Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Staaten gegenüber noch auf weit länger gebunden ist, als es mit England
der Fall ist, so z. B. was den Zollverein betrifft, noch bis 1867. Entweder
also müßten diese Staaten freiwillig in die Erhöhung des französischen Ta¬
rifs für ihre Waaren willigen, was nicht anzunehmen ist, oder Frankreich
müßte England, wenn es jetzt den Vertrag von 1860 kündigte, bis zum Ab¬
lauf aller anderen Verträge diffcrentiell nachtheilig behandeln, was ebenso
unthunlich, wenn man mit demselben überhaupt in guten Beziehungen
bleiben will. Die ganze Debatte war also blos ein großes oratorisches
Prineipienturnier und in demselben fiel, obwohl die Sachlage entschieden gegen
sie sprach, das beste Theil den Schutzzöllnern zu, weil die Minister nur lau
und unentschieden auftraten, die eigentliche Vertheidigung, des neuen Re¬
gime aber dem früheren Minister Forsade und dem unabhängigen Mitglied
der Linken Jules Simon zufiel. Neben dem englischen Vertrag handelte es
sich bekanntlich hauptsächlich um die ministeriellen Decrete über die ac<iuits a
og.ut.ion. In der Sache hatte der Handelsminister unbedingt Recht, die Art,
in der diese Vergünstigungen der französischen Industrie ertheilt wurden, war
vertragswidrig und finanziell unvortheilhaft und hat bekanntlich schon 1868
zu einer eingehenden Beschwerdedebatte im deutschen Zollparlament geführt.
Nach dem Art. 6. des deutsch-französischen Handelsvertrags sollten die bet
der Ausfuhr französischer Erzeugnisse bewilligten Ausfuhrvergütigungen genau
nur die inneren Steuern ersetzen, die auf den gedachten Erzeugnissen oder
auf den Stoffen, aus denen dieselben verfertigt werden, ruhen. Dasselbe gilt
für den Zollverein. Die Voraussetzung dieser Bestimmung war die bisherige
französische und deutsche Praxis, wonach solche Vergütungen nur bei Iden¬
tität der Waare bewilligt wurden. Es durfte also z. B. ein französischer
Fabrikant Roheisen zollfrei einführen, um es in französischen Werkstätten zu
eisernen Schiffen, Maschinen oder Geräthen zur Ausfuhr zu verarbeiten, aber
er mußte bei der Ausfuhr nachweisen, daß das fragliche Fabrikat aus dem
identischen eingeführten Eisen hergestellt sei. Seit 1862 ward es aber Regel,
daß der Importeur nicht mehr den Nachweis zu führen hatte, er selbst habe
die zollfrei eingeführten Rohstoffe und Halbfabrikate verarbeitet und ausgeführt.
Die Folge war, daß ein Fabrikant im Elsaß, obwohl dort nur französische
Rohstoffe verarbeitet werden, sich eine Anweisung auf Zollerlaß geben lassen,
und diese nach Havre verkaufen konnte, der Käufer seinerseits konnte den
Schein nach Belieben benutzen oder weiter verkaufen. Dies Regime begün¬
stigte also gewisse Fabrikanten sehr, benachtheiligte aber die Rohstoffproducen¬
ten ebenso wie die auswärtigen Concurrenten und belastete vor allem die
französischen Finanzen, die den Zollausfall zu tragen hatten, in steigender
Progression. Die Abschaffung dieses Mißbrauchs war daher gewiß geboten


Staaten gegenüber noch auf weit länger gebunden ist, als es mit England
der Fall ist, so z. B. was den Zollverein betrifft, noch bis 1867. Entweder
also müßten diese Staaten freiwillig in die Erhöhung des französischen Ta¬
rifs für ihre Waaren willigen, was nicht anzunehmen ist, oder Frankreich
müßte England, wenn es jetzt den Vertrag von 1860 kündigte, bis zum Ab¬
lauf aller anderen Verträge diffcrentiell nachtheilig behandeln, was ebenso
unthunlich, wenn man mit demselben überhaupt in guten Beziehungen
bleiben will. Die ganze Debatte war also blos ein großes oratorisches
Prineipienturnier und in demselben fiel, obwohl die Sachlage entschieden gegen
sie sprach, das beste Theil den Schutzzöllnern zu, weil die Minister nur lau
und unentschieden auftraten, die eigentliche Vertheidigung, des neuen Re¬
gime aber dem früheren Minister Forsade und dem unabhängigen Mitglied
der Linken Jules Simon zufiel. Neben dem englischen Vertrag handelte es
sich bekanntlich hauptsächlich um die ministeriellen Decrete über die ac<iuits a
og.ut.ion. In der Sache hatte der Handelsminister unbedingt Recht, die Art,
in der diese Vergünstigungen der französischen Industrie ertheilt wurden, war
vertragswidrig und finanziell unvortheilhaft und hat bekanntlich schon 1868
zu einer eingehenden Beschwerdedebatte im deutschen Zollparlament geführt.
