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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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und allgemein betrieben wird. Ganze Schaaren von Falschspieler, durch'
ziehen das Land nach allen Richtungen, sie sind in allen Städten, beson¬
ders in den Hafenstädten, wo sie eine förmliche Kaste bilden, zahlreich zu
finden. Ihr Gewerbe wird systematisch betrieben und ist völlig organi-
sirt. Jeder Genosse kann auf Unterstützung seitens seiner Commilitonen
rechnen, jeder hat Antheil am Gewinne, wenn er an demselben Orte, wo
gespielt wird, anwesend ist, auch ohne selbst an dem Spiel Antheil zu neh¬
men. Es genügt, daß er zum Spiele hinzugekommen ist, während gespielt
wurde; seine Gegenwart allein sichert ihm einen Antheil. Da in diesen Krei¬
sen von Redlichkeit nicht die Rede sein kann, so geschieht es zuweilen, daß die
betrogenen Genossen sich rächen und durch ein geschickt ausgeführtes Manöver
dem Betrüger, der innerhalb der Kaste unehrlich war, das Geld wieder abnehmen.
Die Proscribirten sinken häufig ins tiefste Elend; aber sie finden nicht selten
Samariter, d. h. barmherzige Juden, die den alten unglücklichen Genossen
in ihr Haus führen und ihm mit ärztlicher Hilfe und einiger Pflege zum
menschlichen Aussehen wieder verhelfen. Der Samariter thut das in der Hoff¬
nung auf reichliche Dankbarkeit und versichert sich derselben, indem er das
Jndividium, so lange es eben geht, in seiner vollen Abhängigkeit erhält, es
nicht aus den Augen läßt und ihm den Gewinn allemal abnimmt. Nicht
selten geschieht es dann, daß man auf irgend einem andern Punkte des
Landes dem Wiedererweckten als wahrem Crösus begegnet, dessen Goldregen
die Genossen alle wieder um ihn versammelt, die ihn einst mit Fußtritten
und Hohn am Wege liegen ließen. Es ist musterhaft, wie tolerant diese
Leute gegen einander sind: nicht der Mensch, sondern das Verhältniß, in
welchem er zum Gelde steht, hat für sie maßgebende Bedeutung. Die Ru¬
mänen sind Fatalisten; sie folgen dem, der Glück, und fliehen den, der Un¬
glück hat.

Die professionellen Falschspieler sind größtentheils zweimal oder dreimal
verheirathet: das einemal als Katholiken, das zweitemal als Protestanten,
das drittemal als Orthodoxe; mit jedem Religionswechsel wird auch die Frau
gewechselt. Jedoch ist das letztere nicht durch das erstere bedingt, denn die
orientalische Kirche gestattet ihren Bekennern, sich drei verschiedene Male zu
verheirathen und wieder zu trennen. Jede dieser Frauen lebt natürlich an
einem anderen Orte, jede wie sie eben kann, und der Herr Gemahl lebt an¬
derswo ebenfalls wie er kann, d. h. wenn er Geld genug hat, mit jeder, die
ihm gefällt, und wenn er keines hat mit Weibern, die ihm zum Gelde verhel¬
fen. Um seine Frauen sich zu kümmern fällt ihm gar nicht ein, denn er hat
ganz andere Sorgen. Manche von ihnen sparen sich ein Sümmchen zusam¬
men und werden dann wirkliche Kauf- oder Geschäftsleute, andere kaufen sich


und allgemein betrieben wird. Ganze Schaaren von Falschspieler, durch'
ziehen das Land nach allen Richtungen, sie sind in allen Städten, beson¬
ders in den Hafenstädten, wo sie eine förmliche Kaste bilden, zahlreich zu
finden. Ihr Gewerbe wird systematisch betrieben und ist völlig organi-
sirt. Jeder Genosse kann auf Unterstützung seitens seiner Commilitonen
rechnen, jeder hat Antheil am Gewinne, wenn er an demselben Orte, wo
gespielt wird, anwesend ist, auch ohne selbst an dem Spiel Antheil zu neh¬
men. Es genügt, daß er zum Spiele hinzugekommen ist, während gespielt
wurde; seine Gegenwart allein sichert ihm einen Antheil. Da in diesen Krei¬
sen von Redlichkeit nicht die Rede sein kann, so geschieht es zuweilen, daß die
betrogenen Genossen sich rächen und durch ein geschickt ausgeführtes Manöver
dem Betrüger, der innerhalb der Kaste unehrlich war, das Geld wieder abnehmen.
Die Proscribirten sinken häufig ins tiefste Elend; aber sie finden nicht selten
Samariter, d. h. barmherzige Juden, die den alten unglücklichen Genossen
in ihr Haus führen und ihm mit ärztlicher Hilfe und einiger Pflege zum
menschlichen Aussehen wieder verhelfen. Der Samariter thut das in der Hoff¬
nung auf reichliche Dankbarkeit und versichert sich derselben, indem er das
Jndividium, so lange es eben geht, in seiner vollen Abhängigkeit erhält, es
nicht aus den Augen läßt und ihm den Gewinn allemal abnimmt. Nicht
selten geschieht es dann, daß man auf irgend einem andern Punkte des
Landes dem Wiedererweckten als wahrem Crösus begegnet, dessen Goldregen
die Genossen alle wieder um ihn versammelt, die ihn einst mit Fußtritten
und Hohn am Wege liegen ließen. Es ist musterhaft, wie tolerant diese
Leute gegen einander sind: nicht der Mensch, sondern das Verhältniß, in
welchem er zum Gelde steht, hat für sie maßgebende Bedeutung. Die Ru¬
mänen sind Fatalisten; sie folgen dem, der Glück, und fliehen den, der Un¬
glück hat.

