Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.hängen geradezu alle entscheidenden Probleme, die man unter dem unbe¬ Ob der Adel zu den berechtigten conservativen Elementen der con- hängen geradezu alle entscheidenden Probleme, die man unter dem unbe¬ Ob der Adel zu den berechtigten conservativen Elementen der con- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0333" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123421"/> <p xml:id="ID_927" prev="#ID_926"> hängen geradezu alle entscheidenden Probleme, die man unter dem unbe¬<lb/> stimmten Begriff „Verwaltungsreform" zusammenzufassen liebt, die Regene¬<lb/> ration des Gemeindelebens in Stadt und Land, die rechtliche Regelung der<lb/> administrativen Competenz gegenüber dem Bereich des geordneten Rechts¬<lb/> wegs, die endliche Verwirklichung einer greifbaren Amtsverantwortlichkeit,<lb/> die Regeneration des Beamtentums selbst lediglich davon ab, ob es gelingt,<lb/> die Bureaukratie in großen Zügen abzulösen. Von dieser Bureaukratie gibt<lb/> das alte Dilemma: sint, ut sunt, ant von sint! Sie steckt in dem unge¬<lb/> heuerlichen Apparat der ministeriellen Centralbehörden, in den unförmlichen,<lb/> aller wahrhaft collegialen Organisation längst beraubten Verwaltungskörpern<lb/> der Bezirksregierungen, in dem verdorbenen Institut der Staatsanwaltschaft,<lb/> in dem gesummten Unwesen der in Kirche und Schule waltenden Staats¬<lb/> behörden. Das preußische Beamtenthum besitzt unstreitig auch heute noch in<lb/> seinem Bestände eine Fülle von Talenten und eine nicht geringe Zahl Staats'<lb/> tüchtiger Charaktere. Dies kann aber nur den Fernstehenden täuschen über<lb/> die tiefen unheilbaren Schäden, welche die Verwüstungen des Parteitreibens<lb/> in den schlimmen Zeiten der Jahre 1850—58, 1862—66 im Zusammenhange<lb/> mit der schleichenden Krankheit des 1'douneur sans ar^ent dem eigentlichen<lb/> Stamm unserer Staatsdienerschaft zugefügt haben. Die einmal verlorene<lb/> Unschuld der politischen Parteilosigkeit ist für immer verloren. Dasjenige<lb/> deutsche Königthum, welches unserem Autor vorschwebt, muß seine Stütze<lb/> durchaus nicht in der Quantität, sondern in- der Qualität eines wenig zahl¬<lb/> reichen, gesund organisirten, volkstümlichen Staatsbeamtenthums suchen.<lb/> Die Masse der heutigen Bureaukratie ist keine Stärke, sondern eine bedenk¬<lb/> liche Schwäche sowohl für die Krone, wie für die Volksfreiheit.</p><lb/> <p xml:id="ID_928" next="#ID_929"> Ob der Adel zu den berechtigten conservativen Elementen der con-<lb/> stitutionellen Monarchie in Deutschland gezählt werden darf, und ob H. von<lb/> Treitschke ihn dahin zählt, erscheint mir zweifelhaft. Was den preußischen<lb/> Grundadel betrifft, der hierbei zunächst in Frage steht, so kann von einem<lb/> ständischen Gegensatze zwischen ihm und dem Bürgerthum nur so weit ge¬<lb/> sprochen werden, als der Adel noch Standesvorrechte für sich in Anspruch<lb/> nimmt. Dem Adel seine werthvollen Familientraditionen, seine historischen<lb/> Verdienste um den Staat, seine gesellschaftliche Bildung, seine mit der<lb/> Grundherrschaft entwickelten Verwaltungsroutine und alle sich hieraus er¬<lb/> gebenden günstigen Chancen in der freien Mitbewerbung staatlicher Ehren<lb/> und Arbeiten verkümmern oder mißgönnen zu wollen, liegt der liberalen<lb/> bürgerlichen Intelligenz im Ganzen fern. Was unser Verfasser in dieser Be¬<lb/> ziehung hervorhebt, wird wenig Widerspruch erfahren. Der Gegensatz fängt<lb/> erst da an, wo der Adel weit über jene traditionell-socialen Titel hinaus<lb/> selbstsüchtig Dinge sich anmaßt, die ihm schlechterdings nicht zukommen, sei</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0333]
