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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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gleich gerecht werden. Und noch weniger wird es den Patrioten küm¬
mern, ob des Verfassers Gedanken nach der herkömmlichen Sprechweise
unserer politischen Tagesliteratur mehr als konservative, denn als liberale
zu kennzeichnen, oder welchem landesüblichen Parteiprogramm sie sonst
einzuschmeicheln sind. Ein Mann, wie H. v. Treitschke, kann sich mei¬
nes Bedünkens getrost auch einmal dem Verdachte aussetzen, in anderem
Geiste liberal zu sein, als dies gewisse parlamentarische Fractionen gelten zu
lassen übereingekommen sind.

Es war in der That an der Zeit, daß ein Mann von dem Ansehen
und der glänzenden Beredsamkeit unseres Verfassers die Bedeutung des
preußischen Königthums wieder mit der vollen Wucht ernster politischer
Ueberzeugung und eines tiefen historischen Gedankens den Parteien entgegen¬
hielt. Das innere Verhältniß der preußischen Liberalen zur Monarchie
bedarf bereits der Läuterung. Wie die Dinge heutzutage liegen, ist ein
Unterschied wesentlicher grundsätzlicher Art zwischen Fortschrittspartei und
Nationalliberalen kaum noch findbar, nachdem das allgemeine directe Wahl¬
recht aufgehört hat, Postulat zu sein, und die Bundesverfassung angefangen
hat, auch den entschlossensten Fortschritt in ihre Kreise zu bannen. Uebrig
geblieben sind als unterscheidende Merkmale Verschiedenheiten des Tempera-
ments, der Stimmungen und Verstimmungen, eine größere oder geringere
Fähigkeit, alte persönliche Gegnerschaft zu vergessen, sich mit neuen That¬
sachen und neuen Menschen gedanklich abzufinden. Damit hängt aber zu¬
sammen, daß unter dem weiten Schirmdach nationaler Parteibildung auch
manche zweifelhafte Elemente Platz gefunden haben, deren nationale Legi¬
timität in einer gewissen Nackenbeugung vor dem Grafen Bismarck und eini¬
gem Annexionseifer besteht, deren Liberalismus aber so unverkennbar ver¬
dorbenes radicales Geblüt auch jetzt noch in den Adern trägt, daß sie in
Fragen des preußischen Verfassungslebens füglich den feindseligen Geistern
des Königthums zugezählt werden müssen. Sobald bei irgend einer großen
oder kleinen Angelegenheit der Staatsverwaltung die Veranlassung sich
darbietet, hört man aus diesen Reihen leicht Redewendungen von so ma߬
loser Art, Töne von so schriller Heftigkeit gegen die königliche Gewalt, als
sollte das Kriegsbeil der Conflictszeit flugs wieder ausgegraben werden.
Der Trotz der legislativen Volksrechte, der souveränen Volksgewalt bricht
durch den nationalliberalen Firniß rückhaltslos durch, und die Monarchie mit
ihren Räthen wird rauh zurückgeworfen auf den precären Rechtstitel der
Charte. Es gibt sicherlich auch im politischen Leben Flegeljahre, die manche
Formlosigkeiten und Unerzogenheiten entschuldigen. Hier ist es aber zu¬
weilen ein Mangel an sittlichem Ernst, an historischem Gefühl hochgesinnter
Vaterlandsliebe, der in den Beziehungen dieser Liberalen zur Monarchie
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gleich gerecht werden. Und noch weniger wird es den Patrioten küm¬
mern, ob des Verfassers Gedanken nach der herkömmlichen Sprechweise
unserer politischen Tagesliteratur mehr als konservative, denn als liberale
zu kennzeichnen, oder welchem landesüblichen Parteiprogramm sie sonst
einzuschmeicheln sind. Ein Mann, wie H. v. Treitschke, kann sich mei¬
nes Bedünkens getrost auch einmal dem Verdachte aussetzen, in anderem
Geiste liberal zu sein, als dies gewisse parlamentarische Fractionen gelten zu
lassen übereingekommen sind.

Es war in der That an der Zeit, daß ein Mann von dem Ansehen
und der glänzenden Beredsamkeit unseres Verfassers die Bedeutung des
preußischen Königthums wieder mit der vollen Wucht ernster politischer
Ueberzeugung und eines tiefen historischen Gedankens den Parteien entgegen¬
hielt. Das innere Verhältniß der preußischen Liberalen zur Monarchie
bedarf bereits der Läuterung. Wie die Dinge heutzutage liegen, ist ein
Unterschied wesentlicher grundsätzlicher Art zwischen Fortschrittspartei und
Nationalliberalen kaum noch findbar, nachdem das allgemeine directe Wahl¬
recht aufgehört hat, Postulat zu sein, und die Bundesverfassung angefangen
hat, auch den entschlossensten Fortschritt in ihre Kreise zu bannen. Uebrig
geblieben sind als unterscheidende Merkmale Verschiedenheiten des Tempera-
ments, der Stimmungen und Verstimmungen, eine größere oder geringere
Fähigkeit, alte persönliche Gegnerschaft zu vergessen, sich mit neuen That¬
sachen und neuen Menschen gedanklich abzufinden. Damit hängt aber zu¬
sammen, daß unter dem weiten Schirmdach nationaler Parteibildung auch
manche zweifelhafte Elemente Platz gefunden haben, deren nationale Legi¬
timität in einer gewissen Nackenbeugung vor dem Grafen Bismarck und eini¬
gem Annexionseifer besteht, deren Liberalismus aber so unverkennbar ver¬
dorbenes radicales Geblüt auch jetzt noch in den Adern trägt, daß sie in
Fragen des preußischen Verfassungslebens füglich den feindseligen Geistern
des Königthums zugezählt werden müssen. Sobald bei irgend einer großen
oder kleinen Angelegenheit der Staatsverwaltung die Veranlassung sich
darbietet, hört man aus diesen Reihen leicht Redewendungen von so ma߬
loser Art, Töne von so schriller Heftigkeit gegen die königliche Gewalt, als
sollte das Kriegsbeil der Conflictszeit flugs wieder ausgegraben werden.
Der Trotz der legislativen Volksrechte, der souveränen Volksgewalt bricht
durch den nationalliberalen Firniß rückhaltslos durch, und die Monarchie mit
ihren Räthen wird rauh zurückgeworfen auf den precären Rechtstitel der
Charte. Es gibt sicherlich auch im politischen Leben Flegeljahre, die manche
Formlosigkeiten und Unerzogenheiten entschuldigen. Hier ist es aber zu¬
weilen ein Mangel an sittlichem Ernst, an historischem Gefühl hochgesinnter
Vaterlandsliebe, der in den Beziehungen dieser Liberalen zur Monarchie
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/329>, abgerufen am 28.09.2024.