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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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den Quartiere: nur noch auf den von der vornehmen christlichen Welt be¬
wohnten Prinzeninseln im Marmora-Meer, die außer dem Polizeibezirk der
Hauptstadt liegen, kommt es zuweilen vor, im Bereiche der Stadt selbst
aber viel seltener als in irgend einer europäischen Großstadt.

Zurückgedrängt von allen Seiten hat das Hazardspiel in Rumänien
seine Heimath gefunden, es wird hier von dem angrenzenden Rußland ge¬
fördert, ja es ist eigentlich eine von Rußland dahin importtrte Pflanze, die
auf diesem ergiebigen Boden ganz erstaunlich gedeiht und alles überwuchert.
Nicht Wiesbaden, nicht Homburg, nicht die andern privilegirten Spielorte
Europas können einen Begriff davon geben, was Alles diese krankhafte Seite
der menschlichen Natur zu erzeugen im Stande ist, -- ja selbst Rußland nicht.
^Man muß, um davon eine Idee zu erhalten, Rumänien selbst gesehen
^ haben, und man wird sich überrascht fragen: wie kann ein so durch und
'durch inficirtes gefährliches Nest in der Nähe der Culturstaaten überhaupt
geduldet werden? Man hat im Interesse der allgemeinen Sicherheit die Raub-
staaten an der afrikanischen Küste des Mittelmeeres aufgehoben, und seitdem
ist diese große Völkerwasserstraße von Piraten und Freibeutern gesäubert.
Die Donau, die nach dem letzten Pariser Frieden dem allgemeinen Völker¬
verkehr geöffnet ward, hat wenigstens auf einer Strecke von hundert
Meilen gegen ihre Mündung ins schwarze Meer zu -- diese Vergünstigung
nicht; denn hier ist der arglos Reisende einer andern Art von Freibeutern
preisgegeben, die ihn in Glacehandschuhen und mit den feinsten Manieren von
der Welt um sein Hab und Gut bringen. Von Turuseverin, der ersten Grenz¬
stadt Rumäniens herab bis Sulina am schwarzen Meere hat sich dieses Ge¬
sinde! auf verschiedenen Donaufahrzeugen förmlich eingenistet und entwickelt
dann vorzüglich im Frühjahre, wo der Wanderzug von Osten nach den Bädern
und Metropolen des Abendlandes und im Herbste, wo der Rückzug daher
in die Heimath wieder stattfindet, seine Thätigkeit.

Auf diesen Fahrzeugen befinden sich unter den Reisenden meist drei,
vier oder fünf Doctoren und Kaufleute, "Geschäftsleute der achtbarsten Classe",
Männer der feinen Welt, die einander scheinbar nicht kennen und sich gleich¬
sam zufällig beim Spieltische zusammenfinden. Das Spiel erhitzt, der Wein
steigt zu Kopf, Verlust und Gewinn regen auf, das Gold häuft sich auf
dem grünen Tische, es wandert in die Taschen bald des Einen, bald das An¬
dern -- man sieht aus Langerweile zu. man wird vom Zeugen des Spiels
bald zum Schiedsrichter der Spieler und ehe man sich's versieht, ist man zum
Mitspieler geworden, der dann unfehlbar sein baares Geld, häufig auch seine
Uhr und seine Ringe verloren hat. Die achtbaren Reisegefährten sind professio¬
nelle Falschspieler; was sie anfangs aufgeführt, war eine gut gespickte Comödie.
das Gold aus dem Tische oft nicht einmal ihr Eigenthum, sondern von ge-


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den Quartiere: nur noch auf den von der vornehmen christlichen Welt be¬
wohnten Prinzeninseln im Marmora-Meer, die außer dem Polizeibezirk der
Hauptstadt liegen, kommt es zuweilen vor, im Bereiche der Stadt selbst
aber viel seltener als in irgend einer europäischen Großstadt.

Zurückgedrängt von allen Seiten hat das Hazardspiel in Rumänien
seine Heimath gefunden, es wird hier von dem angrenzenden Rußland ge¬
fördert, ja es ist eigentlich eine von Rußland dahin importtrte Pflanze, die
auf diesem ergiebigen Boden ganz erstaunlich gedeiht und alles überwuchert.
Nicht Wiesbaden, nicht Homburg, nicht die andern privilegirten Spielorte
Europas können einen Begriff davon geben, was Alles diese krankhafte Seite
der menschlichen Natur zu erzeugen im Stande ist, — ja selbst Rußland nicht.
^Man muß, um davon eine Idee zu erhalten, Rumänien selbst gesehen
^ haben, und man wird sich überrascht fragen: wie kann ein so durch und
'durch inficirtes gefährliches Nest in der Nähe der Culturstaaten überhaupt
geduldet werden? Man hat im Interesse der allgemeinen Sicherheit die Raub-
staaten an der afrikanischen Küste des Mittelmeeres aufgehoben, und seitdem
ist diese große Völkerwasserstraße von Piraten und Freibeutern gesäubert.
Die Donau, die nach dem letzten Pariser Frieden dem allgemeinen Völker¬
verkehr geöffnet ward, hat wenigstens auf einer Strecke von hundert
Meilen gegen ihre Mündung ins schwarze Meer zu — diese Vergünstigung
nicht; denn hier ist der arglos Reisende einer andern Art von Freibeutern
preisgegeben, die ihn in Glacehandschuhen und mit den feinsten Manieren von
der Welt um sein Hab und Gut bringen. Von Turuseverin, der ersten Grenz¬
stadt Rumäniens herab bis Sulina am schwarzen Meere hat sich dieses Ge¬
sinde! auf verschiedenen Donaufahrzeugen förmlich eingenistet und entwickelt
dann vorzüglich im Frühjahre, wo der Wanderzug von Osten nach den Bädern
und Metropolen des Abendlandes und im Herbste, wo der Rückzug daher
in die Heimath wieder stattfindet, seine Thätigkeit.

