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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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scheut, in kühn vorwärts drängender Bewegung begeisternd entrollt. Ver¬
suchen wir dies muthig ausgesteckte Wahrzeichen zu deuten, ob wir ihm auch
nicht in alle Wege folgen können.

Der Aussatz hebt an wie eine vergleichende konstitutionelle Studie,
der es daran gelegen ist, aus der inneren Geschichte des preußischen Staats
und seiner Verfassung die nothwendigen, unverrückbaren, conservativen Grund¬
lagen dieses Gemeinwesens, die unaustilgbare Bedeutung seines historischen
Königthums und die hierdurch gegebenen Schranken der konstitutionell-parla¬
mentarischen Ansprüche zu entwickeln, um am Schlüsse daraus hinzuweisen,
daß nur diese starke, selbstbewußte, mit Hoheitsrechten reichlich ausgestattete
Monarchie die nationale Einheit nordwärts wie südwärts des Main zu ver¬
wirklichen im Stande sei. Irre ich mich darin, wenn ich solchem synthetischen
Aufbau als den wirklich treibenden Pulsschlag des Politikers die umgekehrte
Folge der Betrachtungen unterstelle? Ihm ist der Gedanke der Einheit
Deutschlands so erhaben, groß und einfach, daß er jede andere Idee der
Zeit in ihren Dienst zwingt; der Hort unserer Einheit ist ihm das
deutsche Königthum; zu diesem müssen wir zusammenstehen in Manns¬
zucht und Selbstbeschränkung; uns ziemt es nicht, den tausend und tausend
glitzernden Freiheitswünschen, die dies Zeitalter der Revolutionen durch¬
flattern, begehrlich nachzujagen; unsere sorgenfreieren Nachkommen mögen dann
dereinst den deutschen Staat ausschmücken mit einer volleren Entfaltung der
Ideen parlamentarischer Freiheit. Deshalb muß die monarchische Gewalt
im preußisch-deutschen Staate erhalten bleiben im Zusammenhange ihrer
historischen Continuität, muß sie frei bleiben von solchen konstitutionellen Zu-
muthungen, die von verkehrten geschichtlichen Voraussetzungen ausgehend das
Wesen und die Kraft des deutschen Königthums verderben würden, und des¬
halb hat der Liberalismus sich einer ernsten Selbstprüfung zu unterziehen,
damit aus dem Wirrwarr diffusester konstitutioneller Conflicte ein gesunder
verfassungsmäßiger Ausgleich zwischen der im Königthum wurzelnden Staats¬
macht und der deutschen Freiheit endlich gewonnen werde. Die Unterordnung
der konstitutionellen Frage unter die nationale, das Voranstellen des natio¬
nalen Berufs unserer Hohenzollernmonarchie vor dem konstitutionellen, dies,
was die Geschichte des Jahres 1866 zur thatsächlichen Erscheinung gebracht
hat, auch in den bewußten Anschauungen der Zeitgenossen zur geistigen
Durcharbeitung zu bringen erscheint als die stille Tendenz des Aufsatzes
und als der ideelle Gesichtspunkt, von welchem aus die Einzelheiten der
Ausführung zu würdigen sind. Denn von solchem Gesichtspunkte aus ver¬
schlägt es in der That wenig, ob die Modalitäten jenes konstitutionellen
Ausgleichs den beiden in der Völkergeschichte fast niemals zur vollen Aus¬
söhnung gekommenen Gewalten der Macht und Freiheit in jedem Punkte


scheut, in kühn vorwärts drängender Bewegung begeisternd entrollt. Ver¬
suchen wir dies muthig ausgesteckte Wahrzeichen zu deuten, ob wir ihm auch
nicht in alle Wege folgen können.

Der Aussatz hebt an wie eine vergleichende konstitutionelle Studie,
der es daran gelegen ist, aus der inneren Geschichte des preußischen Staats
und seiner Verfassung die nothwendigen, unverrückbaren, conservativen Grund¬
lagen dieses Gemeinwesens, die unaustilgbare Bedeutung seines historischen
Königthums und die hierdurch gegebenen Schranken der konstitutionell-parla¬
mentarischen Ansprüche zu entwickeln, um am Schlüsse daraus hinzuweisen,
daß nur diese starke, selbstbewußte, mit Hoheitsrechten reichlich ausgestattete
Monarchie die nationale Einheit nordwärts wie südwärts des Main zu ver¬
wirklichen im Stande sei. Irre ich mich darin, wenn ich solchem synthetischen
Aufbau als den wirklich treibenden Pulsschlag des Politikers die umgekehrte
Folge der Betrachtungen unterstelle? Ihm ist der Gedanke der Einheit
Deutschlands so erhaben, groß und einfach, daß er jede andere Idee der
Zeit in ihren Dienst zwingt; der Hort unserer Einheit ist ihm das
deutsche Königthum; zu diesem müssen wir zusammenstehen in Manns¬
zucht und Selbstbeschränkung; uns ziemt es nicht, den tausend und tausend
glitzernden Freiheitswünschen, die dies Zeitalter der Revolutionen durch¬
flattern, begehrlich nachzujagen; unsere sorgenfreieren Nachkommen mögen dann
dereinst den deutschen Staat ausschmücken mit einer volleren Entfaltung der
Ideen parlamentarischer Freiheit. Deshalb muß die monarchische Gewalt
im preußisch-deutschen Staate erhalten bleiben im Zusammenhange ihrer
historischen Continuität, muß sie frei bleiben von solchen konstitutionellen Zu-
muthungen, die von verkehrten geschichtlichen Voraussetzungen ausgehend das
Wesen und die Kraft des deutschen Königthums verderben würden, und des¬
halb hat der Liberalismus sich einer ernsten Selbstprüfung zu unterziehen,
damit aus dem Wirrwarr diffusester konstitutioneller Conflicte ein gesunder
verfassungsmäßiger Ausgleich zwischen der im Königthum wurzelnden Staats¬
macht und der deutschen Freiheit endlich gewonnen werde. Die Unterordnung
der konstitutionellen Frage unter die nationale, das Voranstellen des natio¬
nalen Berufs unserer Hohenzollernmonarchie vor dem konstitutionellen, dies,
was die Geschichte des Jahres 1866 zur thatsächlichen Erscheinung gebracht
hat, auch in den bewußten Anschauungen der Zeitgenossen zur geistigen
Durcharbeitung zu bringen erscheint als die stille Tendenz des Aufsatzes
und als der ideelle Gesichtspunkt, von welchem aus die Einzelheiten der
Ausführung zu würdigen sind. Denn von solchem Gesichtspunkte aus ver¬
schlägt es in der That wenig, ob die Modalitäten jenes konstitutionellen
Ausgleichs den beiden in der Völkergeschichte fast niemals zur vollen Aus¬
söhnung gekommenen Gewalten der Macht und Freiheit in jedem Punkte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/328>, abgerufen am 15.01.2025.