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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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die andere, praktisch vielleicht noch schlimmere zur Seite, daß die ganze Ein¬
richtung, wenn ihre Veränderung von fernen vielbeschäftigten Instanzen ab¬
hängt, erstarre? Wäre es nicht ein ebenso grundloser als verhängnißvoller
Schritt rückwärts von der glücklich herbeigeführten Selbstverwaltung, wenn
man die Vertragsbasis wieder in eine Gesetzesbasis umschüfe?

Es ist indessen muthmaßlich gar nicht die Meinung Hallbauers, der wir
hier entgegentreten, die Meinung dieses erklärten Urwalds der Selbstver¬
waltung, sondern nur irgend eine von ihm angeführte fremde Meinung. Sein
eigenes Gefühl dagegen wird er ausgesprochen haben in dem leisen Bedauern,
daß Stiftungen sich dem Verband noch nicht zuwenden wollen. Ja die Stif¬
tungen! Sie haben leider neben anderen unzeitgemäßer Vorrechten auch das,
hinter der Einsicht und Aufklärung ihrer Zeit allemal um ein halbes Jahr¬
hundert herzuhinken. In streng-katholischen Gegenden hängen sie sich an die
Idee des Fegefeuers, um thatsächlich faule Pfaffenbäuche zu füttern, und in
protestantischen Länder fallen sie am massenhaftesten solchen Armencassen zu,
die schon lange nicht mehr an Blutarmuth, sondern an überfüllten Gefäßen
leiden. Selbst ein Wohlthäter von Peabody's Stil, dem der Werth der Bil-
dungs- und Erziehungsstiftungen völlig aufgegangen war, hat doch das eigent¬
liche Füllhorn seiner Gaben millionenweise über Londons Arme ausgeschüttet,
und in einer Weise, die diesen stehenden Sumpf eher zu vertiefen und auszu¬
dehnen als trocken zu legen droht. Es mag nicht schlechthin unrathsam und ver¬
kehrt sein, " den Armen" etwas zu hinterlassen oder lebend zu schenken.
Aber es muß weit sorgfältiger überlegt werden als heutzutage in der
Regel geschieht. Almosen ist wie Arsenik, Quecksilber und andere Gifte:
in minimaler Dosis gegeben kann es einmal wo nicht positiv von Nutzen,
doch unschädlich sein; gedankenlos in Masse gereicht ist es sicherer Tod --
d. h. natürlich wirthschaftlicher Tod, Erstickung des Triebes sich selbst zu erhal¬
ten, den keine noch so freigebige fremde Hilfe für die Masse den Menschen je¬
mals ersetzen kann. Dies gilt so gut von den stiftungsmäßigen, d. h. nach¬
haltigen Almosen als von den einmaligen, ja in gewisser Hinsicht von jenen
noch weit mehr. Daher braucht der Meißener Armenverband es unseres Tr¬
achtens nicht schwer zu tragen, daß ihm noch wenig Stiftungen zufließen
wollen. Jede Zeit sollte im allg-meinen mit ihren Ausgaben und Schicksalen
selbst sertig zu werden suchen. Am wenigsten haben wir nöthig, für eine
Nachwelt Schätze aufzuhäufen, die aller Wahrscheinlichkeit nach in jeder Rück¬
sicht reicher sein wird als wir; und für das gegenwärtige Bedürfniß wird
ein Armenverband wie dieser immer Mittel genug aus dem öffentlichen Wohl¬
thätigkeitssinn zu ziehen vermögen, wenn er sich auf der Höhe seiner Auf-
gabe erhält.




die andere, praktisch vielleicht noch schlimmere zur Seite, daß die ganze Ein¬
richtung, wenn ihre Veränderung von fernen vielbeschäftigten Instanzen ab¬
hängt, erstarre? Wäre es nicht ein ebenso grundloser als verhängnißvoller
Schritt rückwärts von der glücklich herbeigeführten Selbstverwaltung, wenn
man die Vertragsbasis wieder in eine Gesetzesbasis umschüfe?

Es ist indessen muthmaßlich gar nicht die Meinung Hallbauers, der wir
hier entgegentreten, die Meinung dieses erklärten Urwalds der Selbstver¬
waltung, sondern nur irgend eine von ihm angeführte fremde Meinung. Sein
eigenes Gefühl dagegen wird er ausgesprochen haben in dem leisen Bedauern,
daß Stiftungen sich dem Verband noch nicht zuwenden wollen. Ja die Stif¬
tungen! Sie haben leider neben anderen unzeitgemäßer Vorrechten auch das,
hinter der Einsicht und Aufklärung ihrer Zeit allemal um ein halbes Jahr¬
hundert herzuhinken. In streng-katholischen Gegenden hängen sie sich an die
Idee des Fegefeuers, um thatsächlich faule Pfaffenbäuche zu füttern, und in
protestantischen Länder fallen sie am massenhaftesten solchen Armencassen zu,
die schon lange nicht mehr an Blutarmuth, sondern an überfüllten Gefäßen
leiden. Selbst ein Wohlthäter von Peabody's Stil, dem der Werth der Bil-
dungs- und Erziehungsstiftungen völlig aufgegangen war, hat doch das eigent¬
liche Füllhorn seiner Gaben millionenweise über Londons Arme ausgeschüttet,
und in einer Weise, die diesen stehenden Sumpf eher zu vertiefen und auszu¬
dehnen als trocken zu legen droht. Es mag nicht schlechthin unrathsam und ver¬
kehrt sein, „ den Armen" etwas zu hinterlassen oder lebend zu schenken.
Aber es muß weit sorgfältiger überlegt werden als heutzutage in der
Regel geschieht. Almosen ist wie Arsenik, Quecksilber und andere Gifte:
in minimaler Dosis gegeben kann es einmal wo nicht positiv von Nutzen,
doch unschädlich sein; gedankenlos in Masse gereicht ist es sicherer Tod —
d. h. natürlich wirthschaftlicher Tod, Erstickung des Triebes sich selbst zu erhal¬
ten, den keine noch so freigebige fremde Hilfe für die Masse den Menschen je¬
mals ersetzen kann. Dies gilt so gut von den stiftungsmäßigen, d. h. nach¬
haltigen Almosen als von den einmaligen, ja in gewisser Hinsicht von jenen
noch weit mehr. Daher braucht der Meißener Armenverband es unseres Tr¬
achtens nicht schwer zu tragen, daß ihm noch wenig Stiftungen zufließen
wollen. Jede Zeit sollte im allg-meinen mit ihren Ausgaben und Schicksalen
selbst sertig zu werden suchen. Am wenigsten haben wir nöthig, für eine
Nachwelt Schätze aufzuhäufen, die aller Wahrscheinlichkeit nach in jeder Rück¬
sicht reicher sein wird als wir; und für das gegenwärtige Bedürfniß wird
ein Armenverband wie dieser immer Mittel genug aus dem öffentlichen Wohl¬
thätigkeitssinn zu ziehen vermögen, wenn er sich auf der Höhe seiner Auf-
gabe erhält.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/318>, abgerufen am 29.06.2024.