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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Verfassung durch königliche Ordonnanz; sie ist in ihrer konstitutionellen Be¬
gründung durch das jährliche Budgetgesetz eine juristische Verkehrtheit, da die
meisten Ausgaben des Staats auf älteren unabhängigen Rechtstiteln beruhen.
Das Budgetrecht- der preußischen Verfassung mit dem anscheinend unbeschränk¬
ten Ausgabeverweigerungsrecht, der vorgeschriebenen legislativen 'Einigung
der drei Factoren über das ganze Budget und der Forterhebung der laufen¬
den Steuern ist eine Musterkarte politischer Jnconvenienzen. Nach Treitschke
ist aus diesem verfahrenen Constitutionalismus nur herauszukommen durch
jenen Plan, der einst Karl Mathy in der Paulskirche vertrat: Theilung
des Budgets durch Absonderung der permanenten, gesetzlich feststehenden Aus¬
gaben und Einnahmen von den beweglichen Posten, Verstärkung der letzteren
durch Einführung einer beweglichen directen Steuer, formelle parlamentarische
Prüfung seiner Titel, freie Bewilligung dieser beweglichen Posten. "Das un¬
beschränkte Steuerverweigerungsrecht ist eine Utopie, nur das beschränkte ist
eine reale Macht. Die Geldverlegenheit auch des reichsten Mannes hängt
bekanntlich immer an den letzten hundert Thalern, die ihm gerade fehlen."

In dem letzten Abschnitte der eigentlich konstitutionellen Betrachtungen
weist endlich unser Autor nachdrücklich auf diejenigen großen Fragen hin,
welche sich fruchtbarer für den Parlamentarismus und verheißungsvoller für
die Harmonie zwischen Verfassung und Verwaltung, als jene falschen Ideale,
auch nach der geforderten Resignation dem Liberalismus zur Einsetzung seiner
ganzen Kraft eröffnen. Es handelt sich um die Richtung und die erreich¬
baren Ziele des Problems einer freien Verwaltung mit dem Unterbau com-
munalen und provinziellen Selfgovernments. Die Gesichtspunkte, von denen
Treitschke ausgeht, sind folgende: Eine hochgesteigerte Thätigkeit der Gesetz¬
gebung hat den leeren Raum, auf welchem sich die Willkür der Ministerial-
gewalt mit ihren Verordnungen und Regulativen rechtlos herumtummelt,
durch umfassende öffentliche Rechtsnormen auszufüllen und zu schließen. Die
Gerichtsbarkeit in Sachen des öffentlichen Rechts ist dem Ministerium abzu¬
nehmen und Verwaltungstribunalen zu übertragen. Nicht den Kreisrichtern.
Die zuversichtliche Phrase, daß, wer über Leben und Tod eines Bürgers ent¬
scheiden darf, doch wohl auch über die Aenderung der Grenzen eines land-
räthlichen Kreises und ähnliche Bagatellen entscheiden könne, wird durch die
treffende Gegenfrage abgefertigt: ist der Mann, dem ich getrost das Urtheil
über Leben und Tod überlasse, darum wirklich auch am besten geeignet, ein
Paar Stiefeln zu bauen oder eine technologische Abhandlung zu schreiben?
Die parlamentarische Controle über die Verwaltung ist thunlichst zu verstär¬
ken durch Ermöglichung parlamentarischer Anklage aller einflußreichen Beam¬
ten vor einem Staatsgerichtshöfe. Für die deutsche Selbstverwaltung liegt
der Schwerpunkt ebenso in der Gemeinde, wie in der Provinz. Auf dem


Verfassung durch königliche Ordonnanz; sie ist in ihrer konstitutionellen Be¬
gründung durch das jährliche Budgetgesetz eine juristische Verkehrtheit, da die
meisten Ausgaben des Staats auf älteren unabhängigen Rechtstiteln beruhen.
Das Budgetrecht- der preußischen Verfassung mit dem anscheinend unbeschränk¬
ten Ausgabeverweigerungsrecht, der vorgeschriebenen legislativen 'Einigung
der drei Factoren über das ganze Budget und der Forterhebung der laufen¬
den Steuern ist eine Musterkarte politischer Jnconvenienzen. Nach Treitschke
ist aus diesem verfahrenen Constitutionalismus nur herauszukommen durch
jenen Plan, der einst Karl Mathy in der Paulskirche vertrat: Theilung
des Budgets durch Absonderung der permanenten, gesetzlich feststehenden Aus¬
gaben und Einnahmen von den beweglichen Posten, Verstärkung der letzteren
durch Einführung einer beweglichen directen Steuer, formelle parlamentarische
Prüfung seiner Titel, freie Bewilligung dieser beweglichen Posten. „Das un¬
beschränkte Steuerverweigerungsrecht ist eine Utopie, nur das beschränkte ist
eine reale Macht. Die Geldverlegenheit auch des reichsten Mannes hängt
bekanntlich immer an den letzten hundert Thalern, die ihm gerade fehlen."

