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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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steiler haben nicht verabsäumt, mit einem Seitenhieb gegen "die Diplomaten"
seine unfreiwillige Unthätigkeit in Reichenbach zu notiren. Er selbst in seinen
Erinnerungen zeigt keine Spur einer solchen Verstimmung. Mit dem liebens¬
würdigsten Humor schildert er sein Stillleben in jenen Tagen "im Nacht¬
wächterhäuschen auf der Stadtmauer" und wie schwer und bang Erwartung
und Furcht auch auf ihm lasten mochte, die Grundstimmung seiner Seele
bricht in einem Gedicht zu Tage, das, dort verfaßt, an Klarheit und innerer
Helle fast einzig unter den übrigen dasteht. Er schildert darin derjenigen,
mit der ihn die Zukunft vereinigen wird, zur freundlichen Wahl ihres
Wohnsitzes seine Rügensche Heimath und den Rhein.

"Dies ist das Eiland", heißt es von jener, "geschirmt durch Höhen und
Wälder vor Stürmen,

"Schauet es über das Land, über die Küsten hinaus,

"Fern aus das wogende Meer, wo Schiffe wie reisende Vögel

"Glänzender Fittige Flug spreiten dem hauchenden Wind."

Klar gedacht und mit ruhiger Sicherheit gestaltet, wie die lieblichsten
Stellen in Goethe's Herrmann und Dorothea oder Voß Luise beweist diese
Idylle gerade an dieser Stelle seines bewegten Lebens, daß seine Seele sich
mit jedem Schritte vorwärts an dem wiedergewonnenen Gefühl klarer und
menschlicher Verhältnisse erlabte. Es war für ihn, als ob sich vor ihm aus
den wüsten Fluthen des alten Chaos mit der Erhebung des preußischen
Staates das grüne Land einer neuen Schöpfung höbe.

Nun nach eben jenen Reichenbacher Wochen kamen die großen Ent¬
scheidungsschlachten des August, September und Oetober.

Ueber den realen Kräften eines neuen Daseins erschien ihm da wie in
einer anderen Offenbarung die gewaltige Hand Gottes in den irdischen Er¬
folgen.

"Aber wodurch", fragt er in der schon angeführten Schrift, "ist Gott
über das preußische Heer gekommen? Das Erste und Größte wissen wir
nicht und dürfen es nicht erklären, weil wir an das Geheime und Unendliche
glauben, das sich zu seiner Zeit in Zeichen und Wundern dem Menschenge¬
schlechte bezeugt, damit sie lernen Gerechtigkeit üben und vor Freveln zittern.
Das Zweite und Kleinere wissen wir und dürfen es erklären, es heißt der
Geist und die Freiheit des Geistes".

Goethe läßt im Götz den Bruder Martin in die Worte ausbrechen, "es
ist eine Wollust, einen großen Mann zu sehen". Arndt würde eben so ein¬
fach wie der Ritter mit der eisernen Hand diese Worte von sich zurückge¬
wiesen haben, aber in der That ist es eine Wollust, sich den Strom von
Glück und Hoffnung zu vergegenwärtigen, in dem dieses freie und empfäng¬
liche und fromme Herz in jenen Monaten unerhörter Erfolge dahin getragen
wurde.


steiler haben nicht verabsäumt, mit einem Seitenhieb gegen „die Diplomaten"
seine unfreiwillige Unthätigkeit in Reichenbach zu notiren. Er selbst in seinen
Erinnerungen zeigt keine Spur einer solchen Verstimmung. Mit dem liebens¬
würdigsten Humor schildert er sein Stillleben in jenen Tagen „im Nacht¬
wächterhäuschen auf der Stadtmauer" und wie schwer und bang Erwartung
und Furcht auch auf ihm lasten mochte, die Grundstimmung seiner Seele
bricht in einem Gedicht zu Tage, das, dort verfaßt, an Klarheit und innerer
Helle fast einzig unter den übrigen dasteht. Er schildert darin derjenigen,
mit der ihn die Zukunft vereinigen wird, zur freundlichen Wahl ihres
Wohnsitzes seine Rügensche Heimath und den Rhein.

„Dies ist das Eiland", heißt es von jener, „geschirmt durch Höhen und
Wälder vor Stürmen,

„Schauet es über das Land, über die Küsten hinaus,

„Fern aus das wogende Meer, wo Schiffe wie reisende Vögel

„Glänzender Fittige Flug spreiten dem hauchenden Wind."

Klar gedacht und mit ruhiger Sicherheit gestaltet, wie die lieblichsten
Stellen in Goethe's Herrmann und Dorothea oder Voß Luise beweist diese
Idylle gerade an dieser Stelle seines bewegten Lebens, daß seine Seele sich
mit jedem Schritte vorwärts an dem wiedergewonnenen Gefühl klarer und
menschlicher Verhältnisse erlabte. Es war für ihn, als ob sich vor ihm aus
den wüsten Fluthen des alten Chaos mit der Erhebung des preußischen
Staates das grüne Land einer neuen Schöpfung höbe.

Nun nach eben jenen Reichenbacher Wochen kamen die großen Ent¬
scheidungsschlachten des August, September und Oetober.

Ueber den realen Kräften eines neuen Daseins erschien ihm da wie in
einer anderen Offenbarung die gewaltige Hand Gottes in den irdischen Er¬
folgen.

„Aber wodurch", fragt er in der schon angeführten Schrift, „ist Gott
über das preußische Heer gekommen? Das Erste und Größte wissen wir
nicht und dürfen es nicht erklären, weil wir an das Geheime und Unendliche
glauben, das sich zu seiner Zeit in Zeichen und Wundern dem Menschenge¬
schlechte bezeugt, damit sie lernen Gerechtigkeit üben und vor Freveln zittern.
Das Zweite und Kleinere wissen wir und dürfen es erklären, es heißt der
Geist und die Freiheit des Geistes".

Goethe läßt im Götz den Bruder Martin in die Worte ausbrechen, „es
ist eine Wollust, einen großen Mann zu sehen". Arndt würde eben so ein¬
fach wie der Ritter mit der eisernen Hand diese Worte von sich zurückge¬
wiesen haben, aber in der That ist es eine Wollust, sich den Strom von
Glück und Hoffnung zu vergegenwärtigen, in dem dieses freie und empfäng¬
liche und fromme Herz in jenen Monaten unerhörter Erfolge dahin getragen
wurde.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/374>, abgerufen am 29.06.2024.