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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Menschennatur nicht zuviel zumuthen heißt, jenen einzigen Aufwand natio¬
naler Leidenschaft gegen die unsäglichen Leiden fremdherrlicher Tyrannei
zu einer gemeingiltigen politischen Anschauungsweise erheben zu wollen. Wir
überweisen einer anderen Feder die hier reichlich gebotene Gelegenheit bedächtiger
Kritik. Schließlich wird in diesen Fragen das Wort Maechiavelli's alle¬
zeit die letzte Weisheit enthalten: jeder Krieg ist gerecht, der nothwendig ist
und es sind fromme Waffen, auf denen des Volkes letzte Hoffnung ruht.
Wer so, wie unser Verfasser, mit der ganzen Seele von dem Gedanken durch¬
drungen ist, daß die nationale Einheit erkämpft werden muß, daß die
kriegerische Kraft die Voraussetzung aller politischen Tugenden und das Heer
das mächtigste Werkzeug des nationalen Gedankens, dem mag es wohl an¬
stehen, dem Kriegshandwerk eine ideelle Seite abzugewinnen, wie sie diesem
sonst nur in der Dichtung und der Volkssage beiwohnt. Hier genügt es,
die praktische Conclusion dieser schwungvollen Vordersätze zu verzeichnen,
daß nach Treitschke's Ansicht die gesetzliche Ordnung des Heerwesens in einem
Wehrgesetze anzustreben sei, das neben dem Umfange der Wehrpflicht, dem
Verhältniß von Linie und Landwehr die durchschnittliche jährliche Friedens¬
stärke ein für allemal, von jedem ministeriellen oder parlamentarischen Be¬
lieben unabhängig, dauernd regete. Nach einem solchergestalt vereinbarten
Wehrgesetz würden sich dann weitere berechtigte Reformbedürfnisse,. wie die
Umgestaltung der Militärgerichtsbarkeit leichter befriedigen lassen.

Gegenüber der weitverbreiteten Meinung, die Tage des monarchischen
Beamtenthums seien gezählt, es habe sich nach und nach auf den
Altentheil zurückzuziehen vor der zu ihren Jahren gekommenen Gemeinde,
vertritt Treitschke die Ansicht: ein zahlreiches monarchisches Soldbeamten-
thum bleibt für die deutsche Verwaltung eine Nothwendigkeit; nur muß
die staatswissenschaftliche Vorbildung des Personals eine bessere, die Unter-
werfung der Amtswillkür unter rechtliche Schranken eine durchgreifendere
und die Ergänzung der bureaukratischen Administration durch ein zusammen¬
hängendes System der Selbstverwaltung eine allgemeinere werden. -- Hier,
bei der Frage der Ergänzung, ist unzweifelhaft ein weiter Spielraum für
Mehr und Minder gegeben, und grade darauf kommt in diesen Dingen
Alles an. Die Gefahr einer zu schwächlichen Ergänzung scheint unendlich
näher zu liegen, als die einer zu radicalen Zerstörung. Die Institutionen
der Selbstverwaltung ruhen in ihrem letzten Grunde auf moralischen Eigen¬
schaften der Bürger, welche sich durch das Gesetz so wenig schaffen lassen,
wie die Tugenden der Selbstbeherrschung oder des Opferwillens. Sehr ele¬
mentare Kräfte unserer modernen Gesellschaft, aus industriellen Mittelclassen
und aus besitzlosen Arbeitermassen, arbeiten dahin, den Umfang der Staats¬
gewalt und die Ausdehnung des Berufsbeamtenthums zu erweitern. Dennoch


Menschennatur nicht zuviel zumuthen heißt, jenen einzigen Aufwand natio¬
naler Leidenschaft gegen die unsäglichen Leiden fremdherrlicher Tyrannei
zu einer gemeingiltigen politischen Anschauungsweise erheben zu wollen. Wir
überweisen einer anderen Feder die hier reichlich gebotene Gelegenheit bedächtiger
Kritik. Schließlich wird in diesen Fragen das Wort Maechiavelli's alle¬
zeit die letzte Weisheit enthalten: jeder Krieg ist gerecht, der nothwendig ist
und es sind fromme Waffen, auf denen des Volkes letzte Hoffnung ruht.
Wer so, wie unser Verfasser, mit der ganzen Seele von dem Gedanken durch¬
drungen ist, daß die nationale Einheit erkämpft werden muß, daß die
kriegerische Kraft die Voraussetzung aller politischen Tugenden und das Heer
das mächtigste Werkzeug des nationalen Gedankens, dem mag es wohl an¬
stehen, dem Kriegshandwerk eine ideelle Seite abzugewinnen, wie sie diesem
sonst nur in der Dichtung und der Volkssage beiwohnt. Hier genügt es,
die praktische Conclusion dieser schwungvollen Vordersätze zu verzeichnen,
daß nach Treitschke's Ansicht die gesetzliche Ordnung des Heerwesens in einem
Wehrgesetze anzustreben sei, das neben dem Umfange der Wehrpflicht, dem
Verhältniß von Linie und Landwehr die durchschnittliche jährliche Friedens¬
stärke ein für allemal, von jedem ministeriellen oder parlamentarischen Be¬
lieben unabhängig, dauernd regete. Nach einem solchergestalt vereinbarten
Wehrgesetz würden sich dann weitere berechtigte Reformbedürfnisse,. wie die
Umgestaltung der Militärgerichtsbarkeit leichter befriedigen lassen.

