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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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sociale Begehrlichkeit. Die Monarchie hat unserem verwilderten Volke ein
menschenwürdiges Gemeinwesen gegründet", den Staat dem Worte, wie dem
Wesen nach geschaffen, unseren Vätern zurückgegeben, und doch zugleich die
Fundamente deutscher Freiheit, die communale Selbstverwaltung sowohl neu
gegründet, wie neu belebt. "Das englische Königthum, das Nichts schaden
und Nichts schaffen kann, als Vorbild ausstellen für uns Deutsche, die wir
eine lebenskräftige, nicht durch Stuartsünden und Welfenthorheit entweihte
Krone besitzen -- das heißt einem gesunden Manne zumuthen, er solle sich
ein Bein abschneiden, um dann mit einem meisterhaft gearbeiteten Stelzfuß
einherzuprunken." . . , "Wir brauchen ein starkes Königthum, um die krie¬
gerische Action zu leiten, welche der Ausbau unseres Staates schließlich doch
verlangen wird. Wir bedürfen seiner, um eine kühne nationale Staatskunst
zu führen. Nur ein König kann den Haß ertragen", den die deutsche Po¬
litik noch auf lange hinaus von dem Particularismus, wie von der Demo-
kratie auf sich zu laden hat. "So lange nicht eine unerhörte Pflichtver¬
letzung uns in eine Bahn hineinzwingt, die unserer Geschichte zuwiderläuft,
ebensolange bleibt es sündlich, auch nur durch doctrinäre Wünsche das An¬
sehen der Krone zu erschüttern, die den deutschen Staat geschaffen hat und
vollenden soll."

Deshalb verlangt Treitschke als positive und conservative Zugeständ¬
nisse, daß wir rückhaltslos anerkennen in unserem Staate ein freies, willens¬
kräftiges Königthum, gestützt auf ein mächtiges nationales Heerwesen, auf
ein einflußreiches Beamtenthum, ein Königthum, das in selner souveränen Hoheit
über ständischen Gegensätzen und socialen Classeninteressen berufen und be¬
fähigt ist, den Adel mit dem werthvollen Besitz seiner militärisch-politischen Tra¬
ditionen dem Gemeinwesen zu erhalten, und in die seiner Leistungsfähigkeit
entsprechende Ordnung einzureihen, wie den vierten Stand zur vollen materiel¬
len und intellectuellen Rechtsfähigkeit zu erheben, wie endlich den gesell¬
schaftlichen und konfessionellen Frieden, die Freiheit des geistigen Lebens
unserem Volke zu bewahren.

Was der Verfasser dem bürgerlichen Liberalismus zur Rechtfertigung
seiner militärisch-constitutionellen Forderungen entgegenhält, gehört zu den
Prächtigsten, aber auch anfechtbarsten Seiten des Aufsatzes. Getrieben von
dem Widerwillen eines mannhaften Herzens gegen die miserablen Friedens¬
verherrlichungen der Manschesterleute spricht Treitschke von der Majestät des
Krieges, selner praktischen, theoretischen, logischen, sittlichen Nothwendig¬
keit mit einem so vollen Pathos hinreichender Beredsamkeit, daß jeder Ver¬
such einer Paraphrase scheitern muß. So hat ein Fichte zu seiner Nation
geredet, und so etwa hat das preußische Volk in den Freiheitskriegen empfun¬
den. Die naheliegende Frage soll hier nicht aufgeworfen werden, ob es der


sociale Begehrlichkeit. Die Monarchie hat unserem verwilderten Volke ein
menschenwürdiges Gemeinwesen gegründet", den Staat dem Worte, wie dem
Wesen nach geschaffen, unseren Vätern zurückgegeben, und doch zugleich die
Fundamente deutscher Freiheit, die communale Selbstverwaltung sowohl neu
gegründet, wie neu belebt. „Das englische Königthum, das Nichts schaden
und Nichts schaffen kann, als Vorbild ausstellen für uns Deutsche, die wir
eine lebenskräftige, nicht durch Stuartsünden und Welfenthorheit entweihte
Krone besitzen — das heißt einem gesunden Manne zumuthen, er solle sich
ein Bein abschneiden, um dann mit einem meisterhaft gearbeiteten Stelzfuß
einherzuprunken." . . , „Wir brauchen ein starkes Königthum, um die krie¬
gerische Action zu leiten, welche der Ausbau unseres Staates schließlich doch
verlangen wird. Wir bedürfen seiner, um eine kühne nationale Staatskunst
zu führen. Nur ein König kann den Haß ertragen", den die deutsche Po¬
litik noch auf lange hinaus von dem Particularismus, wie von der Demo-
kratie auf sich zu laden hat. „So lange nicht eine unerhörte Pflichtver¬
letzung uns in eine Bahn hineinzwingt, die unserer Geschichte zuwiderläuft,
ebensolange bleibt es sündlich, auch nur durch doctrinäre Wünsche das An¬
sehen der Krone zu erschüttern, die den deutschen Staat geschaffen hat und
vollenden soll."

