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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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an und werden ehrliche Leute. Aber das sind im Ganzen seltene Aus¬
nahmen.

Natürlich herrscht eine gewisse Rangordnung unter den Spielergesellschaf¬
ten und ihren Gliedern. Es giebt welche, die Güter und Häuser besitzen und
ein großes Hauswesen führen, und so stufenweise herab bis zu solchen, die
als eigentliche Proletarier des Gewerbes von heute auf morgen leben, nichts
ihr eigen nennen und ohne eigentlichen Wohnsitz sind. Im Allgemeinen gilt
die Regel, nie lange an einem und demselben Orte zu bleiben, weil man da¬
durch rasch abgenützt wird. Sie ziehen ohne Hinderniß von einem Landes¬
ende zum andern. Die Behörden molestiren hier Niemanden mit Fragen
nach seinem Unterhalt. Die Beamten sind ziemlich schlecht bezahlt und haben
eine so prekäre Stellung, daß sie daraus angewiesen sind von der Gegen¬
wart jedweden Vortheil zu ziehen; daß es aber vortheilhaft ist, einem glück¬
lichen Spieler gefällig zu sein, versteht sich von selbst.

Mit ihrem Unterhalte an das Vermögen der übrigen Bevölkerung ge¬
wiesen, ist es Sache der Spieler sich in genauer Kenntniß aller Persönlich¬
keiten, deren Verhältnisse u. s. w. zu erhalten, was bei der praktischen Orga¬
nisation der Banden und der Freizügigkeit im Lande nicht schwer hält. Wehe
dem Jndividium, auf das sie Jagd machen, es entgeht ihnen gewiß nicht.
Diese auf Rumänien schwer lastende Geißel würde dem Lande noch gefähr¬
licher sein, als sie es bereits ist, wenn nicht jedes Gift sein Gegengift hätte.
Dieses Gegengewicht liegt in der grenzenlosen Liederlichkeit und Nichtswür¬
digkeit der meisten dieser Gewerbsleute, welche alle Augenblick ihr eigenes
Interesse durch Maßlosigkeit schädigen und dadurch schnell abgenutzt werden.
Auch fehlt es nicht an Vorsichtsmaßregeln der sogenannten ehrlichen Leute.
Jede noch so kleine Stadt hat hier Casinos, das ist Lokalitäten für ge¬
schlossene Gesellschaften, und in diesen ist wenigstens den als Falschspieler be¬
kannten Individuen der Eintritt versagt, womit übrigens durchaus nicht ge¬
sagt sein soll, daß Spieler von Profession darin keinen Zutritt hätten. Die
Casinos sind fast immer Spielhöhlen, aber nur für gewisse Personen. Anders
steht es mit den übrigen öffentlichen Localen. Fast in allen Wirthshäusern
sind Wirth und Kellner mit den Falschspieler-Banden in enger Gemeinschaft.
Um diesen die Opfer zuzutreiben halten die Wirthshäuser und ebenso die
Hotels beständig Harfenistinnen-Gesellschaften -- (dieselben sind hier Schaaren-
weise zu treffen) -- denen Wohnung und Beköstigung frei verabfolgt wird,
wofür sie die Nächte hindurch musiciren und -- cokettiren müssen. Außerdem
hält jedes Hotel noch eine andere Art von Lockvögeln, die das Gewerbe der
Harfenistinnen ohne Harfe betreiben und wehe dem Fremden, der in die
Schlingen dieser weiblichen Gehilfinnen der Bande fällt.

Während die großen Spieler in den Hotels und Casinos als Gentleman


an und werden ehrliche Leute. Aber das sind im Ganzen seltene Aus¬
nahmen.

Natürlich herrscht eine gewisse Rangordnung unter den Spielergesellschaf¬
ten und ihren Gliedern. Es giebt welche, die Güter und Häuser besitzen und
ein großes Hauswesen führen, und so stufenweise herab bis zu solchen, die
als eigentliche Proletarier des Gewerbes von heute auf morgen leben, nichts
ihr eigen nennen und ohne eigentlichen Wohnsitz sind. Im Allgemeinen gilt
die Regel, nie lange an einem und demselben Orte zu bleiben, weil man da¬
durch rasch abgenützt wird. Sie ziehen ohne Hinderniß von einem Landes¬
ende zum andern. Die Behörden molestiren hier Niemanden mit Fragen
nach seinem Unterhalt. Die Beamten sind ziemlich schlecht bezahlt und haben
eine so prekäre Stellung, daß sie daraus angewiesen sind von der Gegen¬
wart jedweden Vortheil zu ziehen; daß es aber vortheilhaft ist, einem glück¬
lichen Spieler gefällig zu sein, versteht sich von selbst.

