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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Nachrichten erhalten; in Rumänien gelingt es der Ehrlichkeit und dem guten
Willen des Fürsten Karl absolut nicht Boden zu fassen und so wird die
Wiener Regierung immer wieder von großrumänischen und großserbischen
Gespenstern geängstigt und in die Nothwendigkeit versetzt, spähend nach Osten
zu blicken. In Bukarest scheinen die Dinge wieder einer jener geheimni߬
vollen Krisen entgegen zu treiben, deren treibende Ursachen für Westeuropa Ge.
Heimnisse bleiben. Mit der Pfordte ist die fürstliche Regierung in einem Con¬
flict über die Weiden von Veli-Malo-Brda begriffen, im eigenen Hause wird
sie von den verschiedensten Seiten bedrängt. Den zurückgetretenen Ministern
Boeresco und Cogolnitscheano haben ihre College" ins Privatleben folgen
müssen, eine neue Regierung hat sich noch nicht gebildet und die Linke zeigt
das unzweideutige Bestreben, eine solche überhaupt unmöglich zu machen.
Jean Brationo und Rosetti haben in ostentiöser Weise ihre Mandate nieder¬
gelegt und einen Theil ihrer Freunde zu gleichem Vorgehen bewogen, die Be¬
wohner von Turno-Severin der neuen Dynastie durch die Wahl Cusas offen
Hohn gesprochen. Jene Partei der Rothen, welche bald mit Frankreich, bald
mit Rußland Hand in Hand geht, und sich immer gleich nichtsnutzig und
regierungsunfähig bewiesen hat, kann den Verlust der Macht nicht verschmerzen,
welche ihr durch den bekannten Artikel der "Norddeutschen Allgem. Zeitung"
entwunden worden und conspinrt offen gegen den Fürsten, der sich von
ihren umstürzenden großrumänischen Plänen abgewandt hat.

Seinen düsteren Hintergrund hat das Ränkespiel an den Donau-Nie¬
derungen freilich verloren, seit der ägyptische Vice-König mit der Pfordte sei¬
nen Frieden gemacht, Rußland sich entschlossen hat, die Gelegenheit zur Auf¬
rührung der orientalischen Frage noch einmal unbenutzt zu lassen. Aus dem
Katechismus, den der General Fadejew über Rußlands orientalische Politik
veröffentlicht hat, wissen wir, warum das geschehen. Um seinen slavischen
Brüdern und Vettern zur Bethätigung ihrer nationalen Gesinnung und ihrer
Schlagfertigkeit Gelegenheit zu geben, muß Rußland die orientalische Frage
durch einen großen Landkrieg lösen und dieser kann mit Aussicht auf Erfolg
nur geführt werden, wenn das Eisenbahnnetz, welches das baltische mit dem
schwarzen Meer, den Ural mit den Ausläufern der Karpathen verbinden soll,
fertig, die große Umgestaltung der polnischen und litthauischen Verhältnisse
beendet ist. Mit dieser aber geht es nicht so unaufhaltsam vorwärts wie mit
dem Bau der Schienenwege, der die Versäumnisse früherer Jahre nachzuholen
ernste Miene macht. Obgleich der in Moskau und Petersburg geführte
Parteikampf von seiner ursprünglichen Leidenschaftlichkeit zu verlieren begon¬
nen hat, sind die Verhältnisse in der obersten Schicht der Gesellschaft noch
nicht abgeklärt genug, um Muth und Ausdauer der nationalen Pioniere am
Riemen und der Weichsel aufzufrischen und die polnische Bevölkerung der
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Nachrichten erhalten; in Rumänien gelingt es der Ehrlichkeit und dem guten
Willen des Fürsten Karl absolut nicht Boden zu fassen und so wird die
Wiener Regierung immer wieder von großrumänischen und großserbischen
Gespenstern geängstigt und in die Nothwendigkeit versetzt, spähend nach Osten
zu blicken. In Bukarest scheinen die Dinge wieder einer jener geheimni߬
vollen Krisen entgegen zu treiben, deren treibende Ursachen für Westeuropa Ge.
Heimnisse bleiben. Mit der Pfordte ist die fürstliche Regierung in einem Con¬
flict über die Weiden von Veli-Malo-Brda begriffen, im eigenen Hause wird
sie von den verschiedensten Seiten bedrängt. Den zurückgetretenen Ministern
Boeresco und Cogolnitscheano haben ihre College» ins Privatleben folgen
müssen, eine neue Regierung hat sich noch nicht gebildet und die Linke zeigt
das unzweideutige Bestreben, eine solche überhaupt unmöglich zu machen.
Jean Brationo und Rosetti haben in ostentiöser Weise ihre Mandate nieder¬
gelegt und einen Theil ihrer Freunde zu gleichem Vorgehen bewogen, die Be¬
wohner von Turno-Severin der neuen Dynastie durch die Wahl Cusas offen
Hohn gesprochen. Jene Partei der Rothen, welche bald mit Frankreich, bald
mit Rußland Hand in Hand geht, und sich immer gleich nichtsnutzig und
regierungsunfähig bewiesen hat, kann den Verlust der Macht nicht verschmerzen,
welche ihr durch den bekannten Artikel der „Norddeutschen Allgem. Zeitung"
entwunden worden und conspinrt offen gegen den Fürsten, der sich von
ihren umstürzenden großrumänischen Plänen abgewandt hat.

Seinen düsteren Hintergrund hat das Ränkespiel an den Donau-Nie¬
derungen freilich verloren, seit der ägyptische Vice-König mit der Pfordte sei¬
nen Frieden gemacht, Rußland sich entschlossen hat, die Gelegenheit zur Auf¬
rührung der orientalischen Frage noch einmal unbenutzt zu lassen. Aus dem
Katechismus, den der General Fadejew über Rußlands orientalische Politik
veröffentlicht hat, wissen wir, warum das geschehen. Um seinen slavischen
Brüdern und Vettern zur Bethätigung ihrer nationalen Gesinnung und ihrer
Schlagfertigkeit Gelegenheit zu geben, muß Rußland die orientalische Frage
durch einen großen Landkrieg lösen und dieser kann mit Aussicht auf Erfolg
nur geführt werden, wenn das Eisenbahnnetz, welches das baltische mit dem
schwarzen Meer, den Ural mit den Ausläufern der Karpathen verbinden soll,
fertig, die große Umgestaltung der polnischen und litthauischen Verhältnisse
beendet ist. Mit dieser aber geht es nicht so unaufhaltsam vorwärts wie mit
dem Bau der Schienenwege, der die Versäumnisse früherer Jahre nachzuholen
ernste Miene macht. Obgleich der in Moskau und Petersburg geführte
Parteikampf von seiner ursprünglichen Leidenschaftlichkeit zu verlieren begon¬
nen hat, sind die Verhältnisse in der obersten Schicht der Gesellschaft noch
nicht abgeklärt genug, um Muth und Ausdauer der nationalen Pioniere am
Riemen und der Weichsel aufzufrischen und die polnische Bevölkerung der
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/361>, abgerufen am 28.09.2024.