Gegenüber der weitverbreiteten Meinung, die Tage des monarchischen
Beamtenthums seien gezählt, es habe sich nach und nach auf den
Altentheil zurückzuziehen vor der zu ihren Jahren gekommenen Gemeinde,
vertritt Treitschke die Ansicht: ein zahlreiches monarchisches Soldbeamten-
thum bleibt für die deutsche Verwaltung eine Nothwendigkeit; nur muß
die staatswissenschaftliche Vorbildung des Personals eine bessere, die Unter-
werfung der Amtswillkür unter rechtliche Schranken eine durchgreifendere
und die Ergänzung der bureaukratischen Administration durch ein zusammen¬
hängendes System der Selbstverwaltung eine allgemeinere werden. — Hier,
bei der Frage der Ergänzung, ist unzweifelhaft ein weiter Spielraum für
Mehr und Minder gegeben, und grade darauf kommt in diesen Dingen
Alles an. Die Gefahr einer zu schwächlichen Ergänzung scheint unendlich
näher zu liegen, als die einer zu radicalen Zerstörung. Die Institutionen
der Selbstverwaltung ruhen in ihrem letzten Grunde auf moralischen Eigen¬
schaften der Bürger, welche sich durch das Gesetz so wenig schaffen lassen,
wie die Tugenden der Selbstbeherrschung oder des Opferwillens. Sehr ele¬
mentare Kräfte unserer modernen Gesellschaft, aus industriellen Mittelclassen
und aus besitzlosen Arbeitermassen, arbeiten dahin, den Umfang der Staats¬
gewalt und die Ausdehnung des Berufsbeamtenthums zu erweitern. Dennoch


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[0332] Menschennatur nicht zuviel zumuthen heißt, jenen einzigen Aufwand natio¬ naler Leidenschaft gegen die unsäglichen Leiden fremdherrlicher Tyrannei zu einer gemeingiltigen politischen Anschauungsweise erheben zu wollen. Wir überweisen einer anderen Feder die hier reichlich gebotene Gelegenheit bedächtiger Kritik. Schließlich wird in diesen Fragen das Wort Maechiavelli's alle¬ zeit die letzte Weisheit enthalten: jeder Krieg ist gerecht, der nothwendig ist und es sind fromme Waffen, auf denen des Volkes letzte Hoffnung ruht. Wer so, wie unser Verfasser, mit der ganzen Seele von dem Gedanken durch¬ drungen ist, daß die nationale Einheit erkämpft werden muß, daß die kriegerische Kraft die Voraussetzung aller politischen Tugenden und das Heer das mächtigste Werkzeug des nationalen Gedankens, dem mag es wohl an¬ stehen, dem Kriegshandwerk eine ideelle Seite abzugewinnen, wie sie diesem sonst nur in der Dichtung und der Volkssage beiwohnt. Hier genügt es, die praktische Conclusion dieser schwungvollen Vordersätze zu verzeichnen, daß nach Treitschke's Ansicht die gesetzliche Ordnung des Heerwesens in einem Wehrgesetze anzustreben sei, das neben dem Umfange der Wehrpflicht, dem Verhältniß von Linie und Landwehr die durchschnittliche jährliche Friedens¬ stärke ein für allemal, von jedem ministeriellen oder parlamentarischen Be¬ lieben unabhängig, dauernd regete. Nach einem solchergestalt vereinbarten Wehrgesetz würden sich dann weitere berechtigte Reformbedürfnisse,. wie die Umgestaltung der Militärgerichtsbarkeit leichter befriedigen lassen. Gegenüber der weitverbreiteten Meinung, die Tage des monarchischen Beamtenthums seien gezählt, es habe sich nach und nach auf den Altentheil zurückzuziehen vor der zu ihren Jahren gekommenen Gemeinde, vertritt Treitschke die Ansicht: ein zahlreiches monarchisches Soldbeamten- thum bleibt für die deutsche Verwaltung eine Nothwendigkeit; nur muß die staatswissenschaftliche Vorbildung des Personals eine bessere, die Unter- werfung der Amtswillkür unter rechtliche Schranken eine durchgreifendere und die Ergänzung der bureaukratischen Administration durch ein zusammen¬ hängendes System der Selbstverwaltung eine allgemeinere werden. — Hier, bei der Frage der Ergänzung, ist unzweifelhaft ein weiter Spielraum für Mehr und Minder gegeben, und grade darauf kommt in diesen Dingen Alles an. Die Gefahr einer zu schwächlichen Ergänzung scheint unendlich näher zu liegen, als die einer zu radicalen Zerstörung. Die Institutionen der Selbstverwaltung ruhen in ihrem letzten Grunde auf moralischen Eigen¬ schaften der Bürger, welche sich durch das Gesetz so wenig schaffen lassen, wie die Tugenden der Selbstbeherrschung oder des Opferwillens. Sehr ele¬ mentare Kräfte unserer modernen Gesellschaft, aus industriellen Mittelclassen und aus besitzlosen Arbeitermassen, arbeiten dahin, den Umfang der Staats¬ gewalt und die Ausdehnung des Berufsbeamtenthums zu erweitern. Dennoch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/332>, abgerufen am 29.06.2024.