Deshalb verlangt Treitschke als positive und conservative Zugeständ¬
nisse, daß wir rückhaltslos anerkennen in unserem Staate ein freies, willens¬
kräftiges Königthum, gestützt auf ein mächtiges nationales Heerwesen, auf
ein einflußreiches Beamtenthum, ein Königthum, das in selner souveränen Hoheit
über ständischen Gegensätzen und socialen Classeninteressen berufen und be¬
fähigt ist, den Adel mit dem werthvollen Besitz seiner militärisch-politischen Tra¬
ditionen dem Gemeinwesen zu erhalten, und in die seiner Leistungsfähigkeit
entsprechende Ordnung einzureihen, wie den vierten Stand zur vollen materiel¬
len und intellectuellen Rechtsfähigkeit zu erheben, wie endlich den gesell¬
schaftlichen und konfessionellen Frieden, die Freiheit des geistigen Lebens
unserem Volke zu bewahren.

Was der Verfasser dem bürgerlichen Liberalismus zur Rechtfertigung
seiner militärisch-constitutionellen Forderungen entgegenhält, gehört zu den
Prächtigsten, aber auch anfechtbarsten Seiten des Aufsatzes. Getrieben von
dem Widerwillen eines mannhaften Herzens gegen die miserablen Friedens¬
verherrlichungen der Manschesterleute spricht Treitschke von der Majestät des
Krieges, selner praktischen, theoretischen, logischen, sittlichen Nothwendig¬
keit mit einem so vollen Pathos hinreichender Beredsamkeit, daß jeder Ver¬
such einer Paraphrase scheitern muß. So hat ein Fichte zu seiner Nation
geredet, und so etwa hat das preußische Volk in den Freiheitskriegen empfun¬
den. Die naheliegende Frage soll hier nicht aufgeworfen werden, ob es der


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[0331] sociale Begehrlichkeit. Die Monarchie hat unserem verwilderten Volke ein menschenwürdiges Gemeinwesen gegründet", den Staat dem Worte, wie dem Wesen nach geschaffen, unseren Vätern zurückgegeben, und doch zugleich die Fundamente deutscher Freiheit, die communale Selbstverwaltung sowohl neu gegründet, wie neu belebt. „Das englische Königthum, das Nichts schaden und Nichts schaffen kann, als Vorbild ausstellen für uns Deutsche, die wir eine lebenskräftige, nicht durch Stuartsünden und Welfenthorheit entweihte Krone besitzen — das heißt einem gesunden Manne zumuthen, er solle sich ein Bein abschneiden, um dann mit einem meisterhaft gearbeiteten Stelzfuß einherzuprunken." . . , „Wir brauchen ein starkes Königthum, um die krie¬ gerische Action zu leiten, welche der Ausbau unseres Staates schließlich doch verlangen wird. Wir bedürfen seiner, um eine kühne nationale Staatskunst zu führen. Nur ein König kann den Haß ertragen", den die deutsche Po¬ litik noch auf lange hinaus von dem Particularismus, wie von der Demo- kratie auf sich zu laden hat. „So lange nicht eine unerhörte Pflichtver¬ letzung uns in eine Bahn hineinzwingt, die unserer Geschichte zuwiderläuft, ebensolange bleibt es sündlich, auch nur durch doctrinäre Wünsche das An¬ sehen der Krone zu erschüttern, die den deutschen Staat geschaffen hat und vollenden soll." Deshalb verlangt Treitschke als positive und conservative Zugeständ¬ nisse, daß wir rückhaltslos anerkennen in unserem Staate ein freies, willens¬ kräftiges Königthum, gestützt auf ein mächtiges nationales Heerwesen, auf ein einflußreiches Beamtenthum, ein Königthum, das in selner souveränen Hoheit über ständischen Gegensätzen und socialen Classeninteressen berufen und be¬ fähigt ist, den Adel mit dem werthvollen Besitz seiner militärisch-politischen Tra¬ ditionen dem Gemeinwesen zu erhalten, und in die seiner Leistungsfähigkeit entsprechende Ordnung einzureihen, wie den vierten Stand zur vollen materiel¬ len und intellectuellen Rechtsfähigkeit zu erheben, wie endlich den gesell¬ schaftlichen und konfessionellen Frieden, die Freiheit des geistigen Lebens unserem Volke zu bewahren. Was der Verfasser dem bürgerlichen Liberalismus zur Rechtfertigung seiner militärisch-constitutionellen Forderungen entgegenhält, gehört zu den Prächtigsten, aber auch anfechtbarsten Seiten des Aufsatzes. Getrieben von dem Widerwillen eines mannhaften Herzens gegen die miserablen Friedens¬ verherrlichungen der Manschesterleute spricht Treitschke von der Majestät des Krieges, selner praktischen, theoretischen, logischen, sittlichen Nothwendig¬ keit mit einem so vollen Pathos hinreichender Beredsamkeit, daß jeder Ver¬ such einer Paraphrase scheitern muß. So hat ein Fichte zu seiner Nation geredet, und so etwa hat das preußische Volk in den Freiheitskriegen empfun¬ den. Die naheliegende Frage soll hier nicht aufgeworfen werden, ob es der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/331>, abgerufen am 29.06.2024.