Auf diesen Fahrzeugen befinden sich unter den Reisenden meist drei,
vier oder fünf Doctoren und Kaufleute, „Geschäftsleute der achtbarsten Classe",
Männer der feinen Welt, die einander scheinbar nicht kennen und sich gleich¬
sam zufällig beim Spieltische zusammenfinden. Das Spiel erhitzt, der Wein
steigt zu Kopf, Verlust und Gewinn regen auf, das Gold häuft sich auf
dem grünen Tische, es wandert in die Taschen bald des Einen, bald das An¬
dern — man sieht aus Langerweile zu. man wird vom Zeugen des Spiels
bald zum Schiedsrichter der Spieler und ehe man sich's versieht, ist man zum
Mitspieler geworden, der dann unfehlbar sein baares Geld, häufig auch seine
Uhr und seine Ringe verloren hat. Die achtbaren Reisegefährten sind professio¬
nelle Falschspieler; was sie anfangs aufgeführt, war eine gut gespickte Comödie.
das Gold aus dem Tische oft nicht einmal ihr Eigenthum, sondern von ge-


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[0345] den Quartiere: nur noch auf den von der vornehmen christlichen Welt be¬ wohnten Prinzeninseln im Marmora-Meer, die außer dem Polizeibezirk der Hauptstadt liegen, kommt es zuweilen vor, im Bereiche der Stadt selbst aber viel seltener als in irgend einer europäischen Großstadt. Zurückgedrängt von allen Seiten hat das Hazardspiel in Rumänien seine Heimath gefunden, es wird hier von dem angrenzenden Rußland ge¬ fördert, ja es ist eigentlich eine von Rußland dahin importtrte Pflanze, die auf diesem ergiebigen Boden ganz erstaunlich gedeiht und alles überwuchert. Nicht Wiesbaden, nicht Homburg, nicht die andern privilegirten Spielorte Europas können einen Begriff davon geben, was Alles diese krankhafte Seite der menschlichen Natur zu erzeugen im Stande ist, — ja selbst Rußland nicht. ^Man muß, um davon eine Idee zu erhalten, Rumänien selbst gesehen ^ haben, und man wird sich überrascht fragen: wie kann ein so durch und 'durch inficirtes gefährliches Nest in der Nähe der Culturstaaten überhaupt geduldet werden? Man hat im Interesse der allgemeinen Sicherheit die Raub- staaten an der afrikanischen Küste des Mittelmeeres aufgehoben, und seitdem ist diese große Völkerwasserstraße von Piraten und Freibeutern gesäubert. Die Donau, die nach dem letzten Pariser Frieden dem allgemeinen Völker¬ verkehr geöffnet ward, hat wenigstens auf einer Strecke von hundert Meilen gegen ihre Mündung ins schwarze Meer zu — diese Vergünstigung nicht; denn hier ist der arglos Reisende einer andern Art von Freibeutern preisgegeben, die ihn in Glacehandschuhen und mit den feinsten Manieren von der Welt um sein Hab und Gut bringen. Von Turuseverin, der ersten Grenz¬ stadt Rumäniens herab bis Sulina am schwarzen Meere hat sich dieses Ge¬ sinde! auf verschiedenen Donaufahrzeugen förmlich eingenistet und entwickelt dann vorzüglich im Frühjahre, wo der Wanderzug von Osten nach den Bädern und Metropolen des Abendlandes und im Herbste, wo der Rückzug daher in die Heimath wieder stattfindet, seine Thätigkeit. Auf diesen Fahrzeugen befinden sich unter den Reisenden meist drei, vier oder fünf Doctoren und Kaufleute, „Geschäftsleute der achtbarsten Classe", Männer der feinen Welt, die einander scheinbar nicht kennen und sich gleich¬ sam zufällig beim Spieltische zusammenfinden. Das Spiel erhitzt, der Wein steigt zu Kopf, Verlust und Gewinn regen auf, das Gold häuft sich auf dem grünen Tische, es wandert in die Taschen bald des Einen, bald das An¬ dern — man sieht aus Langerweile zu. man wird vom Zeugen des Spiels bald zum Schiedsrichter der Spieler und ehe man sich's versieht, ist man zum Mitspieler geworden, der dann unfehlbar sein baares Geld, häufig auch seine Uhr und seine Ringe verloren hat. Die achtbaren Reisegefährten sind professio¬ nelle Falschspieler; was sie anfangs aufgeführt, war eine gut gespickte Comödie. das Gold aus dem Tische oft nicht einmal ihr Eigenthum, sondern von ge- 43*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/345>, abgerufen am 29.06.2024.