Die professionellen Falschspieler sind größtentheils zweimal oder dreimal
verheirathet: das einemal als Katholiken, das zweitemal als Protestanten,
das drittemal als Orthodoxe; mit jedem Religionswechsel wird auch die Frau
gewechselt. Jedoch ist das letztere nicht durch das erstere bedingt, denn die
orientalische Kirche gestattet ihren Bekennern, sich drei verschiedene Male zu
verheirathen und wieder zu trennen. Jede dieser Frauen lebt natürlich an
einem anderen Orte, jede wie sie eben kann, und der Herr Gemahl lebt an¬
derswo ebenfalls wie er kann, d. h. wenn er Geld genug hat, mit jeder, die
ihm gefällt, und wenn er keines hat mit Weibern, die ihm zum Gelde verhel¬
fen. Um seine Frauen sich zu kümmern fällt ihm gar nicht ein, denn er hat
ganz andere Sorgen. Manche von ihnen sparen sich ein Sümmchen zusam¬
men und werden dann wirkliche Kauf- oder Geschäftsleute, andere kaufen sich


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[0347] und allgemein betrieben wird. Ganze Schaaren von Falschspieler, durch' ziehen das Land nach allen Richtungen, sie sind in allen Städten, beson¬ ders in den Hafenstädten, wo sie eine förmliche Kaste bilden, zahlreich zu finden. Ihr Gewerbe wird systematisch betrieben und ist völlig organi- sirt. Jeder Genosse kann auf Unterstützung seitens seiner Commilitonen rechnen, jeder hat Antheil am Gewinne, wenn er an demselben Orte, wo gespielt wird, anwesend ist, auch ohne selbst an dem Spiel Antheil zu neh¬ men. Es genügt, daß er zum Spiele hinzugekommen ist, während gespielt wurde; seine Gegenwart allein sichert ihm einen Antheil. Da in diesen Krei¬ sen von Redlichkeit nicht die Rede sein kann, so geschieht es zuweilen, daß die betrogenen Genossen sich rächen und durch ein geschickt ausgeführtes Manöver dem Betrüger, der innerhalb der Kaste unehrlich war, das Geld wieder abnehmen. Die Proscribirten sinken häufig ins tiefste Elend; aber sie finden nicht selten Samariter, d. h. barmherzige Juden, die den alten unglücklichen Genossen in ihr Haus führen und ihm mit ärztlicher Hilfe und einiger Pflege zum menschlichen Aussehen wieder verhelfen. Der Samariter thut das in der Hoff¬ nung auf reichliche Dankbarkeit und versichert sich derselben, indem er das Jndividium, so lange es eben geht, in seiner vollen Abhängigkeit erhält, es nicht aus den Augen läßt und ihm den Gewinn allemal abnimmt. Nicht selten geschieht es dann, daß man auf irgend einem andern Punkte des Landes dem Wiedererweckten als wahrem Crösus begegnet, dessen Goldregen die Genossen alle wieder um ihn versammelt, die ihn einst mit Fußtritten und Hohn am Wege liegen ließen. Es ist musterhaft, wie tolerant diese Leute gegen einander sind: nicht der Mensch, sondern das Verhältniß, in welchem er zum Gelde steht, hat für sie maßgebende Bedeutung. Die Ru¬ mänen sind Fatalisten; sie folgen dem, der Glück, und fliehen den, der Un¬ glück hat. Die professionellen Falschspieler sind größtentheils zweimal oder dreimal verheirathet: das einemal als Katholiken, das zweitemal als Protestanten, das drittemal als Orthodoxe; mit jedem Religionswechsel wird auch die Frau gewechselt. Jedoch ist das letztere nicht durch das erstere bedingt, denn die orientalische Kirche gestattet ihren Bekennern, sich drei verschiedene Male zu verheirathen und wieder zu trennen. Jede dieser Frauen lebt natürlich an einem anderen Orte, jede wie sie eben kann, und der Herr Gemahl lebt an¬ derswo ebenfalls wie er kann, d. h. wenn er Geld genug hat, mit jeder, die ihm gefällt, und wenn er keines hat mit Weibern, die ihm zum Gelde verhel¬ fen. Um seine Frauen sich zu kümmern fällt ihm gar nicht ein, denn er hat ganz andere Sorgen. Manche von ihnen sparen sich ein Sümmchen zusam¬ men und werden dann wirkliche Kauf- oder Geschäftsleute, andere kaufen sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/347>, abgerufen am 29.06.2024.