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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Schleiermacher sagt, wenn ich recht erinnere, in einem Briefe aus dem
Frühjahr 1813, "wenn dieser Krieg nicht sieben Jahre dauert, hilft er uns
nicht."

Wir wissen alle, wie überraschend schnell er zu Ende geführt ward.
Mitten in dieser unwiderstehlichen Bewegung wirkte Arndt von Tag zu Tag
rastlos auf die großen Ziele zu. In seinen poetischen und prosaischen Schrif¬
ten verkörperte sich die Macht seiner eigenen Stimmung und die Gesammt-
bewegung der Nation zu jenen zum Theil so einfachen und deßhalb so schlagen¬
den Worten und Strophen, von denen so manche nie untergehen wird, so
lange es ein preußisches Heer und ein deutsches Volk gibt.

Wird es uns heute schon schwer, die ganze Wucht jener unaufhaltsamen
Bewegung uns zu vergegenwärtigen, viel schwerer doch wird es immer bleiben,
den furchtbaren Stoß nachzuempfinden, mit dem die plötzliche Beendigung des
Krieges, man darf sagen, der jähe Abschluß schon des ersten Pariser Friedens,
alle diese treibenden, sich entwickelnden, drängenden Kräfte durcheinander warf.

Die unselige Lage, in welche schon die nächste" Resultate der großen
Verhandlungen Preußen und Deutschland versetzten, war der einer plötzlich
festgebannten Schöpfung zu vergleichen.

Man muß diese Rapidität des Stillstandes und den Unsegen der folgen¬
den Verwirrung ins Auge fassen, um auch Arndt's weitere Thätigkeit zu ver¬
stehen. "Man beschuldigt", so schreibt er schon im Herbst 14, "die politischen
teutschen Schriftsteller und man hat auch Wied beschuldigt, d.aß wir.uristcit
und ohne Mittelpunkt des Urtheils hin und her schwanken, ^ B.el uns
können wir Manches nicht sagen aus Mangel an politischer Haftung und
Einsicht, bei uns dürfen wir Manches nicht sagen aus Mangel an polnischer
Freiheit. -- Da wir in Deutschland noch nirgends ein festes politisches Ziel
haben, so müssen viele politische Pfeile in die öde Weite abgeschossen werden
und selten erfahren wir, ob sie getroffen haben. In einer.andreren Rücksicht
sind wir mit unserem lieben Vaterlande daran, wie .ein Slrzt mit einem
wahnwitzigen Kranken. -- Wenn man mit Wahnwitzigen spricht, so muß man
in Worten und Reden oft die wildesten Sprünge machen, man muß ihnen
fast gleich -wie halb toll reden und urtheilen, damit man nur ti.e Stelle findet,
wo sin kleines Bischen Vernunf-t wieder anA,ezünd.et werde" kan,n. Wir
müssen bei einem Volk, das allen großen politischen 'Takt verloren hat, viel¬
fach hin und her fühlen und versuchen, ob und wo -w,ir ihm irgend eine Klar-
heit anMnden können."

Schärfer, wie hier mK seinen eigene" Worten, wird man d.en Eindruck
der schyiststellerischen Thätigkeit nicht charakteyisir.en können, in we.lebe er sich
jetzt hineinwarf. Der furchtbare Rückschlag jener orkanartiger Bewegung


Grenzboten I. 1870. 47

Schleiermacher sagt, wenn ich recht erinnere, in einem Briefe aus dem
Frühjahr 1813, „wenn dieser Krieg nicht sieben Jahre dauert, hilft er uns
nicht."

Wir wissen alle, wie überraschend schnell er zu Ende geführt ward.
Mitten in dieser unwiderstehlichen Bewegung wirkte Arndt von Tag zu Tag
rastlos auf die großen Ziele zu. In seinen poetischen und prosaischen Schrif¬
ten verkörperte sich die Macht seiner eigenen Stimmung und die Gesammt-
bewegung der Nation zu jenen zum Theil so einfachen und deßhalb so schlagen¬
den Worten und Strophen, von denen so manche nie untergehen wird, so
lange es ein preußisches Heer und ein deutsches Volk gibt.

Wird es uns heute schon schwer, die ganze Wucht jener unaufhaltsamen
Bewegung uns zu vergegenwärtigen, viel schwerer doch wird es immer bleiben,
den furchtbaren Stoß nachzuempfinden, mit dem die plötzliche Beendigung des
Krieges, man darf sagen, der jähe Abschluß schon des ersten Pariser Friedens,
alle diese treibenden, sich entwickelnden, drängenden Kräfte durcheinander warf.

Die unselige Lage, in welche schon die nächste« Resultate der großen
Verhandlungen Preußen und Deutschland versetzten, war der einer plötzlich
festgebannten Schöpfung zu vergleichen.

