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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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platten Lande leistungsfähige Communalverbände herzustellen, als subfidiären,
mehr aristokratischen Selbstverwaltungskörpern eine Kreisordnung in der Ge¬
stalt, wie sie die nationalliberale Partei während der letzten Landtagssession
zu amendiren versucht hat, lebendig zu machen, die Provinzialverwaltung theils
bureaukratisch vereinfacht, theils durch die Mitwirkung volksthümlicher Ele¬
mente regenerirt in corporativer Selbständigkeit und landschaftlicher Beson¬
derheit zu erhalten -- dies erscheinen dem Verfasser als die großen Ziele
liberal schöpferischer Politik. Wohl wesentlich um der Vollständigkeit des
Programms halber schaltet Treitschke hier ein lebhaft empfundenes Wort ge¬
gen die schädliche Verwahrlosung des preußischen Unterrichtswesens ein, das,
so wahr es ist, doch eigentlich einem anderen Ideenkreise angehört.

Der Schluß des Aufsatzes führt uns aus die volle Höhe des nationalen
Gesichtspunktes zurück, wo des Verfassers schriftstellerische Kraft sich in ihrer
ganzen gedankenreichen Fülle und patriotischen Energie immer neu entfaltet.
"Wer den Einheitsstaat und die Selbstverwaltung starker Provinzen als die
Staatsform der Zukunft ansieht, der muß Preußens monarchische und mili¬
tärische Ueberlieferungen schonen.... Nur wer sich auf conservative Mächte
stützt, vermag eine Einheitsbewegung zu leiten .... Wenn spätere Geschlechter
dereinst zurückschauen aus die großen Kämpfe unserer Tage, so werden sie
uns nicht fragen: was habt ihr gethan, um den oder jenen Paragraphen des
Rotteck-Welcker'schen Staatslexieons zu verwirklichen? -- Sie werden fragen:
was thätet ihr, um den alten Adel des deutschen Wesens wieder zu erwecken
aus dem Neid und der Lüge, dem Zank und der Zuchtlosigkeit der
Kleinstaaterei? Der norddeutsche Bundesstaat ist ein werdender Einheits¬
staat, dessen Entwickelungsgang denselben Gesetzen entspricht, nach denen
Preußens Staatseinheit sich im 18. Jahrhundert vollendete. "Schon ent¬
wickeln sich in den Kleinstaaten des Nordens mit unheimlicher Schnelligkeit
krankhafte Zustände, welche wahrhaftig nicht darauf hindeuten, daß der
Bund diesem verkommenen Gemeinwesen frische Lebenskraft schenken werde."
Wenn auch Angesichts derselben früher oder später selbst die ungeheure
Rechtlichkeit der Deutschen sich zurückbesinnen wird auf das klare Recht jedes
Staatsund jeder Nation, dem öffentlichen Interesse, der Sittlichkeit und Ord¬
nung des Daseins schädliche Rechte im Wege der Expropriation zu beseitigen,
so muß die nationale Politik doch auf die sanguinische Hoffnung einer raschen
und glatten Mediatisirung der kleinen Kronen verzichten, sich damit begnü¬
gen, ihre Landeshoheit nach und nach unschädlich, unhaltbar zu machen durch
stetigen Ausbau der Bundesverfassung, Gemeinsamkeit des Rechts, des Pro¬
cesses, der Gerichtsverfassung, Bundessteuern und Bundesminister, organische
Zusammenfügung des preußischen (engeren) mit dem norddeutschen (erweiter¬
ten) Reichstag." -- Endlich schüttet Treitschke die volle Schaale seines


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platten Lande leistungsfähige Communalverbände herzustellen, als subfidiären,
mehr aristokratischen Selbstverwaltungskörpern eine Kreisordnung in der Ge¬
stalt, wie sie die nationalliberale Partei während der letzten Landtagssession
zu amendiren versucht hat, lebendig zu machen, die Provinzialverwaltung theils
bureaukratisch vereinfacht, theils durch die Mitwirkung volksthümlicher Ele¬
mente regenerirt in corporativer Selbständigkeit und landschaftlicher Beson¬
derheit zu erhalten — dies erscheinen dem Verfasser als die großen Ziele
liberal schöpferischer Politik. Wohl wesentlich um der Vollständigkeit des
Programms halber schaltet Treitschke hier ein lebhaft empfundenes Wort ge¬
gen die schädliche Verwahrlosung des preußischen Unterrichtswesens ein, das,
so wahr es ist, doch eigentlich einem anderen Ideenkreise angehört.

