Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

schon lange fest. Man muß Pessimist sein, man muß auf den vollständigen
Sieg der feindlichen Elemente rechnen, wenn man das Recht behalten will,
aus den Abschluß der 1866 ungethanen Arbeit überhaupt noch zu rechnen.

Die äußeren Conjuncturen sind freilich so beschaffen, daß sie den
Schwebezustand jenseit des Main noch eine Weile fristen können, ohne die
Integrität deutschen Bodens zu gefährden. Vier Wochen sind vergangen
seit die östreichische Krisis durch den Sieg der Ministermajorität und den
Eintritt der Herren Banhans, Wagner und Strehmayer in die Regierung
geschlossen worden -- noch hat das neue Cabinet aber kein Zeichen seiner
Lebensfähigkeit gegeben, im Gegentheil durch Verheißungen an die Polen
das Programm Lügen gestraft, das seine Existenzbasis bilden sollte. Den
Czechen sind die Deutsch-Tiroler gefolgt und von dem guten Willen der Polen
hängt es, ob der Reichsrath überhaupt competent bleibt. Wie es heißt, ist es
die von Zemialkowsky geführte ehemalige Regierungspartei (die Fraction
der sogenannten Mamelucken), welche besonders lebhast für starres Bestehen
auf den Landtagsresolutionen vom Sommer 1868 agitirt, welche sie bisher
bekämpft hatte. In den übrigen cisleithanischen Provinzen kann das Mini¬
sterium Hafner-Giskra mindestens auf die Unterstützung einer Minorität rech¬
nen; in Galizien, dem exponirtesten Punkt der gesammten Monarchie, hat
diese Regierung nur Gegner, gar keine Freunde. Der Rücktritt Bergers
und Potocki's hat, wie erwähnt, die polnischen Anhänger des Dualismus
zurückgestoßen und die Ruthenen klagen, daß die Feinde der polnischen Au¬
tonomie sie noch schlimmer behandelten, als die Freunde derselben. Der
Aufstand in der Boccha ti Cattaro hat mit einer moralischen Niederlage
der k. k. Regierung geendet, die noch trauriger ist als die militärische; an
der Militärgrenze stößt die Einführung der ungarischen Civilverwaltung auf
den erbitterten Widerstand der slavischen Grenzer und von Rußland her wird
das resultatlose Zusammenwirken türkischer und östreichischer Behörden gegen
Montenegro als Attentat auf den europäischen Frieden denuncirt.

Daß bei so bewandten Umständen von Oestreich Nichts für wirkliche
Unterstützung der arti-nationalen Bestrebungen Süddeutschlands zu hoffen
ist, wird in München und Stuttgart ebenso anerkannt, wie in Wien. Oest¬
reich hat seinen Schwerpunkt bereits thatsächlich im Osten und ist nicht mehr
in der Lage, denselben nach Belieben in den Westen verlegen zu können.
Die Unsicherheit der Verhältnisse seiner östlichen Nachbarn gefährdet die
Sicherheit Oestreichs selbst in friedlichen Zeiten wie den gegenwärtigen, fort¬
während. Serbien, das den Russen zu Klagen über den allmächtigen magya¬
rischen Einfluß Veranlassung gibt, hat seine panslavistischen Neigungen auch
neuerdings durch Proteste gegen jene türkischen Truppenansammlungen an
der Grenze Montenegros Luft gemacht, von denen allein russische Zeitungen


schon lange fest. Man muß Pessimist sein, man muß auf den vollständigen
Sieg der feindlichen Elemente rechnen, wenn man das Recht behalten will,
aus den Abschluß der 1866 ungethanen Arbeit überhaupt noch zu rechnen.

