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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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lichen Pflichten ihm einzuschärfen mag die Armenpflege getrost den Organen
des Staats und der Kirche überlassen, von denen sie in ihrer Sphäre ja auch
nicht gestört zu werden wünscht. -- ganz abgesehen von den Fällen, wo ein
Böhme oder Pole im sächsischen Staatsbürgerthum oder ein Jude christlich
erzogen werden müßte.

Hat der Verein von Altensalz sich aber auch etwas zu viel vorgenom¬
men, so scheint er doch immerhin rasch Erfolge erzielt zu haben. Er umfaßt
gegen 16.000 Einwohner. Sein Arbeits- und Versorgungshaus wurde am
1- December 1862 eröffnet. Schon im Januar 1868 konnte, wie Bitzer an¬
führt, berichtet werden, daß manche tiefeingewurzelte Gebrechen und Uebel¬
stände der Ortsarmenpflege, auf deren Besserung zu hoffen man kaum noch
den Muth gehabt habe, mit der Eröffnung der Anstalt wie durch einen
Zauberschlag verschwunden seien. Zur Aufnahme in dieselbe seien nicht
weniger als 382 Armenhäuslinge und Almosenempfänger angemeldet worden,
die bis dahin ihren Heimathgemeinden zur Last gelegen; wirklich eingetreten
aber seien nur 73, da die Uebrigen sich inzwischen selbst Wohnung und Unter¬
halt zu verschaffen gewußt hätten. Mehr als vier Fünftel der Gesammtzahl
waren also vorher ohne Noth unterstützt worden, Dank nicht etwa einem
sträflichen Leichtsinn der Armenpflege, denn diese seufzten ja mit ihren
Gemeinden unter dem Joch, sondern Dank einer schlechten Gesetzgebung und
Organisation! In Folge dieser heilsamen Scheidung der wirklich hilfsbedürf¬
tigen Armen von den faulen Fressern wurde es auf der Stelle möglich, manche
der Ortsarmenhäuser bis auf Weiteres ganz zu schließen. Und nicht allein
die Armenlast der Gemeinden sei auf diese Art wesentlich erleichtert worden,
sagt der Bericht: auch das Stehlen habe in Folge dessen merklich abgenom¬
men, da die nicht genügend zu beaufsichtigenden Ortsarmenhäuser damit auf¬
gehört hätten, Diebsherbergen zu sein. Fast völlig aufgehoben sei ebenso
das Betteln im Vereinsbezirk.

Eine andere höchst erfreuliche Wirkung der neuen Verbände rühmt Hall¬
bauer aus dem seinigen, indem er constatirt. daß der Sinn für gemeinnützi¬
ges Thun im Vereinsbezirk sich als Folge der Organisation entwickelt und
ausgedehnt habe. "Es ist dies auch sehr erklärlich", fügt er hinzu, "da nun
dem wohlwollenden, für das Gemeinnützige empfänglichen Manne ein ganz
anderes, größeres Feld der Thätigkeit eröffnet ist, als früher im engen Raume
der Einzelgemeinde. Schon in den Sitzungen der Districtsvereine ist ein
günstiges Feld für kräftiges Wirken und für eine lebhafte Debatte gegeben;
namentlich aber sind es die Sitzungen des Vereinsausschusses, wo die größe¬
ren und allgemeineren Verwaltungsfragen unter Mitanwesenheit der Ver¬
waltungsrathsmitglieder zu einer oft sehr lebendigen Discussion kommen,
und wo das Heranwachsen eines kräftigeren und höheren Gemeindelebens


lichen Pflichten ihm einzuschärfen mag die Armenpflege getrost den Organen
des Staats und der Kirche überlassen, von denen sie in ihrer Sphäre ja auch
nicht gestört zu werden wünscht. — ganz abgesehen von den Fällen, wo ein
Böhme oder Pole im sächsischen Staatsbürgerthum oder ein Jude christlich
erzogen werden müßte.

Hat der Verein von Altensalz sich aber auch etwas zu viel vorgenom¬
men, so scheint er doch immerhin rasch Erfolge erzielt zu haben. Er umfaßt
gegen 16.000 Einwohner. Sein Arbeits- und Versorgungshaus wurde am
1- December 1862 eröffnet. Schon im Januar 1868 konnte, wie Bitzer an¬
führt, berichtet werden, daß manche tiefeingewurzelte Gebrechen und Uebel¬
stände der Ortsarmenpflege, auf deren Besserung zu hoffen man kaum noch
den Muth gehabt habe, mit der Eröffnung der Anstalt wie durch einen
Zauberschlag verschwunden seien. Zur Aufnahme in dieselbe seien nicht
weniger als 382 Armenhäuslinge und Almosenempfänger angemeldet worden,
die bis dahin ihren Heimathgemeinden zur Last gelegen; wirklich eingetreten
aber seien nur 73, da die Uebrigen sich inzwischen selbst Wohnung und Unter¬
halt zu verschaffen gewußt hätten. Mehr als vier Fünftel der Gesammtzahl
waren also vorher ohne Noth unterstützt worden, Dank nicht etwa einem
sträflichen Leichtsinn der Armenpflege, denn diese seufzten ja mit ihren
Gemeinden unter dem Joch, sondern Dank einer schlechten Gesetzgebung und
Organisation! In Folge dieser heilsamen Scheidung der wirklich hilfsbedürf¬
tigen Armen von den faulen Fressern wurde es auf der Stelle möglich, manche
der Ortsarmenhäuser bis auf Weiteres ganz zu schließen. Und nicht allein
die Armenlast der Gemeinden sei auf diese Art wesentlich erleichtert worden,
sagt der Bericht: auch das Stehlen habe in Folge dessen merklich abgenom¬
men, da die nicht genügend zu beaufsichtigenden Ortsarmenhäuser damit auf¬
gehört hätten, Diebsherbergen zu sein. Fast völlig aufgehoben sei ebenso
das Betteln im Vereinsbezirk.

