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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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zeigt, es ist doch durchaus ein Ganzes und als solches nur konnte es auf
die Zeitgenossen wirken, die in ihm die Macht einer Bewegung erkannten,
auf die sie wie auf eine Rettung gewartet hatten.

Es ist diesen großen Propheten des deutschen Volks widerfahren, was
denen des alten Bundes widerfuhr; wie ihre Weissagung und Ermahnung
hervorging aus einem unmittelbaren Gefühl der großen Verhängnisse, so
sind ihr Schlag auf Schlag die Ausbrüche gefolgt, welche unter den Füßen
der Seher, da sie sprachen, den Boden schon erschüttern machten. Sie sind
aber auch selbst von ihnen gepackt und herumgeworfen worden.

Im Geist der Zeit steht der Verfasser als ein echt deutscher Sohn seiner
"engeren Heimath" noch ganz unter dem Einfluß seiner heimischen Anschau¬
ung und Ueberlieferung. Dieser Enthusiast für die Erhebung seines und
aller übrigen Völker hält mit felsenfester Zuversicht an der großen Ver¬
gangenheit und Zukunft -- Schwedens fest. Es tritt das am schlagendsten
entgegen, wenn man sein Urtheil über Preußen und Scandinavien einfach
zusammenstellt.

"Fremd", so lautet sein Verdict über den Staat Friedrichs II., "war
der Sinn dieser Monarchie Allem, was Deutsch heißt, und ist es noch. --
An deutsche Begeisterung für diesen Staat war nie zu denken. Auch hat der
große König nie im Ernst daran gedacht, die deutsche Nation bildend und
schützend um seine Adler zu versammeln. -- Es ist nichts lächerlicher, als
ihm patriotischen Sinn beilegen zu wollen. So patriotisch hat Richelieu und
Louvois von Deutschland gesprochen, so patriotisch führen jetzt Bonaparte
und die deutschen Fürsten Deutschland und Deutschlands Freiheit im Munde."

Dagegen ruft er am Schluß seiner Betrachtung der schwedischen Ge¬
schichte begeistert aus: "Ja, wenn ganz Europa in Schlaffheit und Despo¬
tismus untergeht, dann wird in Scandinaviens Bergen und Wäldern noch
ein freies Geschlecht wohnen, die geplagte und erniedrigte Welt zu strafen
und zu erlösen -- Hunderttausende haben oft die Menschheit verwüstet, kleine
Schaaren von 10,000 und 20,000 Tapfern sie öfter gerettet!"

Mit diesen Anschauungen sah dieser deutsche Mensch Preußen zusammen¬
brechen und ward er in jenen Krieg Gustav's IV. hineingezogen, der so
schmählich begonnen, in einer so trostlosen Kette von Intriguen und Nieder¬
lagen endete.

Die Geschichte dieser Jahre -- er hat sie selbst nach Jahrzehnten als
Greis geschrieben -- enthielt offenbar für ihn nach allen bisherigen Stim¬
mungen und Eindrücken die furchtbarste Enttäuschung.

Er stand am Wrack seiner letzten Hoffnung, als sich vor seinen Augen
aus diesem Chaos von "Schlaffheit, Ueberbildung und Despotismus" die
Wiedererhebung eben jenes preußischen Staates vollzog.


zeigt, es ist doch durchaus ein Ganzes und als solches nur konnte es auf
die Zeitgenossen wirken, die in ihm die Macht einer Bewegung erkannten,
auf die sie wie auf eine Rettung gewartet hatten.

Es ist diesen großen Propheten des deutschen Volks widerfahren, was
denen des alten Bundes widerfuhr; wie ihre Weissagung und Ermahnung
hervorging aus einem unmittelbaren Gefühl der großen Verhängnisse, so
sind ihr Schlag auf Schlag die Ausbrüche gefolgt, welche unter den Füßen
der Seher, da sie sprachen, den Boden schon erschüttern machten. Sie sind
aber auch selbst von ihnen gepackt und herumgeworfen worden.

Im Geist der Zeit steht der Verfasser als ein echt deutscher Sohn seiner
„engeren Heimath" noch ganz unter dem Einfluß seiner heimischen Anschau¬
ung und Ueberlieferung. Dieser Enthusiast für die Erhebung seines und
aller übrigen Völker hält mit felsenfester Zuversicht an der großen Ver¬
gangenheit und Zukunft — Schwedens fest. Es tritt das am schlagendsten
entgegen, wenn man sein Urtheil über Preußen und Scandinavien einfach
zusammenstellt.

„Fremd", so lautet sein Verdict über den Staat Friedrichs II., „war
der Sinn dieser Monarchie Allem, was Deutsch heißt, und ist es noch. —
An deutsche Begeisterung für diesen Staat war nie zu denken. Auch hat der
große König nie im Ernst daran gedacht, die deutsche Nation bildend und
schützend um seine Adler zu versammeln. — Es ist nichts lächerlicher, als
ihm patriotischen Sinn beilegen zu wollen. So patriotisch hat Richelieu und
Louvois von Deutschland gesprochen, so patriotisch führen jetzt Bonaparte
und die deutschen Fürsten Deutschland und Deutschlands Freiheit im Munde."

Dagegen ruft er am Schluß seiner Betrachtung der schwedischen Ge¬
schichte begeistert aus: „Ja, wenn ganz Europa in Schlaffheit und Despo¬
tismus untergeht, dann wird in Scandinaviens Bergen und Wäldern noch
ein freies Geschlecht wohnen, die geplagte und erniedrigte Welt zu strafen
und zu erlösen — Hunderttausende haben oft die Menschheit verwüstet, kleine
Schaaren von 10,000 und 20,000 Tapfern sie öfter gerettet!"

Mit diesen Anschauungen sah dieser deutsche Mensch Preußen zusammen¬
brechen und ward er in jenen Krieg Gustav's IV. hineingezogen, der so
schmählich begonnen, in einer so trostlosen Kette von Intriguen und Nieder¬
lagen endete.

Die Geschichte dieser Jahre — er hat sie selbst nach Jahrzehnten als
Greis geschrieben — enthielt offenbar für ihn nach allen bisherigen Stim¬
mungen und Eindrücken die furchtbarste Enttäuschung.

Er stand am Wrack seiner letzten Hoffnung, als sich vor seinen Augen
aus diesem Chaos von „Schlaffheit, Ueberbildung und Despotismus" die
Wiedererhebung eben jenes preußischen Staates vollzog.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/372>, abgerufen am 29.06.2024.