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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Anzahl deutscher Politiker der positiv erhaltende und freisinnig fortstre¬
bende Geist lebendig bleibt, kann es um unsere Zukunft niemals schlecht bestellt
sein. Unter dem Ueberfluß oberflächlicher und schickender Raisonnements,
die jüngst in der Kevue Ach äeux monäöL von jenem Victor Cherbuliez
über Preußen veröffentlicht wurden, schien mir am meisten Verstand in einer
Bemerkung enthalten, die er einem Preußen in den Mund legt: "?nisse 1e
Dieu wtÄairs Ac ?russe kairs erottrs en nomdrs <ze en doree ees cynser-
vateurs lidöraux, yui fort xlütot uns üaetion as parti, pu'nit Mrti! ?vur
Is wowent, e'est 1o Zonis qui nous souverns, et cela cones tres edor."

Daß ein, wenn auch noch so kleiner politischer Bruchtheil des Liberalismus
das Banner eines starken und freien, nationalen und volkstümlichen Königthums
hoch hält, ist gewiß ebenso Lebensbedürfniß für die Monarchie, wie für die Frei¬
heiten unseres Volks. -- Aber freilich man mag sich noch so viel Mühe geben,
die Monarchie zu idealisiren, durch die großen Bilder ihrer Vergangenheit
und ihre gesunden organischen Wurzeln in dem Preußen der Gegenwart:
die Botschaft fällt allerwärts auf den felsigen Boden des Unglaubens, so
lange die Regierenden nicht selbst ihren hohen Beruf ebenso zu fassen wissen.
Wir leben unter der tyrannischen Herrschaft einer alle Höhen der Menschheit
drückenden Mittelmäßigkeit, für die Zeit der Helden und großen Herrscher fehlt
uns das Piedestal. Eine umfassende Geschichte des preußischen Constitutio-
nalismus wird sich das psychologische Moment nicht entgehen lassen dürfen,
auch darauf hinzuweisen, wie sehr seit 1786 ein Absteigen des ächten monarchi¬
schen Selbstgefühls, eine zunehmende geistige Abhängigkeit der Herren von ihren
Ministern, schöpferischen oder beschränkten Staatsmännern, die bürgerliche Intel¬
ligenz mahnte, einen Theil der Staatsgewalt konstitutionell auf ebenbürtige
Parlamentarische Schultern abzuwälzen. Dieselben Ursachen wirken fort in über¬
aus wechselvoller Erscheinung. Die kleinstaatlichen Gewohnheiten des preußisch¬
deutschen Constitutionalismus sind, wir wiederholen es, bedingt gewesen durch
eine kleinstaatliche Auffassung auf Seiten der Krone. Und schließlich ist es doch
wieder die Noth und das Talent eines überragenden Ministers und Staats¬
mannes gewesen, welches die preußische Krone in dem mächtigen Aufschwünge
v. I. 1866 zu ihrer alten souveränen Hoheit mit neuem Ruhm und vermehr¬
ten Glanz emporgehoben hat. Soll die Monarchie auf dieser Höhe ihres
Berufs und in dem Fluge ihrer glorreichen Bahn erhalten werden, so wird es
nicht anders geschehen können, als durch Staatsmänner und politisch unthä¬
tige Kräfte von d er monarchischen Gesinnung, wie sie dem Vortrag Treitschke's
eigen ist. Wir haben nicht die aristokratischen Elemente des englischen Whiggis-
mus und auch keine Verwendung dafür. Aber in gewissen Parteischattirungen,
die von dem linken Flügel der Freiconservativen in den rechten der Natio¬
nalliberalen hinüberspielen, sind in der That politische Bestandtheile vorhanden,


Anzahl deutscher Politiker der positiv erhaltende und freisinnig fortstre¬
bende Geist lebendig bleibt, kann es um unsere Zukunft niemals schlecht bestellt
sein. Unter dem Ueberfluß oberflächlicher und schickender Raisonnements,
die jüngst in der Kevue Ach äeux monäöL von jenem Victor Cherbuliez
über Preußen veröffentlicht wurden, schien mir am meisten Verstand in einer
Bemerkung enthalten, die er einem Preußen in den Mund legt: „?nisse 1e
Dieu wtÄairs Ac ?russe kairs erottrs en nomdrs <ze en doree ees cynser-
vateurs lidöraux, yui fort xlütot uns üaetion as parti, pu'nit Mrti! ?vur
Is wowent, e'est 1o Zonis qui nous souverns, et cela cones tres edor."