Eine andere höchst erfreuliche Wirkung der neuen Verbände rühmt Hall¬
bauer aus dem seinigen, indem er constatirt. daß der Sinn für gemeinnützi¬
ges Thun im Vereinsbezirk sich als Folge der Organisation entwickelt und
ausgedehnt habe. „Es ist dies auch sehr erklärlich", fügt er hinzu, „da nun
dem wohlwollenden, für das Gemeinnützige empfänglichen Manne ein ganz
anderes, größeres Feld der Thätigkeit eröffnet ist, als früher im engen Raume
der Einzelgemeinde. Schon in den Sitzungen der Districtsvereine ist ein
günstiges Feld für kräftiges Wirken und für eine lebhafte Debatte gegeben;
namentlich aber sind es die Sitzungen des Vereinsausschusses, wo die größe¬
ren und allgemeineren Verwaltungsfragen unter Mitanwesenheit der Ver¬
waltungsrathsmitglieder zu einer oft sehr lebendigen Discussion kommen,
und wo das Heranwachsen eines kräftigeren und höheren Gemeindelebens


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[0316] lichen Pflichten ihm einzuschärfen mag die Armenpflege getrost den Organen des Staats und der Kirche überlassen, von denen sie in ihrer Sphäre ja auch nicht gestört zu werden wünscht. — ganz abgesehen von den Fällen, wo ein Böhme oder Pole im sächsischen Staatsbürgerthum oder ein Jude christlich erzogen werden müßte. Hat der Verein von Altensalz sich aber auch etwas zu viel vorgenom¬ men, so scheint er doch immerhin rasch Erfolge erzielt zu haben. Er umfaßt gegen 16.000 Einwohner. Sein Arbeits- und Versorgungshaus wurde am 1- December 1862 eröffnet. Schon im Januar 1868 konnte, wie Bitzer an¬ führt, berichtet werden, daß manche tiefeingewurzelte Gebrechen und Uebel¬ stände der Ortsarmenpflege, auf deren Besserung zu hoffen man kaum noch den Muth gehabt habe, mit der Eröffnung der Anstalt wie durch einen Zauberschlag verschwunden seien. Zur Aufnahme in dieselbe seien nicht weniger als 382 Armenhäuslinge und Almosenempfänger angemeldet worden, die bis dahin ihren Heimathgemeinden zur Last gelegen; wirklich eingetreten aber seien nur 73, da die Uebrigen sich inzwischen selbst Wohnung und Unter¬ halt zu verschaffen gewußt hätten. Mehr als vier Fünftel der Gesammtzahl waren also vorher ohne Noth unterstützt worden, Dank nicht etwa einem sträflichen Leichtsinn der Armenpflege, denn diese seufzten ja mit ihren Gemeinden unter dem Joch, sondern Dank einer schlechten Gesetzgebung und Organisation! In Folge dieser heilsamen Scheidung der wirklich hilfsbedürf¬ tigen Armen von den faulen Fressern wurde es auf der Stelle möglich, manche der Ortsarmenhäuser bis auf Weiteres ganz zu schließen. Und nicht allein die Armenlast der Gemeinden sei auf diese Art wesentlich erleichtert worden, sagt der Bericht: auch das Stehlen habe in Folge dessen merklich abgenom¬ men, da die nicht genügend zu beaufsichtigenden Ortsarmenhäuser damit auf¬ gehört hätten, Diebsherbergen zu sein. Fast völlig aufgehoben sei ebenso das Betteln im Vereinsbezirk. Eine andere höchst erfreuliche Wirkung der neuen Verbände rühmt Hall¬ bauer aus dem seinigen, indem er constatirt. daß der Sinn für gemeinnützi¬ ges Thun im Vereinsbezirk sich als Folge der Organisation entwickelt und ausgedehnt habe. „Es ist dies auch sehr erklärlich", fügt er hinzu, „da nun dem wohlwollenden, für das Gemeinnützige empfänglichen Manne ein ganz anderes, größeres Feld der Thätigkeit eröffnet ist, als früher im engen Raume der Einzelgemeinde. Schon in den Sitzungen der Districtsvereine ist ein günstiges Feld für kräftiges Wirken und für eine lebhafte Debatte gegeben; namentlich aber sind es die Sitzungen des Vereinsausschusses, wo die größe¬ ren und allgemeineren Verwaltungsfragen unter Mitanwesenheit der Ver¬ waltungsrathsmitglieder zu einer oft sehr lebendigen Discussion kommen, und wo das Heranwachsen eines kräftigeren und höheren Gemeindelebens

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/316>, abgerufen am 29.06.2024.