Der Schluß des Aufsatzes führt uns aus die volle Höhe des nationalen
Gesichtspunktes zurück, wo des Verfassers schriftstellerische Kraft sich in ihrer
ganzen gedankenreichen Fülle und patriotischen Energie immer neu entfaltet.
„Wer den Einheitsstaat und die Selbstverwaltung starker Provinzen als die
Staatsform der Zukunft ansieht, der muß Preußens monarchische und mili¬
tärische Ueberlieferungen schonen.... Nur wer sich auf conservative Mächte
stützt, vermag eine Einheitsbewegung zu leiten .... Wenn spätere Geschlechter
dereinst zurückschauen aus die großen Kämpfe unserer Tage, so werden sie
uns nicht fragen: was habt ihr gethan, um den oder jenen Paragraphen des
Rotteck-Welcker'schen Staatslexieons zu verwirklichen? — Sie werden fragen:
was thätet ihr, um den alten Adel des deutschen Wesens wieder zu erwecken
aus dem Neid und der Lüge, dem Zank und der Zuchtlosigkeit der
Kleinstaaterei? Der norddeutsche Bundesstaat ist ein werdender Einheits¬
staat, dessen Entwickelungsgang denselben Gesetzen entspricht, nach denen
Preußens Staatseinheit sich im 18. Jahrhundert vollendete. „Schon ent¬
wickeln sich in den Kleinstaaten des Nordens mit unheimlicher Schnelligkeit
krankhafte Zustände, welche wahrhaftig nicht darauf hindeuten, daß der
Bund diesem verkommenen Gemeinwesen frische Lebenskraft schenken werde."
Wenn auch Angesichts derselben früher oder später selbst die ungeheure
Rechtlichkeit der Deutschen sich zurückbesinnen wird auf das klare Recht jedes
Staatsund jeder Nation, dem öffentlichen Interesse, der Sittlichkeit und Ord¬
nung des Daseins schädliche Rechte im Wege der Expropriation zu beseitigen,
so muß die nationale Politik doch auf die sanguinische Hoffnung einer raschen
und glatten Mediatisirung der kleinen Kronen verzichten, sich damit begnü¬
gen, ihre Landeshoheit nach und nach unschädlich, unhaltbar zu machen durch
stetigen Ausbau der Bundesverfassung, Gemeinsamkeit des Rechts, des Pro¬
cesses, der Gerichtsverfassung, Bundessteuern und Bundesminister, organische
Zusammenfügung des preußischen (engeren) mit dem norddeutschen (erweiter¬
ten) Reichstag." — Endlich schüttet Treitschke die volle Schaale seines


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[0337] platten Lande leistungsfähige Communalverbände herzustellen, als subfidiären, mehr aristokratischen Selbstverwaltungskörpern eine Kreisordnung in der Ge¬ stalt, wie sie die nationalliberale Partei während der letzten Landtagssession zu amendiren versucht hat, lebendig zu machen, die Provinzialverwaltung theils bureaukratisch vereinfacht, theils durch die Mitwirkung volksthümlicher Ele¬ mente regenerirt in corporativer Selbständigkeit und landschaftlicher Beson¬ derheit zu erhalten — dies erscheinen dem Verfasser als die großen Ziele liberal schöpferischer Politik. Wohl wesentlich um der Vollständigkeit des Programms halber schaltet Treitschke hier ein lebhaft empfundenes Wort ge¬ gen die schädliche Verwahrlosung des preußischen Unterrichtswesens ein, das, so wahr es ist, doch eigentlich einem anderen Ideenkreise angehört. Der Schluß des Aufsatzes führt uns aus die volle Höhe des nationalen Gesichtspunktes zurück, wo des Verfassers schriftstellerische Kraft sich in ihrer ganzen gedankenreichen Fülle und patriotischen Energie immer neu entfaltet. „Wer den Einheitsstaat und die Selbstverwaltung starker Provinzen als die Staatsform der Zukunft ansieht, der muß Preußens monarchische und mili¬ tärische Ueberlieferungen schonen.... Nur wer sich auf conservative Mächte stützt, vermag eine Einheitsbewegung zu leiten .... Wenn spätere Geschlechter dereinst zurückschauen aus die großen Kämpfe unserer Tage, so werden sie uns nicht fragen: was habt ihr gethan, um den oder jenen Paragraphen des Rotteck-Welcker'schen Staatslexieons zu verwirklichen? — Sie werden fragen: was thätet ihr, um den alten Adel des deutschen Wesens wieder zu erwecken aus dem Neid und der Lüge, dem Zank und der Zuchtlosigkeit der Kleinstaaterei? Der norddeutsche Bundesstaat ist ein werdender Einheits¬ staat, dessen Entwickelungsgang denselben Gesetzen entspricht, nach denen Preußens Staatseinheit sich im 18. Jahrhundert vollendete. „Schon ent¬ wickeln sich in den Kleinstaaten des Nordens mit unheimlicher Schnelligkeit krankhafte Zustände, welche wahrhaftig nicht darauf hindeuten, daß der Bund diesem verkommenen Gemeinwesen frische Lebenskraft schenken werde." Wenn auch Angesichts derselben früher oder später selbst die ungeheure Rechtlichkeit der Deutschen sich zurückbesinnen wird auf das klare Recht jedes Staatsund jeder Nation, dem öffentlichen Interesse, der Sittlichkeit und Ord¬ nung des Daseins schädliche Rechte im Wege der Expropriation zu beseitigen, so muß die nationale Politik doch auf die sanguinische Hoffnung einer raschen und glatten Mediatisirung der kleinen Kronen verzichten, sich damit begnü¬ gen, ihre Landeshoheit nach und nach unschädlich, unhaltbar zu machen durch stetigen Ausbau der Bundesverfassung, Gemeinsamkeit des Rechts, des Pro¬ cesses, der Gerichtsverfassung, Bundessteuern und Bundesminister, organische Zusammenfügung des preußischen (engeren) mit dem norddeutschen (erweiter¬ ten) Reichstag." — Endlich schüttet Treitschke die volle Schaale seines 42*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/337>, abgerufen am 29.06.2024.