Daß ein, wenn auch noch so kleiner politischer Bruchtheil des Liberalismus
das Banner eines starken und freien, nationalen und volkstümlichen Königthums
hoch hält, ist gewiß ebenso Lebensbedürfniß für die Monarchie, wie für die Frei¬
heiten unseres Volks. — Aber freilich man mag sich noch so viel Mühe geben,
die Monarchie zu idealisiren, durch die großen Bilder ihrer Vergangenheit
und ihre gesunden organischen Wurzeln in dem Preußen der Gegenwart:
die Botschaft fällt allerwärts auf den felsigen Boden des Unglaubens, so
lange die Regierenden nicht selbst ihren hohen Beruf ebenso zu fassen wissen.
Wir leben unter der tyrannischen Herrschaft einer alle Höhen der Menschheit
drückenden Mittelmäßigkeit, für die Zeit der Helden und großen Herrscher fehlt
uns das Piedestal. Eine umfassende Geschichte des preußischen Constitutio-
nalismus wird sich das psychologische Moment nicht entgehen lassen dürfen,
auch darauf hinzuweisen, wie sehr seit 1786 ein Absteigen des ächten monarchi¬
schen Selbstgefühls, eine zunehmende geistige Abhängigkeit der Herren von ihren
Ministern, schöpferischen oder beschränkten Staatsmännern, die bürgerliche Intel¬
ligenz mahnte, einen Theil der Staatsgewalt konstitutionell auf ebenbürtige
Parlamentarische Schultern abzuwälzen. Dieselben Ursachen wirken fort in über¬
aus wechselvoller Erscheinung. Die kleinstaatlichen Gewohnheiten des preußisch¬
deutschen Constitutionalismus sind, wir wiederholen es, bedingt gewesen durch
eine kleinstaatliche Auffassung auf Seiten der Krone. Und schließlich ist es doch
wieder die Noth und das Talent eines überragenden Ministers und Staats¬
mannes gewesen, welches die preußische Krone in dem mächtigen Aufschwünge
v. I. 1866 zu ihrer alten souveränen Hoheit mit neuem Ruhm und vermehr¬
ten Glanz emporgehoben hat. Soll die Monarchie auf dieser Höhe ihres
Berufs und in dem Fluge ihrer glorreichen Bahn erhalten werden, so wird es
nicht anders geschehen können, als durch Staatsmänner und politisch unthä¬
tige Kräfte von d er monarchischen Gesinnung, wie sie dem Vortrag Treitschke's
eigen ist. Wir haben nicht die aristokratischen Elemente des englischen Whiggis-
mus und auch keine Verwendung dafür. Aber in gewissen Parteischattirungen,
die von dem linken Flügel der Freiconservativen in den rechten der Natio¬
nalliberalen hinüberspielen, sind in der That politische Bestandtheile vorhanden,


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[0339] Anzahl deutscher Politiker der positiv erhaltende und freisinnig fortstre¬ bende Geist lebendig bleibt, kann es um unsere Zukunft niemals schlecht bestellt sein. Unter dem Ueberfluß oberflächlicher und schickender Raisonnements, die jüngst in der Kevue Ach äeux monäöL von jenem Victor Cherbuliez über Preußen veröffentlicht wurden, schien mir am meisten Verstand in einer Bemerkung enthalten, die er einem Preußen in den Mund legt: „?nisse 1e Dieu wtÄairs Ac ?russe kairs erottrs en nomdrs <ze en doree ees cynser- vateurs lidöraux, yui fort xlütot uns üaetion as parti, pu'nit Mrti! ?vur Is wowent, e'est 1o Zonis qui nous souverns, et cela cones tres edor." Daß ein, wenn auch noch so kleiner politischer Bruchtheil des Liberalismus das Banner eines starken und freien, nationalen und volkstümlichen Königthums hoch hält, ist gewiß ebenso Lebensbedürfniß für die Monarchie, wie für die Frei¬ heiten unseres Volks. — Aber freilich man mag sich noch so viel Mühe geben, die Monarchie zu idealisiren, durch die großen Bilder ihrer Vergangenheit und ihre gesunden organischen Wurzeln in dem Preußen der Gegenwart: die Botschaft fällt allerwärts auf den felsigen Boden des Unglaubens, so lange die Regierenden nicht selbst ihren hohen Beruf ebenso zu fassen wissen. Wir leben unter der tyrannischen Herrschaft einer alle Höhen der Menschheit drückenden Mittelmäßigkeit, für die Zeit der Helden und großen Herrscher fehlt uns das Piedestal. Eine umfassende Geschichte des preußischen Constitutio- nalismus wird sich das psychologische Moment nicht entgehen lassen dürfen, auch darauf hinzuweisen, wie sehr seit 1786 ein Absteigen des ächten monarchi¬ schen Selbstgefühls, eine zunehmende geistige Abhängigkeit der Herren von ihren Ministern, schöpferischen oder beschränkten Staatsmännern, die bürgerliche Intel¬ ligenz mahnte, einen Theil der Staatsgewalt konstitutionell auf ebenbürtige Parlamentarische Schultern abzuwälzen. Dieselben Ursachen wirken fort in über¬ aus wechselvoller Erscheinung. Die kleinstaatlichen Gewohnheiten des preußisch¬ deutschen Constitutionalismus sind, wir wiederholen es, bedingt gewesen durch eine kleinstaatliche Auffassung auf Seiten der Krone. Und schließlich ist es doch wieder die Noth und das Talent eines überragenden Ministers und Staats¬ mannes gewesen, welches die preußische Krone in dem mächtigen Aufschwünge v. I. 1866 zu ihrer alten souveränen Hoheit mit neuem Ruhm und vermehr¬ ten Glanz emporgehoben hat. Soll die Monarchie auf dieser Höhe ihres Berufs und in dem Fluge ihrer glorreichen Bahn erhalten werden, so wird es nicht anders geschehen können, als durch Staatsmänner und politisch unthä¬ tige Kräfte von d er monarchischen Gesinnung, wie sie dem Vortrag Treitschke's eigen ist. Wir haben nicht die aristokratischen Elemente des englischen Whiggis- mus und auch keine Verwendung dafür. Aber in gewissen Parteischattirungen, die von dem linken Flügel der Freiconservativen in den rechten der Natio¬ nalliberalen hinüberspielen, sind in der That politische Bestandtheile vorhanden,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/339>, abgerufen am 29.06.2024.