Nach dem Art. 6. des deutsch-französischen Handelsvertrags sollten die bet
der Ausfuhr französischer Erzeugnisse bewilligten Ausfuhrvergütigungen genau
nur die inneren Steuern ersetzen, die auf den gedachten Erzeugnissen oder
auf den Stoffen, aus denen dieselben verfertigt werden, ruhen. Dasselbe gilt
für den Zollverein. Die Voraussetzung dieser Bestimmung war die bisherige
französische und deutsche Praxis, wonach solche Vergütungen nur bei Iden¬
tität der Waare bewilligt wurden. Es durfte also z. B. ein französischer
Fabrikant Roheisen zollfrei einführen, um es in französischen Werkstätten zu
eisernen Schiffen, Maschinen oder Geräthen zur Ausfuhr zu verarbeiten, aber
er mußte bei der Ausfuhr nachweisen, daß das fragliche Fabrikat aus dem
identischen eingeführten Eisen hergestellt sei. Seit 1862 ward es aber Regel,
daß der Importeur nicht mehr den Nachweis zu führen hatte, er selbst habe
die zollfrei eingeführten Rohstoffe und Halbfabrikate verarbeitet und ausgeführt.
Die Folge war, daß ein Fabrikant im Elsaß, obwohl dort nur französische
Rohstoffe verarbeitet werden, sich eine Anweisung auf Zollerlaß geben lassen,
und diese nach Havre verkaufen konnte, der Käufer seinerseits konnte den
Schein nach Belieben benutzen oder weiter verkaufen. Dies Regime begün¬
stigte also gewisse Fabrikanten sehr, benachtheiligte aber die Rohstoffproducen¬
ten ebenso wie die auswärtigen Concurrenten und belastete vor allem die
französischen Finanzen, die den Zollausfall zu tragen hatten, in steigender
Progression. Die Abschaffung dieses Mißbrauchs war daher gewiß geboten


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0320" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123408"/>
          <p xml:id="ID_897" prev="#ID_896" next="#ID_898"> Staaten gegenüber noch auf weit länger gebunden ist, als es mit England<lb/>
der Fall ist, so z. B. was den Zollverein betrifft, noch bis 1867. Entweder<lb/>
also müßten diese Staaten freiwillig in die Erhöhung des französischen Ta¬<lb/>
rifs für ihre Waaren willigen, was nicht anzunehmen ist, oder Frankreich<lb/>
müßte England, wenn es jetzt den Vertrag von 1860 kündigte, bis zum Ab¬<lb/>
lauf aller anderen Verträge diffcrentiell nachtheilig behandeln, was ebenso<lb/>
unthunlich, wenn man mit demselben überhaupt in guten Beziehungen<lb/>
bleiben will. Die ganze Debatte war also blos ein großes oratorisches<lb/>
Prineipienturnier und in demselben fiel, obwohl die Sachlage entschieden gegen<lb/>
sie sprach, das beste Theil den Schutzzöllnern zu, weil die Minister nur lau<lb/>
und unentschieden auftraten, die eigentliche Vertheidigung, des neuen Re¬<lb/>
gime aber dem früheren Minister Forsade und dem unabhängigen Mitglied<lb/>
der Linken Jules Simon zufiel. Neben dem englischen Vertrag handelte es<lb/>
sich bekanntlich hauptsächlich um die ministeriellen Decrete über die ac&lt;iuits a<lb/>
og.ut.ion. In der Sache hatte der Handelsminister unbedingt Recht, die Art,<lb/>
in der diese Vergünstigungen der französischen Industrie ertheilt wurden, war<lb/>
vertragswidrig und finanziell unvortheilhaft und hat bekanntlich schon 1868<lb/>
zu einer eingehenden Beschwerdedebatte im deutschen Zollparlament geführt.<lb/>
Nach dem Art. 6. des deutsch-französischen Handelsvertrags sollten die bet<lb/>
der Ausfuhr französischer Erzeugnisse bewilligten Ausfuhrvergütigungen genau<lb/>
nur die inneren Steuern ersetzen, die auf den gedachten Erzeugnissen oder<lb/>
auf den Stoffen, aus denen dieselben verfertigt werden, ruhen. Dasselbe gilt<lb/>
für den Zollverein. Die Voraussetzung dieser Bestimmung war die bisherige<lb/>
französische und deutsche Praxis, wonach solche Vergütungen nur bei Iden¬<lb/>
tität der Waare bewilligt wurden. Es durfte also z. B. ein französischer<lb/>
Fabrikant Roheisen zollfrei einführen, um es in französischen Werkstätten zu<lb/>
eisernen Schiffen, Maschinen oder Geräthen zur Ausfuhr zu verarbeiten, aber<lb/>
er mußte bei der Ausfuhr nachweisen, daß das fragliche Fabrikat aus dem<lb/>
