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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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wissen Personen ihnen zu dem Behufe vorgestreckt, damit den Reisenden das ihrige
abzulocken. In den Gewinn theilen sich die Vögel und geben ihren Pflicht¬
theil an jene "stillen Compagnons", die wir -- nicht zu kennen brauchen.
Und doch waren nach jedem Spiele frische Karten verlangt worden, die der
Schiffskellner wohlversiegelt brachte, die man eigenhändig entsiegelt und als
unberührt erkannt hatte. Die Karten sind dem Schiffskellner von den Spielern
gegeben worden, und dieser wird nur solche und keine anderen auf Verlangen
bringen. Diese Karten sind alle präparirt, d. i. gezeichnet und so fein und
geschickt gezeichnet, daß man die Zeichen höchstens mit dem Mikroskop er¬
kennen kann. Sie setzen den geübten Spieler aber in den Stand, jede Karte
an ihrer Rückseite zu erkennen und somit "aufs Sichere" zu spielen, während
der Fremde die Chancen eines Glücksspieles vor sich zu haben wähnt. Die
Herren ergänzen überdies durch nur ihnen verständliche Zeichen das gegen¬
seitige Einverständniß, und man ist unrettbar verloren, wenn man in ihre
Hände sällt. Es sind Falschspieler, die auf rumänischen Boden bereits
zu bekannt und daher gemieden sind und darum ihr Glück auf den Schiffen
suchen. Diese Individuen sind alle Insassen Rumäniens, ohne deswegen alle
Rumänen zu sein; es gibt darunter Griechen, Serben, Armenier und nament¬
lich viele Juden, die meist in den Hafenstädten ihre festen Wohnsitze haben.

Dieses Gewerbe thut übrigens der gesellschaftlichen Stellung seiner Jünger
absolut keinen Eintrag. Der Spieler sagt: "Die ganze Welt betrügt, der
auf diese, jener auf andere Weise, die angesehensten, die geachtetsten Kauf¬
leute betrügen, denn der Handel ist an sich Betrug. Ich aber betrüge im
Grunde nicht, ich habe blos gewisse Vortheile vor Anderen voraus, die ich
benutze. Jeder kann ja dasselbe thun. Daß ich geschickter bin als wie An¬
dere, das eben ist mein Glück." Mit dieser Moral ist ihr Gewissen beschwich¬
tigt und die rumänische Welt vollkommen zufriedengestellt. Wer spielt hier
aber auch nicht? Wie anderswo im Weine sucht man hier im Kartenspiele
das Lieblingsvergnügen und huldigt ihm um so leidenschaftlicher, weil es
die Chancen eines schnellen Gelderwerbes bietet. Hier in Rumänien aber
ist das Gold der Götze, vor dem Alles anbetend auf den Knien liegt. "Wer
Geld hat, hat Alles", ist das allgemeine Motto. Mit Golde lassen sich alle
sinnlichen Genüsse befriedigen, und nach diesem ist hier eine allgemeine Hetz¬
jagd, da höhere Bedürfnisse dem Motto-Wallachen höchstens dem Namen
nach bekannt sind. Glückliche Spieler werden hier allgemein respectvoll aus¬
gesucht; selbst hochgestellte Personen in öffentlichen Staatsämtern schließen
mit ihnen geheime Verträge, wonach sie sich mit einer gewissen Baareinlage
gegen einen Antheil am Gewinne betheiligen, ohne persönlich beim Spiel mit¬
zuwirken. -- Bei der Allgemeinheit der Spielwuth darf es nicht Wunder neh¬
men, daß das Spiel, obwohl gesetzlich verboten, factisch offen, ohne Hehl


wissen Personen ihnen zu dem Behufe vorgestreckt, damit den Reisenden das ihrige
abzulocken. In den Gewinn theilen sich die Vögel und geben ihren Pflicht¬
theil an jene „stillen Compagnons", die wir — nicht zu kennen brauchen.
Und doch waren nach jedem Spiele frische Karten verlangt worden, die der
Schiffskellner wohlversiegelt brachte, die man eigenhändig entsiegelt und als
unberührt erkannt hatte. Die Karten sind dem Schiffskellner von den Spielern
gegeben worden, und dieser wird nur solche und keine anderen auf Verlangen
bringen. Diese Karten sind alle präparirt, d. i. gezeichnet und so fein und
geschickt gezeichnet, daß man die Zeichen höchstens mit dem Mikroskop er¬
kennen kann. Sie setzen den geübten Spieler aber in den Stand, jede Karte
an ihrer Rückseite zu erkennen und somit „aufs Sichere" zu spielen, während
der Fremde die Chancen eines Glücksspieles vor sich zu haben wähnt. Die
Herren ergänzen überdies durch nur ihnen verständliche Zeichen das gegen¬
seitige Einverständniß, und man ist unrettbar verloren, wenn man in ihre
Hände sällt. Es sind Falschspieler, die auf rumänischen Boden bereits
zu bekannt und daher gemieden sind und darum ihr Glück auf den Schiffen
suchen. Diese Individuen sind alle Insassen Rumäniens, ohne deswegen alle
Rumänen zu sein; es gibt darunter Griechen, Serben, Armenier und nament¬
lich viele Juden, die meist in den Hafenstädten ihre festen Wohnsitze haben.

Dieses Gewerbe thut übrigens der gesellschaftlichen Stellung seiner Jünger
absolut keinen Eintrag. Der Spieler sagt: „Die ganze Welt betrügt, der
auf diese, jener auf andere Weise, die angesehensten, die geachtetsten Kauf¬
leute betrügen, denn der Handel ist an sich Betrug. Ich aber betrüge im
Grunde nicht, ich habe blos gewisse Vortheile vor Anderen voraus, die ich
benutze. Jeder kann ja dasselbe thun. Daß ich geschickter bin als wie An¬
dere, das eben ist mein Glück." Mit dieser Moral ist ihr Gewissen beschwich¬
tigt und die rumänische Welt vollkommen zufriedengestellt. Wer spielt hier
aber auch nicht? Wie anderswo im Weine sucht man hier im Kartenspiele
das Lieblingsvergnügen und huldigt ihm um so leidenschaftlicher, weil es
die Chancen eines schnellen Gelderwerbes bietet. Hier in Rumänien aber
ist das Gold der Götze, vor dem Alles anbetend auf den Knien liegt. „Wer
Geld hat, hat Alles", ist das allgemeine Motto. Mit Golde lassen sich alle
sinnlichen Genüsse befriedigen, und nach diesem ist hier eine allgemeine Hetz¬
jagd, da höhere Bedürfnisse dem Motto-Wallachen höchstens dem Namen
nach bekannt sind. Glückliche Spieler werden hier allgemein respectvoll aus¬
gesucht; selbst hochgestellte Personen in öffentlichen Staatsämtern schließen
mit ihnen geheime Verträge, wonach sie sich mit einer gewissen Baareinlage
gegen einen Antheil am Gewinne betheiligen, ohne persönlich beim Spiel mit¬
zuwirken. — Bei der Allgemeinheit der Spielwuth darf es nicht Wunder neh¬
men, daß das Spiel, obwohl gesetzlich verboten, factisch offen, ohne Hehl


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/346>, abgerufen am 28.09.2024.