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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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die theils durch Geburt und Beruf, theils durch mit dem Staatsdienst,von
Alters her verwachsene Familientradition, durch angeborenen Royalismus
und selbständige Freisinnigkeit das Zeug dazu hätten, whiggistische Politik
zu treiben, und die Ideen Treitschke's vom deutschen Königthume verwirk¬
lichen zu helfen.

Ebenso werden es heutzutage wohl nur noch die seichtesten und banal¬
sten Köpfe der liberalen Parteien sein, welche in der MonteHquieu'schen Ge-
waltenthetlung oder in der Gemeingiltigkeit des englischen Verfassungsrechts
die absolute Wahrheit des konstitutionellen Dogmas erblicken. Man huldigt
heute mehr einer absoluten Kritik, als einer infalliblen Doctrin, weiß die
mannichfaltigsten Gesichtspunkte historischer, patriotischer, philosophischer, juri¬
stischer, monarchischer oder demokratischer Art behende zu gebrauchen, ist un¬
erschöpflich in praktisch-theoretischen Distinctionen und die doppelte Buchführung
für das nationale wie für das liberale Soll und Haben macht jedes positive Credo
unfindbar. Bald ists nur die Freiheit, welche die Einheit erzeugen soll, manch-
mal lautet das Sprüchlein umgekehrt, und immer schillert es in recht unbe¬
stimmter monarchisch-demokratischer Farbe. Täuschen wir uns darüber nicht:
unter der kritisch verwachsenen Oberfläche schlummert nur leise die dämoni¬
sche Gewalt der radicalen Ideen. Es gehört wenig dazu, sie zu wecken, und
sofort erheben sie sich in der verhängnißvollen Gestalt, die ihnen seit der Con-
stitution v. I. 1791 auf dem Festlande unvertilgbar anhaftet. Immer ist
und bleibt es die legislative Staatsgewalt mit ihrer begrifflich schrankenlosen
Ausdehnung, welche das Volk für sich in Anspruch nimmt, immer ist es das
vertragsmäßige Statut, auf welches die Existenzberechtigung, wie jede Be-
fugniß der Krone mit allem Nachdruck zurückgeführt wird, das heißt immer
und bei jedem Conflict dringt aus allen Poren des Constitutionalismus der
Gedanke der demokratischen Volkssouveränetät: tous' les xouvoirs swMönt
as la Nation. Auch der preußische Constitutionalismus ist ein Kind der Revolu¬
tion, hat seine revolutionäre Geschichte und Logik für sich. Da wir bei Gründung
der preußisch-deutschen Verfassung vom Jahre 1866 nicht in der Lage waren,
dem Wahlrecht zum Parlamente durch Radicirung auf das Gemeindewahlrecht
die einzige organische Basis zu geben, die mit der deutschen Freiheit verträglich
ist, haben wir ihm verwegen die breite Grundlage der allgemeinen und gleichen
Volksherrschaft verliehen. Die Zukunft wird uns die Ausleerung des Bechers
bis aus die Neige nicht ersparen. Inzwischen durchfrißt die Krankheit der kon¬
stitutionellen Bureaukratie unser Staatswesen viel tiefer, als Treitschke's sangui¬
nische Denkungsart zu glauben geneigt ist. Es ist offenbar: ebenso, wie die
deutsche Einheit nur durch ein freies und starkes Königthum vollendet wer¬
den wird, ebenso gewiß wird nur ein volkstümlicher und freisinniger
Royalismus unsere Nation vor der Gefahr zu schützen vermögen, früher oder


die theils durch Geburt und Beruf, theils durch mit dem Staatsdienst,von
Alters her verwachsene Familientradition, durch angeborenen Royalismus
und selbständige Freisinnigkeit das Zeug dazu hätten, whiggistische Politik
zu treiben, und die Ideen Treitschke's vom deutschen Königthume verwirk¬
lichen zu helfen.