In dem letzten Abschnitte der eigentlich konstitutionellen Betrachtungen
weist endlich unser Autor nachdrücklich auf diejenigen großen Fragen hin,
welche sich fruchtbarer für den Parlamentarismus und verheißungsvoller für
die Harmonie zwischen Verfassung und Verwaltung, als jene falschen Ideale,
auch nach der geforderten Resignation dem Liberalismus zur Einsetzung seiner
ganzen Kraft eröffnen. Es handelt sich um die Richtung und die erreich¬
baren Ziele des Problems einer freien Verwaltung mit dem Unterbau com-
munalen und provinziellen Selfgovernments. Die Gesichtspunkte, von denen
Treitschke ausgeht, sind folgende: Eine hochgesteigerte Thätigkeit der Gesetz¬
gebung hat den leeren Raum, auf welchem sich die Willkür der Ministerial-
gewalt mit ihren Verordnungen und Regulativen rechtlos herumtummelt,
durch umfassende öffentliche Rechtsnormen auszufüllen und zu schließen. Die
Gerichtsbarkeit in Sachen des öffentlichen Rechts ist dem Ministerium abzu¬
nehmen und Verwaltungstribunalen zu übertragen. Nicht den Kreisrichtern.
Die zuversichtliche Phrase, daß, wer über Leben und Tod eines Bürgers ent¬
scheiden darf, doch wohl auch über die Aenderung der Grenzen eines land-
räthlichen Kreises und ähnliche Bagatellen entscheiden könne, wird durch die
treffende Gegenfrage abgefertigt: ist der Mann, dem ich getrost das Urtheil
über Leben und Tod überlasse, darum wirklich auch am besten geeignet, ein
Paar Stiefeln zu bauen oder eine technologische Abhandlung zu schreiben?
Die parlamentarische Controle über die Verwaltung ist thunlichst zu verstär¬
ken durch Ermöglichung parlamentarischer Anklage aller einflußreichen Beam¬
ten vor einem Staatsgerichtshöfe. Für die deutsche Selbstverwaltung liegt
der Schwerpunkt ebenso in der Gemeinde, wie in der Provinz. Auf dem


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[0336] Verfassung durch königliche Ordonnanz; sie ist in ihrer konstitutionellen Be¬ gründung durch das jährliche Budgetgesetz eine juristische Verkehrtheit, da die meisten Ausgaben des Staats auf älteren unabhängigen Rechtstiteln beruhen. Das Budgetrecht- der preußischen Verfassung mit dem anscheinend unbeschränk¬ ten Ausgabeverweigerungsrecht, der vorgeschriebenen legislativen 'Einigung der drei Factoren über das ganze Budget und der Forterhebung der laufen¬ den Steuern ist eine Musterkarte politischer Jnconvenienzen. Nach Treitschke ist aus diesem verfahrenen Constitutionalismus nur herauszukommen durch jenen Plan, der einst Karl Mathy in der Paulskirche vertrat: Theilung des Budgets durch Absonderung der permanenten, gesetzlich feststehenden Aus¬ gaben und Einnahmen von den beweglichen Posten, Verstärkung der letzteren durch Einführung einer beweglichen directen Steuer, formelle parlamentarische Prüfung seiner Titel, freie Bewilligung dieser beweglichen Posten. „Das un¬ beschränkte Steuerverweigerungsrecht ist eine Utopie, nur das beschränkte ist eine reale Macht. Die Geldverlegenheit auch des reichsten Mannes hängt bekanntlich immer an den letzten hundert Thalern, die ihm gerade fehlen." In dem letzten Abschnitte der eigentlich konstitutionellen Betrachtungen weist endlich unser Autor nachdrücklich auf diejenigen großen Fragen hin, welche sich fruchtbarer für den Parlamentarismus und verheißungsvoller für die Harmonie zwischen Verfassung und Verwaltung, als jene falschen Ideale, auch nach der geforderten Resignation dem Liberalismus zur Einsetzung seiner ganzen Kraft eröffnen. Es handelt sich um die Richtung und die erreich¬ baren Ziele des Problems einer freien Verwaltung mit dem Unterbau com- munalen und provinziellen Selfgovernments. Die Gesichtspunkte, von denen Treitschke ausgeht, sind folgende: Eine hochgesteigerte Thätigkeit der Gesetz¬ gebung hat den leeren Raum, auf welchem sich die Willkür der Ministerial- gewalt mit ihren Verordnungen und Regulativen rechtlos herumtummelt, durch umfassende öffentliche Rechtsnormen auszufüllen und zu schließen. Die Gerichtsbarkeit in Sachen des öffentlichen Rechts ist dem Ministerium abzu¬ nehmen und Verwaltungstribunalen zu übertragen. Nicht den Kreisrichtern. Die zuversichtliche Phrase, daß, wer über Leben und Tod eines Bürgers ent¬ scheiden darf, doch wohl auch über die Aenderung der Grenzen eines land- räthlichen Kreises und ähnliche Bagatellen entscheiden könne, wird durch die treffende Gegenfrage abgefertigt: ist der Mann, dem ich getrost das Urtheil über Leben und Tod überlasse, darum wirklich auch am besten geeignet, ein Paar Stiefeln zu bauen oder eine technologische Abhandlung zu schreiben? Die parlamentarische Controle über die Verwaltung ist thunlichst zu verstär¬ ken durch Ermöglichung parlamentarischer Anklage aller einflußreichen Beam¬ ten vor einem Staatsgerichtshöfe. Für die deutsche Selbstverwaltung liegt der Schwerpunkt ebenso in der Gemeinde, wie in der Provinz. Auf dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/336>, abgerufen am 29.06.2024.