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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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so absonderlich ungemüthliche und ungeschliffene Formen erhält und jene poli¬
tische Schicklichkeit nicht aufkommen läßt, welche den englischen Royalismus
aller Parteien so gut kleidet.

Freilich, wer als Preuße die Stimmungen der letzten Jahrzehnte durch¬
lebte, wird die Ansicht nicht theilen, daß das Königthum Preußens in Ge¬
fahr sei, durch die Unarten des Liberalismus allzusehr eingeengt zu werden.
Denn die Unarten der Opposition sind nichts als ein schwaches Gegenbild der
großen und sür ein Mannesherz unerträglichen Unarten und Verkehrtheiten,
welche die absolute Monarchie in den Regierenden großgezogen hatte. Das
mit aller Machtfülle ausgestattete Königthum mit seiner Bureaukratie war
unfähig geworden, die Ehre Preußens gegen das Ausland, Stolz und In¬
teressen der Staatsbürger zu vertreten. Die Achtung vor Gesetz und Recht
war nirgend schwächer geworden, als in der regierenden Coterie namenloser,
welche die Herrschaft des Königthums beeinflußten, und der Kampf des Libe¬
ralismus ist seit dem Jahr 1848 für die Preußen in der Hauptsache doch nur
dahin gegangen, an Stelle der Herren von Hinkeldey und Westphalen, der
Herren v. Muster und Grafen Eulenburg, so wie der regierenden Generalad¬
jutanten und anderer Einflüsse des patriarchalen Regiments die Herrschaft des
Gesetzes zu stellen. Und kein Liberaler soll vergessen, daß die Männer, welche
allzu eifrig, zunftmeisterltch oder grob auf ihrem Schein, den Paragraphen
eines mühsam erkämpften Gesetzes gestanden haben, lange bis aufs Blut ge¬
reizt und in ihrem ehrlichen Rechtsgefühl jämmerlich verletzt waren durch Ge¬
waltacte und unablässige Uebergriffe der regierenden Gegner. Im Ganzen
darf der preußische Liberalismus sich das Zeugniß ausstellen, daß er vor¬
zugsweise für die Würde und Dauer der Monarchie kämpft, wenn er seine
Herrscher aus den Traditionen Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. zu
erheben und ihr Königthum auf eine sichere gesetzliche Basis zu stellen sucht.

Ueber diese Aufgabe des preußischen Königthums sagt H. von Treitschke
Folgendes:

"Von dem Augenblicke an, da die preußisch-brandenburgische Monarchie
neu gegründet ward, bis zu der Stunde, da der Wille König Wilhelms
den norddeutschen Bund ins Leben rief, diese zwei Jahrhunderte hindurch
hat der deutsche Staat unwandelbar denselben Vertreter gehabt: die Krone
der Hohenzollern mit ihrem Heere -- und dieselben vier mächtigen Feinde:
den Neid des Auslandes, die Eifersucht des Hauses Oestreich, die kümmerliche
Selbstsucht der Particularisten, endlich und vor allen jene anarchische Gesin¬
nung, die sich einst mit dem Namen der deutschen Libertät brüstete, bald den
Ritterhut des adligen Landstandes, bald die rothe Mütze des Demagogen
auf ihr Haupt setzte, und doch unter tausend Verkleidungen immer das gleiche
Wesen zeigte: den Haß gegen jede ernsthafte sociale Ordnung, die zügellose


so absonderlich ungemüthliche und ungeschliffene Formen erhält und jene poli¬
tische Schicklichkeit nicht aufkommen läßt, welche den englischen Royalismus
aller Parteien so gut kleidet.

Freilich, wer als Preuße die Stimmungen der letzten Jahrzehnte durch¬
lebte, wird die Ansicht nicht theilen, daß das Königthum Preußens in Ge¬
fahr sei, durch die Unarten des Liberalismus allzusehr eingeengt zu werden.
Denn die Unarten der Opposition sind nichts als ein schwaches Gegenbild der
großen und sür ein Mannesherz unerträglichen Unarten und Verkehrtheiten,
welche die absolute Monarchie in den Regierenden großgezogen hatte. Das
mit aller Machtfülle ausgestattete Königthum mit seiner Bureaukratie war
unfähig geworden, die Ehre Preußens gegen das Ausland, Stolz und In¬
teressen der Staatsbürger zu vertreten. Die Achtung vor Gesetz und Recht
war nirgend schwächer geworden, als in der regierenden Coterie namenloser,
welche die Herrschaft des Königthums beeinflußten, und der Kampf des Libe¬
ralismus ist seit dem Jahr 1848 für die Preußen in der Hauptsache doch nur
dahin gegangen, an Stelle der Herren von Hinkeldey und Westphalen, der
Herren v. Muster und Grafen Eulenburg, so wie der regierenden Generalad¬
jutanten und anderer Einflüsse des patriarchalen Regiments die Herrschaft des
Gesetzes zu stellen. Und kein Liberaler soll vergessen, daß die Männer, welche
allzu eifrig, zunftmeisterltch oder grob auf ihrem Schein, den Paragraphen
eines mühsam erkämpften Gesetzes gestanden haben, lange bis aufs Blut ge¬
reizt und in ihrem ehrlichen Rechtsgefühl jämmerlich verletzt waren durch Ge¬
waltacte und unablässige Uebergriffe der regierenden Gegner. Im Ganzen
darf der preußische Liberalismus sich das Zeugniß ausstellen, daß er vor¬
zugsweise für die Würde und Dauer der Monarchie kämpft, wenn er seine
Herrscher aus den Traditionen Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. zu
erheben und ihr Königthum auf eine sichere gesetzliche Basis zu stellen sucht.

Ueber diese Aufgabe des preußischen Königthums sagt H. von Treitschke
Folgendes:

„Von dem Augenblicke an, da die preußisch-brandenburgische Monarchie
neu gegründet ward, bis zu der Stunde, da der Wille König Wilhelms
den norddeutschen Bund ins Leben rief, diese zwei Jahrhunderte hindurch
hat der deutsche Staat unwandelbar denselben Vertreter gehabt: die Krone
der Hohenzollern mit ihrem Heere — und dieselben vier mächtigen Feinde:
den Neid des Auslandes, die Eifersucht des Hauses Oestreich, die kümmerliche
Selbstsucht der Particularisten, endlich und vor allen jene anarchische Gesin¬
nung, die sich einst mit dem Namen der deutschen Libertät brüstete, bald den
Ritterhut des adligen Landstandes, bald die rothe Mütze des Demagogen
auf ihr Haupt setzte, und doch unter tausend Verkleidungen immer das gleiche
Wesen zeigte: den Haß gegen jede ernsthafte sociale Ordnung, die zügellose


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/330>, abgerufen am 29.06.2024.