Ebenso werden es heutzutage wohl nur noch die seichtesten und banal¬
sten Köpfe der liberalen Parteien sein, welche in der MonteHquieu'schen Ge-
waltenthetlung oder in der Gemeingiltigkeit des englischen Verfassungsrechts
die absolute Wahrheit des konstitutionellen Dogmas erblicken. Man huldigt
heute mehr einer absoluten Kritik, als einer infalliblen Doctrin, weiß die
mannichfaltigsten Gesichtspunkte historischer, patriotischer, philosophischer, juri¬
stischer, monarchischer oder demokratischer Art behende zu gebrauchen, ist un¬
erschöpflich in praktisch-theoretischen Distinctionen und die doppelte Buchführung
für das nationale wie für das liberale Soll und Haben macht jedes positive Credo
unfindbar. Bald ists nur die Freiheit, welche die Einheit erzeugen soll, manch-
mal lautet das Sprüchlein umgekehrt, und immer schillert es in recht unbe¬
stimmter monarchisch-demokratischer Farbe. Täuschen wir uns darüber nicht:
unter der kritisch verwachsenen Oberfläche schlummert nur leise die dämoni¬
sche Gewalt der radicalen Ideen. Es gehört wenig dazu, sie zu wecken, und
sofort erheben sie sich in der verhängnißvollen Gestalt, die ihnen seit der Con-
stitution v. I. 1791 auf dem Festlande unvertilgbar anhaftet. Immer ist
und bleibt es die legislative Staatsgewalt mit ihrer begrifflich schrankenlosen
Ausdehnung, welche das Volk für sich in Anspruch nimmt, immer ist es das
vertragsmäßige Statut, auf welches die Existenzberechtigung, wie jede Be-
fugniß der Krone mit allem Nachdruck zurückgeführt wird, das heißt immer
und bei jedem Conflict dringt aus allen Poren des Constitutionalismus der
Gedanke der demokratischen Volkssouveränetät: tous' les xouvoirs swMönt
as la Nation. Auch der preußische Constitutionalismus ist ein Kind der Revolu¬
tion, hat seine revolutionäre Geschichte und Logik für sich. Da wir bei Gründung
der preußisch-deutschen Verfassung vom Jahre 1866 nicht in der Lage waren,
dem Wahlrecht zum Parlamente durch Radicirung auf das Gemeindewahlrecht
die einzige organische Basis zu geben, die mit der deutschen Freiheit verträglich
ist, haben wir ihm verwegen die breite Grundlage der allgemeinen und gleichen
Volksherrschaft verliehen. Die Zukunft wird uns die Ausleerung des Bechers
bis aus die Neige nicht ersparen. Inzwischen durchfrißt die Krankheit der kon¬
stitutionellen Bureaukratie unser Staatswesen viel tiefer, als Treitschke's sangui¬
nische Denkungsart zu glauben geneigt ist. Es ist offenbar: ebenso, wie die
deutsche Einheit nur durch ein freies und starkes Königthum vollendet wer¬
den wird, ebenso gewiß wird nur ein volkstümlicher und freisinniger
Royalismus unsere Nation vor der Gefahr zu schützen vermögen, früher oder


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[0340] die theils durch Geburt und Beruf, theils durch mit dem Staatsdienst,von Alters her verwachsene Familientradition, durch angeborenen Royalismus und selbständige Freisinnigkeit das Zeug dazu hätten, whiggistische Politik zu treiben, und die Ideen Treitschke's vom deutschen Königthume verwirk¬ lichen zu helfen. Ebenso werden es heutzutage wohl nur noch die seichtesten und banal¬ sten Köpfe der liberalen Parteien sein, welche in der MonteHquieu'schen Ge- waltenthetlung oder in der Gemeingiltigkeit des englischen Verfassungsrechts die absolute Wahrheit des konstitutionellen Dogmas erblicken. Man huldigt heute mehr einer absoluten Kritik, als einer infalliblen Doctrin, weiß die mannichfaltigsten Gesichtspunkte historischer, patriotischer, philosophischer, juri¬ stischer, monarchischer oder demokratischer Art behende zu gebrauchen, ist un¬ erschöpflich in praktisch-theoretischen Distinctionen und die doppelte Buchführung für das nationale wie für das liberale Soll und Haben macht jedes positive Credo unfindbar. Bald ists nur die Freiheit, welche die Einheit erzeugen soll, manch- mal lautet das Sprüchlein umgekehrt, und immer schillert es in recht unbe¬ stimmter monarchisch-demokratischer Farbe. Täuschen wir uns darüber nicht: unter der kritisch verwachsenen Oberfläche schlummert nur leise die dämoni¬ sche Gewalt der radicalen Ideen. Es gehört wenig dazu, sie zu wecken, und sofort erheben sie sich in der verhängnißvollen Gestalt, die ihnen seit der Con- stitution v. I. 1791 auf dem Festlande unvertilgbar anhaftet. Immer ist und bleibt es die legislative Staatsgewalt mit ihrer begrifflich schrankenlosen Ausdehnung, welche das Volk für sich in Anspruch nimmt, immer ist es das vertragsmäßige Statut, auf welches die Existenzberechtigung, wie jede Be- fugniß der Krone mit allem Nachdruck zurückgeführt wird, das heißt immer und bei jedem Conflict dringt aus allen Poren des Constitutionalismus der Gedanke der demokratischen Volkssouveränetät: tous' les xouvoirs swMönt as la Nation. Auch der preußische Constitutionalismus ist ein Kind der Revolu¬ tion, hat seine revolutionäre Geschichte und Logik für sich. Da wir bei Gründung der preußisch-deutschen Verfassung vom Jahre 1866 nicht in der Lage waren, dem Wahlrecht zum Parlamente durch Radicirung auf das Gemeindewahlrecht die einzige organische Basis zu geben, die mit der deutschen Freiheit verträglich ist, haben wir ihm verwegen die breite Grundlage der allgemeinen und gleichen Volksherrschaft verliehen. Die Zukunft wird uns die Ausleerung des Bechers bis aus die Neige nicht ersparen. Inzwischen durchfrißt die Krankheit der kon¬ stitutionellen Bureaukratie unser Staatswesen viel tiefer, als Treitschke's sangui¬ nische Denkungsart zu glauben geneigt ist. Es ist offenbar: ebenso, wie die deutsche Einheit nur durch ein freies und starkes Königthum vollendet wer¬ den wird, ebenso gewiß wird nur ein volkstümlicher und freisinniger Royalismus unsere Nation vor der Gefahr zu schützen vermögen, früher oder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/340>, abgerufen am 28.09.2024.