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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Seine religiösen Lieder beginnen in der letzten Ausgabe vom Jahre 1807;
das erste in jenem einfachen Ton patriotischer Begeisterung ist "das Lied
vom Schill" aus dem Jahr 1812, aus demselben Jahr "der Gott, der Eisen
wachsen ließ, der wollte keine Knechte".

"Die übrigen Deutschen", schrieb er im October 1813 von der Stim¬
mung dieser Jahre, "klagten über die Tyrannei, als Tyrannei, nicht aber
als eine undeutsche. Die Preußen hatten einen unsterblichen Ruhm verloren,
sie konnten ohne Ehre nicht mehr glücklich sein, Alle fühlten das Unglück,
aber bittrer die Schande, sie trauerten, aber sie zürnten noch mehr."

> Er hat in derselben Flugschrift "das preußische Volk und Heer im Oc¬
tober 1813" die freie geistige Bewegung des wiedergebornen Staats enthu¬
siastisch geschildert und gegen das Mißtrauen, das ihm immer noch entgegen¬
kam, vertheidigt. Was aber seinem Vertrauen zu diesem Geist diese Stärke
und Zuversicht gab, war nicht nur oder nur überwiegend ein vager Enthu¬
siasmus für die neuen Ideen, die ihm hier entgegentraten, es war mehr als
dies zuerst das entzückende Gefühl, die realen Kräfte deutschen Geistes in
den Vertretern preußischer Politik wieder leibhaft vor sich zu sehen und dann
die wunderbaren Thaten Gottes an diesem Volk.

Er verließ bekanntlich 1811 seine Stellung in Greifswald und ging über
Berlin nach Petersburg zum Freiherrn v. Stein. Noch aus den Erin¬
nerungen seines Greisenalters leuchtet der Eindruck hervor, welche die Helden
dieser Jahre ganz persönlich und unwiderstehlich auf ihn machten: Fichte's
"gedrungene Gestalt, die breite zurückgeschlagene Eselsstirn, die zuweilen recht
hell und freundlich glänzte, die mächtige Adlernase, ein tiefer Ernst und zu¬
weilen eine schreckliche Furchtbarkeit des Blickes", als der beste Scharnhorst, --
so hat er sie noch eben so spät an sich vorüberziehen lassen, -- der edelste Gnei-
senau, der hellste Grolmann, der frömmste Hiller, der stillste Boyen, der
muthigste Blücher und der stärkste Stein. Ja man fühlt die Macht dieser
Eindrücke noch unmittelbarer, wenn er erzählt, wie die erste Begegnung mit
dem Manne, der ihn nach Petersburg gerufen, ihn nach längerem Besinnen
plötzlich ganz an jene gewaltigen Züge Fichte's erinnerte.

Trotz der bescheidenen und keineswegs weitreichenden Stellung, über die
er selbst nie einen Zweifel läßt, gewann er bei jedem Schritte vorwärts mehr
und mehr das Gefühl, daß er in Menschen und Verhältnissen statt jener
übergeistigen und haltungslosen Vergangenheit eine neue und schöpferische
Wirklichkeit vor sich habe.

Vielleicht nirgends tritt dieser Sinn für das einfach Menschliche und die
Hoffnung auf eine solche Zukunft so klar hervor, als in den Tagen, welche
für ihn und seine Freunde die der größten Aufregung hätten sein müssen;
ich meine während des Waffenstillstandes im Sommer 1813. Neuere Dar-


Seine religiösen Lieder beginnen in der letzten Ausgabe vom Jahre 1807;
das erste in jenem einfachen Ton patriotischer Begeisterung ist „das Lied
vom Schill" aus dem Jahr 1812, aus demselben Jahr „der Gott, der Eisen
wachsen ließ, der wollte keine Knechte".

„Die übrigen Deutschen", schrieb er im October 1813 von der Stim¬
mung dieser Jahre, „klagten über die Tyrannei, als Tyrannei, nicht aber
als eine undeutsche. Die Preußen hatten einen unsterblichen Ruhm verloren,
sie konnten ohne Ehre nicht mehr glücklich sein, Alle fühlten das Unglück,
aber bittrer die Schande, sie trauerten, aber sie zürnten noch mehr."

> Er hat in derselben Flugschrift „das preußische Volk und Heer im Oc¬
tober 1813" die freie geistige Bewegung des wiedergebornen Staats enthu¬
siastisch geschildert und gegen das Mißtrauen, das ihm immer noch entgegen¬
kam, vertheidigt. Was aber seinem Vertrauen zu diesem Geist diese Stärke
und Zuversicht gab, war nicht nur oder nur überwiegend ein vager Enthu¬
siasmus für die neuen Ideen, die ihm hier entgegentraten, es war mehr als
dies zuerst das entzückende Gefühl, die realen Kräfte deutschen Geistes in
den Vertretern preußischer Politik wieder leibhaft vor sich zu sehen und dann
die wunderbaren Thaten Gottes an diesem Volk.