Die äußeren Conjuncturen sind freilich so beschaffen, daß sie den
Schwebezustand jenseit des Main noch eine Weile fristen können, ohne die
Integrität deutschen Bodens zu gefährden. Vier Wochen sind vergangen
seit die östreichische Krisis durch den Sieg der Ministermajorität und den
Eintritt der Herren Banhans, Wagner und Strehmayer in die Regierung
geschlossen worden — noch hat das neue Cabinet aber kein Zeichen seiner
Lebensfähigkeit gegeben, im Gegentheil durch Verheißungen an die Polen
das Programm Lügen gestraft, das seine Existenzbasis bilden sollte. Den
Czechen sind die Deutsch-Tiroler gefolgt und von dem guten Willen der Polen
hängt es, ob der Reichsrath überhaupt competent bleibt. Wie es heißt, ist es
die von Zemialkowsky geführte ehemalige Regierungspartei (die Fraction
der sogenannten Mamelucken), welche besonders lebhast für starres Bestehen
auf den Landtagsresolutionen vom Sommer 1868 agitirt, welche sie bisher
bekämpft hatte. In den übrigen cisleithanischen Provinzen kann das Mini¬
sterium Hafner-Giskra mindestens auf die Unterstützung einer Minorität rech¬
nen; in Galizien, dem exponirtesten Punkt der gesammten Monarchie, hat
diese Regierung nur Gegner, gar keine Freunde. Der Rücktritt Bergers
und Potocki's hat, wie erwähnt, die polnischen Anhänger des Dualismus
zurückgestoßen und die Ruthenen klagen, daß die Feinde der polnischen Au¬
tonomie sie noch schlimmer behandelten, als die Freunde derselben. Der
Aufstand in der Boccha ti Cattaro hat mit einer moralischen Niederlage
der k. k. Regierung geendet, die noch trauriger ist als die militärische; an
der Militärgrenze stößt die Einführung der ungarischen Civilverwaltung auf
den erbitterten Widerstand der slavischen Grenzer und von Rußland her wird
das resultatlose Zusammenwirken türkischer und östreichischer Behörden gegen
Montenegro als Attentat auf den europäischen Frieden denuncirt.

