in den späteren Jahren
brach bei der Erinnerung an gewisse Persönlichkeiten, wie namentlich der
Brüder v. Gerlach und Alexanders v. Humboldt das Entsetzen vor den so
verschiedenen geistigen Richtungen leidenschaftlich hervor, die er in so aus¬
geprägten Charakteren immer von Neuem zu verurtheilen sich gedrungen fühlte.

Ihnen gegenüber hatte die Bewegung, der Fichte, Schleiermacher, Gnei-
senau und Scharnhorst mit Feder und Schwert Ausdruck gegeben und Bahn
gebrochen, für ihn eine für immer sieghafte und unwiderstehliche Bedeutung
gewonnen. Für diesen „Geist und diese Freiheit des Geistes" forderte und
stritt er weiter um freie Bahn, mit der Ueberzeugung eines Mannes, dem
»das Unbegreifliche" sichtbar in den Erfolgen jener Gewaltigen erschienen.
In dem Gedränge alter und neuer, unreifer und überreifer Anschauungen
und Ansprüche sieht man ihn, von allen positiv und negativ bewegt, sich
dem Ziele zu kämpfen, das er wie eine Verheißung immer im Auge behält.
„Ihr mögt", so rief er 1818 aus, „die Zeit für einen Teufel oder einen
Gott halten, so mächtig sind ihre Lebenskeime, daß sie lebendig zur Welt
kommen wird."


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[0377] Es ist eine für die Geschichte unser öffentlichen Meinung sehr beachtens- werthe Thatsache, daß Arndt's literärische und politische Persönlichkeit in der zum Theil zick- und bahnlosen Bewegung dieser Jahre immer für sehr weite und zum Theil hochgebildete Kreise der eigentliche Ausdruck ihrer politischen Stimmung blieb. Die eigenthümliche Mischung einer leidenschaftlichen und tief verletzten Opposition, einer nur sehr allmälig sich lichtender Unklarheit der Ziele und einer tiefen, immer ^positiverer religiösen Ueberzeugung bildet ein Ganzes, das zu der frivolen und eleganten Publicistik z. B. eines Börne in einem schroffen und vielleicht nicht genug beachteten Gegensatz steht. Während diese letztere Richtung sich immer mehr an den Anschauungen französischer Doctrin ausbildete und den politischen Maßstab der Pariser Kammerdebatten ihren Urtheilen und Forderungen zu Grunde legte, blieb Arndt, man wird es sagen können, wesentlich auf dem Standpunkt stehen, den er unter den überwältigenden Eindrücken selner großen Jahre gewonnen hatte. Sein Urtheil über die Bildung des 18ten Jahrhunderts, der tiefe Abscheu vor den Bewegungen der Revolution und ihren napoleonischen Con- sequenzen ist wesentlich dasselbe geblieben, wie er es im Geist der Zeit leiden¬ schaftlich und mit dem Jnstinct einer tief sittlichen Entrüstung heraus¬ gestoßen hatte. Man könnte den Eindruck gewinnen, als ob er Goethe und Stein, „die beiden größten Deutschen des 19ten Jahrhunderts", sich gegenüberstellte wie die beiden Repräsentanten jener großen Richtungen der Nation, deren eine seine Jugendjahre so heiter bewegt, deren .andere ihn so unwiderstehlich zu dem Manne gemacht, der er für uns ist. Noch in den späteren Jahren brach bei der Erinnerung an gewisse Persönlichkeiten, wie namentlich der Brüder v. Gerlach und Alexanders v. Humboldt das Entsetzen vor den so verschiedenen geistigen Richtungen leidenschaftlich hervor, die er in so aus¬ geprägten Charakteren immer von Neuem zu verurtheilen sich gedrungen fühlte. Ihnen gegenüber hatte die Bewegung, der Fichte, Schleiermacher, Gnei- senau und Scharnhorst mit Feder und Schwert Ausdruck gegeben und Bahn gebrochen, für ihn eine für immer sieghafte und unwiderstehliche Bedeutung gewonnen. Für diesen „Geist und diese Freiheit des Geistes" forderte und stritt er weiter um freie Bahn, mit der Ueberzeugung eines Mannes, dem »das Unbegreifliche" sichtbar in den Erfolgen jener Gewaltigen erschienen. In dem Gedränge alter und neuer, unreifer und überreifer Anschauungen und Ansprüche sieht man ihn, von allen positiv und negativ bewegt, sich dem Ziele zu kämpfen, das er wie eine Verheißung immer im Auge behält. „Ihr mögt", so rief er 1818 aus, „die Zeit für einen Teufel oder einen Gott halten, so mächtig sind ihre Lebenskeime, daß sie lebendig zur Welt kommen wird." 47"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/377>, abgerufen am 29.06.2024.