Er verließ bekanntlich 1811 seine Stellung in Greifswald und ging über
Berlin nach Petersburg zum Freiherrn v. Stein. Noch aus den Erin¬
nerungen seines Greisenalters leuchtet der Eindruck hervor, welche die Helden
dieser Jahre ganz persönlich und unwiderstehlich auf ihn machten: Fichte's
„gedrungene Gestalt, die breite zurückgeschlagene Eselsstirn, die zuweilen recht
hell und freundlich glänzte, die mächtige Adlernase, ein tiefer Ernst und zu¬
weilen eine schreckliche Furchtbarkeit des Blickes", als der beste Scharnhorst, —
so hat er sie noch eben so spät an sich vorüberziehen lassen, — der edelste Gnei-
senau, der hellste Grolmann, der frömmste Hiller, der stillste Boyen, der
muthigste Blücher und der stärkste Stein. Ja man fühlt die Macht dieser
Eindrücke noch unmittelbarer, wenn er erzählt, wie die erste Begegnung mit
dem Manne, der ihn nach Petersburg gerufen, ihn nach längerem Besinnen
plötzlich ganz an jene gewaltigen Züge Fichte's erinnerte.

Trotz der bescheidenen und keineswegs weitreichenden Stellung, über die
er selbst nie einen Zweifel läßt, gewann er bei jedem Schritte vorwärts mehr
und mehr das Gefühl, daß er in Menschen und Verhältnissen statt jener
übergeistigen und haltungslosen Vergangenheit eine neue und schöpferische
Wirklichkeit vor sich habe.

Vielleicht nirgends tritt dieser Sinn für das einfach Menschliche und die
Hoffnung auf eine solche Zukunft so klar hervor, als in den Tagen, welche
für ihn und seine Freunde die der größten Aufregung hätten sein müssen;
ich meine während des Waffenstillstandes im Sommer 1813. Neuere Dar-


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[0373] Seine religiösen Lieder beginnen in der letzten Ausgabe vom Jahre 1807; das erste in jenem einfachen Ton patriotischer Begeisterung ist „das Lied vom Schill" aus dem Jahr 1812, aus demselben Jahr „der Gott, der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte". „Die übrigen Deutschen", schrieb er im October 1813 von der Stim¬ mung dieser Jahre, „klagten über die Tyrannei, als Tyrannei, nicht aber als eine undeutsche. Die Preußen hatten einen unsterblichen Ruhm verloren, sie konnten ohne Ehre nicht mehr glücklich sein, Alle fühlten das Unglück, aber bittrer die Schande, sie trauerten, aber sie zürnten noch mehr." > Er hat in derselben Flugschrift „das preußische Volk und Heer im Oc¬ tober 1813" die freie geistige Bewegung des wiedergebornen Staats enthu¬ siastisch geschildert und gegen das Mißtrauen, das ihm immer noch entgegen¬ kam, vertheidigt. Was aber seinem Vertrauen zu diesem Geist diese Stärke und Zuversicht gab, war nicht nur oder nur überwiegend ein vager Enthu¬ siasmus für die neuen Ideen, die ihm hier entgegentraten, es war mehr als dies zuerst das entzückende Gefühl, die realen Kräfte deutschen Geistes in den Vertretern preußischer Politik wieder leibhaft vor sich zu sehen und dann die wunderbaren Thaten Gottes an diesem Volk. Er verließ bekanntlich 1811 seine Stellung in Greifswald und ging über Berlin nach Petersburg zum Freiherrn v. Stein. Noch aus den Erin¬ nerungen seines Greisenalters leuchtet der Eindruck hervor, welche die Helden dieser Jahre ganz persönlich und unwiderstehlich auf ihn machten: Fichte's „gedrungene Gestalt, die breite zurückgeschlagene Eselsstirn, die zuweilen recht hell und freundlich glänzte, die mächtige Adlernase, ein tiefer Ernst und zu¬ weilen eine schreckliche Furchtbarkeit des Blickes", als der beste Scharnhorst, — so hat er sie noch eben so spät an sich vorüberziehen lassen, — der edelste Gnei- senau, der hellste Grolmann, der frömmste Hiller, der stillste Boyen, der muthigste Blücher und der stärkste Stein. Ja man fühlt die Macht dieser Eindrücke noch unmittelbarer, wenn er erzählt, wie die erste Begegnung mit dem Manne, der ihn nach Petersburg gerufen, ihn nach längerem Besinnen plötzlich ganz an jene gewaltigen Züge Fichte's erinnerte. Trotz der bescheidenen und keineswegs weitreichenden Stellung, über die er selbst nie einen Zweifel läßt, gewann er bei jedem Schritte vorwärts mehr und mehr das Gefühl, daß er in Menschen und Verhältnissen statt jener übergeistigen und haltungslosen Vergangenheit eine neue und schöpferische Wirklichkeit vor sich habe. Vielleicht nirgends tritt dieser Sinn für das einfach Menschliche und die Hoffnung auf eine solche Zukunft so klar hervor, als in den Tagen, welche für ihn und seine Freunde die der größten Aufregung hätten sein müssen; ich meine während des Waffenstillstandes im Sommer 1813. Neuere Dar-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/373>, abgerufen am 29.06.2024.