Daß bei so bewandten Umständen von Oestreich Nichts für wirkliche
Unterstützung der arti-nationalen Bestrebungen Süddeutschlands zu hoffen
ist, wird in München und Stuttgart ebenso anerkannt, wie in Wien. Oest¬
reich hat seinen Schwerpunkt bereits thatsächlich im Osten und ist nicht mehr
in der Lage, denselben nach Belieben in den Westen verlegen zu können.
Die Unsicherheit der Verhältnisse seiner östlichen Nachbarn gefährdet die
Sicherheit Oestreichs selbst in friedlichen Zeiten wie den gegenwärtigen, fort¬
während. Serbien, das den Russen zu Klagen über den allmächtigen magya¬
rischen Einfluß Veranlassung gibt, hat seine panslavistischen Neigungen auch
neuerdings durch Proteste gegen jene türkischen Truppenansammlungen an
der Grenze Montenegros Luft gemacht, von denen allein russische Zeitungen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0360" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123448"/>
          <p xml:id="ID_994" prev="#ID_993"> schon lange fest. Man muß Pessimist sein, man muß auf den vollständigen<lb/>
Sieg der feindlichen Elemente rechnen, wenn man das Recht behalten will,<lb/>
aus den Abschluß der 1866 ungethanen Arbeit überhaupt noch zu rechnen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_995"> Die äußeren Conjuncturen sind freilich so beschaffen, daß sie den<lb/>
Schwebezustand jenseit des Main noch eine Weile fristen können, ohne die<lb/>
Integrität deutschen Bodens zu gefährden. Vier Wochen sind vergangen<lb/>
seit die östreichische Krisis durch den Sieg der Ministermajorität und den<lb/>
Eintritt der Herren Banhans, Wagner und Strehmayer in die Regierung<lb/>
geschlossen worden &#x2014; noch hat das neue Cabinet aber kein Zeichen seiner<lb/>
Lebensfähigkeit gegeben, im Gegentheil durch Verheißungen an die Polen<lb/>
das Programm Lügen gestraft, das seine Existenzbasis bilden sollte. Den<lb/>
Czechen sind die Deutsch-Tiroler gefolgt und von dem guten Willen der Polen<lb/>
hängt es, ob der Reichsrath überhaupt competent bleibt. Wie es heißt, ist es<lb/>
die von Zemialkowsky geführte ehemalige Regierungspartei (die Fraction<lb/>
der sogenannten Mamelucken), welche besonders lebhast für starres Bestehen<lb/>
auf den Landtagsresolutionen vom Sommer 1868 agitirt, welche sie bisher<lb/>
bekämpft hatte. In den übrigen cisleithanischen Provinzen kann das Mini¬<lb/>
sterium Hafner-Giskra mindestens auf die Unterstützung einer Minorität rech¬<lb/>
nen; in Galizien, dem exponirtesten Punkt der gesammten Monarchie, hat<lb/>
diese Regierung nur Gegner, gar keine Freunde. Der Rücktritt Bergers<lb/>
und Potocki's hat, wie erwähnt, die polnischen Anhänger des Dualismus<lb/>
zurückgestoßen und die Ruthenen klagen, daß die Feinde der polnischen Au¬<lb/>
tonomie sie noch schlimmer behandelten, als die Freunde derselben. Der<lb/>
Aufstand in der Boccha ti Cattaro hat mit einer moralischen Niederlage<lb/>
der k. k. Regierung geendet, die noch trauriger ist als die militärische; an<lb/>
der Militärgrenze stößt die Einführung der ungarischen Civilverwaltung auf<lb/>
den erbitterten Widerstand der slavischen Grenzer und von Rußland her wird<lb/>
das resultatlose Zusammenwirken türkischer und östreichischer Behörden gegen<lb/>
Montenegro als Attentat auf den europäischen Frieden denuncirt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_996" next="#ID_997"> Daß bei so bewandten Umständen von Oestreich Nichts für wirkliche<lb/>
Unterstützung der arti-nationalen Bestrebungen Süddeutschlands zu hoffen<lb/>
ist, wird in München und Stuttgart ebenso anerkannt, wie in Wien. Oest¬<lb/>
reich hat seinen Schwerpunkt bereits thatsächlich im Osten und ist nicht mehr<lb/>
in der Lage, denselben nach Belieben in den Westen verlegen zu können.<lb/>
Die Unsicherheit der Verhältnisse seiner östlichen Nachbarn gefährdet die<lb/>
Sicherheit Oestreichs selbst in friedlichen Zeiten wie den gegenwärtigen, fort¬<lb/>
während. Serbien, das den Russen zu Klagen über den allmächtigen magya¬<lb/>
rischen Einfluß Veranlassung gibt, hat seine panslavistischen Neigungen auch<lb/>
neuerdings durch Proteste gegen jene türkischen Truppenansammlungen an<lb/>
der Grenze Montenegros Luft gemacht, von denen allein russische Zeitungen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0360] schon lange fest. Man muß Pessimist sein, man muß auf den vollständigen Sieg der feindlichen Elemente rechnen, wenn man das Recht behalten will, aus den Abschluß der 1866 ungethanen Arbeit überhaupt noch zu rechnen. Die äußeren Conjuncturen sind freilich so beschaffen, daß sie den Schwebezustand jenseit des Main noch eine Weile fristen können, ohne die Integrität deutschen Bodens zu gefährden. Vier Wochen sind vergangen seit die östreichische Krisis durch den Sieg der Ministermajorität und den Eintritt der Herren Banhans, Wagner und Strehmayer in die Regierung geschlossen worden — noch hat das neue Cabinet aber kein Zeichen seiner Lebensfähigkeit gegeben, im Gegentheil durch Verheißungen an die Polen das Programm Lügen gestraft, das seine Existenzbasis bilden sollte. Den Czechen sind die Deutsch-Tiroler gefolgt und von dem guten Willen der Polen hängt es, ob der Reichsrath überhaupt competent bleibt. Wie es heißt, ist es die von Zemialkowsky geführte ehemalige Regierungspartei (die Fraction der sogenannten Mamelucken), welche besonders lebhast für starres Bestehen auf den Landtagsresolutionen vom Sommer 1868 agitirt, welche sie bisher bekämpft hatte. In den übrigen cisleithanischen Provinzen kann das Mini¬ sterium Hafner-Giskra mindestens auf die Unterstützung einer Minorität rech¬ nen; in Galizien, dem exponirtesten Punkt der gesammten Monarchie, hat diese Regierung nur Gegner, gar keine Freunde. Der Rücktritt Bergers und Potocki's hat, wie erwähnt, die polnischen Anhänger des Dualismus zurückgestoßen und die Ruthenen klagen, daß die Feinde der polnischen Au¬ tonomie sie noch schlimmer behandelten, als die Freunde derselben. Der Aufstand in der Boccha ti Cattaro hat mit einer moralischen Niederlage der k. k. Regierung geendet, die noch trauriger ist als die militärische; an der Militärgrenze stößt die Einführung der ungarischen Civilverwaltung auf den erbitterten Widerstand der slavischen Grenzer und von Rußland her wird das resultatlose Zusammenwirken türkischer und östreichischer Behörden gegen Montenegro als Attentat auf den europäischen Frieden denuncirt. Daß bei so bewandten Umständen von Oestreich Nichts für wirkliche Unterstützung der arti-nationalen Bestrebungen Süddeutschlands zu hoffen ist, wird in München und Stuttgart ebenso anerkannt, wie in Wien. Oest¬ reich hat seinen Schwerpunkt bereits thatsächlich im Osten und ist nicht mehr in der Lage, denselben nach Belieben in den Westen verlegen zu können. Die Unsicherheit der Verhältnisse seiner östlichen Nachbarn gefährdet die Sicherheit Oestreichs selbst in friedlichen Zeiten wie den gegenwärtigen, fort¬ während. Serbien, das den Russen zu Klagen über den allmächtigen magya¬ rischen Einfluß Veranlassung gibt, hat seine panslavistischen Neigungen auch neuerdings durch Proteste gegen jene türkischen Truppenansammlungen an der Grenze Montenegros Luft gemacht, von denen allein russische Zeitungen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/360
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/360>, abgerufen am 29.06.2024.