identischen eingeführten Eisen hergestellt sei. Seit 1862 ward es aber Regel,<lb/>
daß der Importeur nicht mehr den Nachweis zu führen hatte, er selbst habe<lb/>
die zollfrei eingeführten Rohstoffe und Halbfabrikate verarbeitet und ausgeführt.<lb/>
Die Folge war, daß ein Fabrikant im Elsaß, obwohl dort nur französische<lb/>
Rohstoffe verarbeitet werden, sich eine Anweisung auf Zollerlaß geben lassen,<lb/>
und diese nach Havre verkaufen konnte, der Käufer seinerseits konnte den<lb/>
Schein nach Belieben benutzen oder weiter verkaufen. Dies Regime begün¬<lb/>
stigte also gewisse Fabrikanten sehr, benachtheiligte aber die Rohstoffproducen¬<lb/>
ten ebenso wie die auswärtigen Concurrenten und belastete vor allem die<lb/>
französischen Finanzen, die den Zollausfall zu tragen hatten, in steigender<lb/>
Progression. Die Abschaffung dieses Mißbrauchs war daher gewiß geboten</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0320] Staaten gegenüber noch auf weit länger gebunden ist, als es mit England der Fall ist, so z. B. was den Zollverein betrifft, noch bis 1867. Entweder also müßten diese Staaten freiwillig in die Erhöhung des französischen Ta¬ rifs für ihre Waaren willigen, was nicht anzunehmen ist, oder Frankreich müßte England, wenn es jetzt den Vertrag von 1860 kündigte, bis zum Ab¬ lauf aller anderen Verträge diffcrentiell nachtheilig behandeln, was ebenso unthunlich, wenn man mit demselben überhaupt in guten Beziehungen bleiben will. Die ganze Debatte war also blos ein großes oratorisches Prineipienturnier und in demselben fiel, obwohl die Sachlage entschieden gegen sie sprach, das beste Theil den Schutzzöllnern zu, weil die Minister nur lau und unentschieden auftraten, die eigentliche Vertheidigung, des neuen Re¬ gime aber dem früheren Minister Forsade und dem unabhängigen Mitglied der Linken Jules Simon zufiel. Neben dem englischen Vertrag handelte es sich bekanntlich hauptsächlich um die ministeriellen Decrete über die ac<iuits a og.ut.ion. In der Sache hatte der Handelsminister unbedingt Recht, die Art, in der diese Vergünstigungen der französischen Industrie ertheilt wurden, war vertragswidrig und finanziell unvortheilhaft und hat bekanntlich schon 1868 zu einer eingehenden Beschwerdedebatte im deutschen Zollparlament geführt. Nach dem Art. 6. des deutsch-französischen Handelsvertrags sollten die bet der Ausfuhr französischer Erzeugnisse bewilligten Ausfuhrvergütigungen genau nur die inneren Steuern ersetzen, die auf den gedachten Erzeugnissen oder auf den Stoffen, aus denen dieselben verfertigt werden, ruhen. Dasselbe gilt für den Zollverein. Die Voraussetzung dieser Bestimmung war die bisherige französische und deutsche Praxis, wonach solche Vergütungen nur bei Iden¬ tität der Waare bewilligt wurden. Es durfte also z. B. ein französischer Fabrikant Roheisen zollfrei einführen, um es in französischen Werkstätten zu eisernen Schiffen, Maschinen oder Geräthen zur Ausfuhr zu verarbeiten, aber er mußte bei der Ausfuhr nachweisen, daß das fragliche Fabrikat aus dem identischen eingeführten Eisen hergestellt sei. Seit 1862 ward es aber Regel, daß der Importeur nicht mehr den Nachweis zu führen hatte, er selbst habe die zollfrei eingeführten Rohstoffe und Halbfabrikate verarbeitet und ausgeführt. Die Folge war, daß ein Fabrikant im Elsaß, obwohl dort nur französische Rohstoffe verarbeitet werden, sich eine Anweisung auf Zollerlaß geben lassen, und diese nach Havre verkaufen konnte, der Käufer seinerseits konnte den Schein nach Belieben benutzen oder weiter verkaufen. Dies Regime begün¬ stigte also gewisse Fabrikanten sehr, benachtheiligte aber die Rohstoffproducen¬ ten ebenso wie die auswärtigen Concurrenten und belastete vor allem die französischen Finanzen, die den Zollausfall zu tragen hatten, in steigender Progression. Die Abschaffung dieses Mißbrauchs war daher gewiß geboten

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/320
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/320>, abgerufen am 29.06.2024.