hängen geradezu alle entscheidenden Probleme, die man unter dem unbe¬
stimmten Begriff „Verwaltungsreform" zusammenzufassen liebt, die Regene¬
ration des Gemeindelebens in Stadt und Land, die rechtliche Regelung der
administrativen Competenz gegenüber dem Bereich des geordneten Rechts¬
wegs, die endliche Verwirklichung einer greifbaren Amtsverantwortlichkeit,
die Regeneration des Beamtentums selbst lediglich davon ab, ob es gelingt,
die Bureaukratie in großen Zügen abzulösen. Von dieser Bureaukratie gibt
das alte Dilemma: sint, ut sunt, ant von sint! Sie steckt in dem unge¬
heuerlichen Apparat der ministeriellen Centralbehörden, in den unförmlichen,
aller wahrhaft collegialen Organisation längst beraubten Verwaltungskörpern
der Bezirksregierungen, in dem verdorbenen Institut der Staatsanwaltschaft,
in dem gesummten Unwesen der in Kirche und Schule waltenden Staats¬
behörden. Das preußische Beamtenthum besitzt unstreitig auch heute noch in
seinem Bestände eine Fülle von Talenten und eine nicht geringe Zahl Staats'
tüchtiger Charaktere. Dies kann aber nur den Fernstehenden täuschen über
die tiefen unheilbaren Schäden, welche die Verwüstungen des Parteitreibens
in den schlimmen Zeiten der Jahre 1850—58, 1862—66 im Zusammenhange
mit der schleichenden Krankheit des 1'douneur sans ar^ent dem eigentlichen
Stamm unserer Staatsdienerschaft zugefügt haben. Die einmal verlorene
Unschuld der politischen Parteilosigkeit ist für immer verloren. Dasjenige
deutsche Königthum, welches unserem Autor vorschwebt, muß seine Stütze
durchaus nicht in der Quantität, sondern in- der Qualität eines wenig zahl¬
reichen, gesund organisirten, volkstümlichen Staatsbeamtenthums suchen.
Die Masse der heutigen Bureaukratie ist keine Stärke, sondern eine bedenk¬
liche Schwäche sowohl für die Krone, wie für die Volksfreiheit.
Ob der Adel zu den berechtigten conservativen Elementen der con-
stitutionellen Monarchie in Deutschland gezählt werden darf, und ob H. von
Treitschke ihn dahin zählt, erscheint mir zweifelhaft. Was den preußischen
Grundadel betrifft, der hierbei zunächst in Frage steht, so kann von einem
ständischen Gegensatze zwischen ihm und dem Bürgerthum nur so weit ge¬
sprochen werden, als der Adel noch Standesvorrechte für sich in Anspruch
nimmt. Dem Adel seine werthvollen Familientraditionen, seine historischen
Verdienste um den Staat, seine gesellschaftliche Bildung, seine mit der
Grundherrschaft entwickelten Verwaltungsroutine und alle sich hieraus er¬
gebenden günstigen Chancen in der freien Mitbewerbung staatlicher Ehren
und Arbeiten verkümmern oder mißgönnen zu wollen, liegt der liberalen
bürgerlichen Intelligenz im Ganzen fern. Was unser Verfasser in dieser Be¬
ziehung hervorhebt, wird wenig Widerspruch erfahren. Der Gegensatz fängt
erst da an, wo der Adel weit über jene traditionell-socialen Titel hinaus
selbstsüchtig Dinge sich anmaßt, die ihm schlechterdings nicht zukommen, sei
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