Man muß diese Rapidität des Stillstandes und den Unsegen der folgen¬
den Verwirrung ins Auge fassen, um auch Arndt's weitere Thätigkeit zu ver¬
stehen. „Man beschuldigt", so schreibt er schon im Herbst 14, „die politischen
teutschen Schriftsteller und man hat auch Wied beschuldigt, d.aß wir.uristcit
und ohne Mittelpunkt des Urtheils hin und her schwanken, ^ B.el uns
können wir Manches nicht sagen aus Mangel an politischer Haftung und
Einsicht, bei uns dürfen wir Manches nicht sagen aus Mangel an polnischer
Freiheit. — Da wir in Deutschland noch nirgends ein festes politisches Ziel
haben, so müssen viele politische Pfeile in die öde Weite abgeschossen werden
und selten erfahren wir, ob sie getroffen haben. In einer.andreren Rücksicht
sind wir mit unserem lieben Vaterlande daran, wie .ein Slrzt mit einem
wahnwitzigen Kranken. — Wenn man mit Wahnwitzigen spricht, so muß man
in Worten und Reden oft die wildesten Sprünge machen, man muß ihnen
fast gleich -wie halb toll reden und urtheilen, damit man nur ti.e Stelle findet,
wo sin kleines Bischen Vernunf-t wieder anA,ezünd.et werde» kan,n. Wir
müssen bei einem Volk, das allen großen politischen 'Takt verloren hat, viel¬
fach hin und her fühlen und versuchen, ob und wo -w,ir ihm irgend eine Klar-
heit anMnden können."

Schärfer, wie hier mK seinen eigene» Worten, wird man d.en Eindruck
der schyiststellerischen Thätigkeit nicht charakteyisir.en können, in we.lebe er sich
jetzt hineinwarf. Der furchtbare Rückschlag jener orkanartiger Bewegung


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[0375] Schleiermacher sagt, wenn ich recht erinnere, in einem Briefe aus dem Frühjahr 1813, „wenn dieser Krieg nicht sieben Jahre dauert, hilft er uns nicht." Wir wissen alle, wie überraschend schnell er zu Ende geführt ward. Mitten in dieser unwiderstehlichen Bewegung wirkte Arndt von Tag zu Tag rastlos auf die großen Ziele zu. In seinen poetischen und prosaischen Schrif¬ ten verkörperte sich die Macht seiner eigenen Stimmung und die Gesammt- bewegung der Nation zu jenen zum Theil so einfachen und deßhalb so schlagen¬ den Worten und Strophen, von denen so manche nie untergehen wird, so lange es ein preußisches Heer und ein deutsches Volk gibt. Wird es uns heute schon schwer, die ganze Wucht jener unaufhaltsamen Bewegung uns zu vergegenwärtigen, viel schwerer doch wird es immer bleiben, den furchtbaren Stoß nachzuempfinden, mit dem die plötzliche Beendigung des Krieges, man darf sagen, der jähe Abschluß schon des ersten Pariser Friedens, alle diese treibenden, sich entwickelnden, drängenden Kräfte durcheinander warf. Die unselige Lage, in welche schon die nächste« Resultate der großen Verhandlungen Preußen und Deutschland versetzten, war der einer plötzlich festgebannten Schöpfung zu vergleichen. Man muß diese Rapidität des Stillstandes und den Unsegen der folgen¬ den Verwirrung ins Auge fassen, um auch Arndt's weitere Thätigkeit zu ver¬ stehen. „Man beschuldigt", so schreibt er schon im Herbst 14, „die politischen teutschen Schriftsteller und man hat auch Wied beschuldigt, d.aß wir.uristcit und ohne Mittelpunkt des Urtheils hin und her schwanken, ^ B.el uns können wir Manches nicht sagen aus Mangel an politischer Haftung und Einsicht, bei uns dürfen wir Manches nicht sagen aus Mangel an polnischer Freiheit. — Da wir in Deutschland noch nirgends ein festes politisches Ziel haben, so müssen viele politische Pfeile in die öde Weite abgeschossen werden und selten erfahren wir, ob sie getroffen haben. In einer.andreren Rücksicht sind wir mit unserem lieben Vaterlande daran, wie .ein Slrzt mit einem wahnwitzigen Kranken. — Wenn man mit Wahnwitzigen spricht, so muß man in Worten und Reden oft die wildesten Sprünge machen, man muß ihnen fast gleich -wie halb toll reden und urtheilen, damit man nur ti.e Stelle findet, wo sin kleines Bischen Vernunf-t wieder anA,ezünd.et werde» kan,n. Wir müssen bei einem Volk, das allen großen politischen 'Takt verloren hat, viel¬ fach hin und her fühlen und versuchen, ob und wo -w,ir ihm irgend eine Klar- heit anMnden können." Schärfer, wie hier mK seinen eigene» Worten, wird man d.en Eindruck der schyiststellerischen Thätigkeit nicht charakteyisir.en können, in we.lebe er sich jetzt hineinwarf. Der furchtbare Rückschlag jener orkanartiger Bewegung Grenzboten I. 1870. 47

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/375>, abgerufen am 28.09.2024.