Mit ihrem Unterhalte an das Vermögen der übrigen Bevölkerung ge¬
wiesen, ist es Sache der Spieler sich in genauer Kenntniß aller Persönlich¬
keiten, deren Verhältnisse u. s. w. zu erhalten, was bei der praktischen Orga¬
nisation der Banden und der Freizügigkeit im Lande nicht schwer hält. Wehe
dem Jndividium, auf das sie Jagd machen, es entgeht ihnen gewiß nicht.
Diese auf Rumänien schwer lastende Geißel würde dem Lande noch gefähr¬
licher sein, als sie es bereits ist, wenn nicht jedes Gift sein Gegengift hätte.
Dieses Gegengewicht liegt in der grenzenlosen Liederlichkeit und Nichtswür¬
digkeit der meisten dieser Gewerbsleute, welche alle Augenblick ihr eigenes
Interesse durch Maßlosigkeit schädigen und dadurch schnell abgenutzt werden.
Auch fehlt es nicht an Vorsichtsmaßregeln der sogenannten ehrlichen Leute.
Jede noch so kleine Stadt hat hier Casinos, das ist Lokalitäten für ge¬
schlossene Gesellschaften, und in diesen ist wenigstens den als Falschspieler be¬
kannten Individuen der Eintritt versagt, womit übrigens durchaus nicht ge¬
sagt sein soll, daß Spieler von Profession darin keinen Zutritt hätten. Die
Casinos sind fast immer Spielhöhlen, aber nur für gewisse Personen. Anders
steht es mit den übrigen öffentlichen Localen. Fast in allen Wirthshäusern
sind Wirth und Kellner mit den Falschspieler-Banden in enger Gemeinschaft.
Um diesen die Opfer zuzutreiben halten die Wirthshäuser und ebenso die
Hotels beständig Harfenistinnen-Gesellschaften — (dieselben sind hier Schaaren-
weise zu treffen) — denen Wohnung und Beköstigung frei verabfolgt wird,
wofür sie die Nächte hindurch musiciren und — cokettiren müssen. Außerdem
hält jedes Hotel noch eine andere Art von Lockvögeln, die das Gewerbe der
Harfenistinnen ohne Harfe betreiben und wehe dem Fremden, der in die
Schlingen dieser weiblichen Gehilfinnen der Bande fällt.

Während die großen Spieler in den Hotels und Casinos als Gentleman


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[0348] an und werden ehrliche Leute. Aber das sind im Ganzen seltene Aus¬ nahmen. Natürlich herrscht eine gewisse Rangordnung unter den Spielergesellschaf¬ ten und ihren Gliedern. Es giebt welche, die Güter und Häuser besitzen und ein großes Hauswesen führen, und so stufenweise herab bis zu solchen, die als eigentliche Proletarier des Gewerbes von heute auf morgen leben, nichts ihr eigen nennen und ohne eigentlichen Wohnsitz sind. Im Allgemeinen gilt die Regel, nie lange an einem und demselben Orte zu bleiben, weil man da¬ durch rasch abgenützt wird. Sie ziehen ohne Hinderniß von einem Landes¬ ende zum andern. Die Behörden molestiren hier Niemanden mit Fragen nach seinem Unterhalt. Die Beamten sind ziemlich schlecht bezahlt und haben eine so prekäre Stellung, daß sie daraus angewiesen sind von der Gegen¬ wart jedweden Vortheil zu ziehen; daß es aber vortheilhaft ist, einem glück¬ lichen Spieler gefällig zu sein, versteht sich von selbst. Mit ihrem Unterhalte an das Vermögen der übrigen Bevölkerung ge¬ wiesen, ist es Sache der Spieler sich in genauer Kenntniß aller Persönlich¬ keiten, deren Verhältnisse u. s. w. zu erhalten, was bei der praktischen Orga¬ nisation der Banden und der Freizügigkeit im Lande nicht schwer hält. Wehe dem Jndividium, auf das sie Jagd machen, es entgeht ihnen gewiß nicht. Diese auf Rumänien schwer lastende Geißel würde dem Lande noch gefähr¬ licher sein, als sie es bereits ist, wenn nicht jedes Gift sein Gegengift hätte. Dieses Gegengewicht liegt in der grenzenlosen Liederlichkeit und Nichtswür¬ digkeit der meisten dieser Gewerbsleute, welche alle Augenblick ihr eigenes Interesse durch Maßlosigkeit schädigen und dadurch schnell abgenutzt werden. Auch fehlt es nicht an Vorsichtsmaßregeln der sogenannten ehrlichen Leute. Jede noch so kleine Stadt hat hier Casinos, das ist Lokalitäten für ge¬ schlossene Gesellschaften, und in diesen ist wenigstens den als Falschspieler be¬ kannten Individuen der Eintritt versagt, womit übrigens durchaus nicht ge¬ sagt sein soll, daß Spieler von Profession darin keinen Zutritt hätten. Die Casinos sind fast immer Spielhöhlen, aber nur für gewisse Personen. Anders steht es mit den übrigen öffentlichen Localen. Fast in allen Wirthshäusern sind Wirth und Kellner mit den Falschspieler-Banden in enger Gemeinschaft. Um diesen die Opfer zuzutreiben halten die Wirthshäuser und ebenso die Hotels beständig Harfenistinnen-Gesellschaften — (dieselben sind hier Schaaren- weise zu treffen) — denen Wohnung und Beköstigung frei verabfolgt wird, wofür sie die Nächte hindurch musiciren und — cokettiren müssen. Außerdem hält jedes Hotel noch eine andere Art von Lockvögeln, die das Gewerbe der Harfenistinnen ohne Harfe betreiben und wehe dem Fremden, der in die Schlingen dieser weiblichen Gehilfinnen der Bande fällt. Während die großen Spieler in den Hotels und Casinos als Gentleman

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/348>, abgerufen am 29.06.2024.