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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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bindung der großen Lehnsträger gegen die Krone wußte er zu sprengen: die
Einen besiegte er, indem er mit den Andern verhandelte. Und dabei be¬
günstigte ihn das Glück so sehr, daß in Burgund auf Philipp den Guten
jener Herzog Karl folgte, der freilich mit seinem unwahren Beinamen, Karl der
.Kühne, weiten Ruf gewonnen hat, dessen Fähigkeiten aber einem Gegner wie
Ludwig XI. durchaus nicht gewachsen waren. Denn Karl, jeder leidenschaft¬
lichen Neigung schrankenlos hingegeben und besonders fortgerissen durch
schlecht berechnete Gelüste nach Machterweiterung, stürzte sich aus einem wil¬
den Kampfe in den andern und erlag dabei vornehmlich denjenigen Feinden,
die ihm Ludwig's kluge Politik erweckt oder wenigstens im Kriege gegen
ihn unterstützt hatte. Nachdem der Herzog gefallen war, gelang es dem
Könige, sowohl einen Theil der burgundischen Herrschaft mit dem fran¬
zösischen Reiche fest zu vereinigen, als auch die Macht der übrigen großen
Vasallen Schritt um Schritt zu verringern. Die Einheit Frankreichs machte
unter diesen Umständen so bedeutende Fortschritte wie niemals früher und
gegen das Ende der Regierung Ludwigs XI. war im Wesentlichen der
Staat geschaffen, der in seiner imponirenden Festigkeit und Geschlossenheit
bis auf den heutigen Tag gedauert hat. Aber dieses großartige Resultat
wurde zu gutem Theile durch recht schlechte Mittel erreicht. Ludwig XI.
war eine kleinliche, furchtsame, abergläubische Natur, die besonders die
Schwächen der Menschen beobachtete, mit denselben rechnete und durch die
Benutzung derselben zu ihren Zielen zu kommen suchte. Nicht durch offenen
Kampf, nicht durch ehrliche Verhandlungen, nicht durch einen Appell an
die Gesinnung seiner Unterthanen hat er die unbotmäßigen Herzoge und
Grafen Frankreichs gedemüthigt, sondern durch List und Betrug, durch
Spionage, Bestechung und blutige Gewaltthat. Sein Wahlspruch war: qui
ueseit. äissimulare, uoseit reguarL. Seine vornehmen Gegner scheuten sich
freilich nicht, die gleichen elenden Mittel anzuwenden, Ludwig aber siegte in
diesem Kampfe, weil er der schlaueste und vorsichtigste, der einsichtigste, eon-
sequenteste und unermüdlichste unter all den französischen Großen war.
Walter Scott vergleicht ihn mit einem Wächter wilder Thiere, der, fort¬
dauernd in Gefahr, ihrer Wuth zum Opfer zu fallen, mit wunderbarem Ge¬
schick Nahrung und Schläge auszutheilen wußte. Leopold Ranke sagt
von ihm, er habe Frankreich groß gemacht, aber ohne alle eigene, persön¬
liche Größe.

Dieser Fürst war es nun aber, der auf das Schicksal des Philippus
de Commynes den größesten Einfluß gewinnen sollte. Commynes stammte
aus einer reichen und ursprünglich bürgerlichen Familie Flanderns, die
im Dienste der Herzoge von Burgund zu hohem Adel und ehrenvollen
Staatsämtern gekommen war; er selber hatte den Herzog Philipp den Guten


bindung der großen Lehnsträger gegen die Krone wußte er zu sprengen: die
Einen besiegte er, indem er mit den Andern verhandelte. Und dabei be¬
günstigte ihn das Glück so sehr, daß in Burgund auf Philipp den Guten
jener Herzog Karl folgte, der freilich mit seinem unwahren Beinamen, Karl der
.Kühne, weiten Ruf gewonnen hat, dessen Fähigkeiten aber einem Gegner wie
Ludwig XI. durchaus nicht gewachsen waren. Denn Karl, jeder leidenschaft¬
lichen Neigung schrankenlos hingegeben und besonders fortgerissen durch
schlecht berechnete Gelüste nach Machterweiterung, stürzte sich aus einem wil¬
den Kampfe in den andern und erlag dabei vornehmlich denjenigen Feinden,
die ihm Ludwig's kluge Politik erweckt oder wenigstens im Kriege gegen
ihn unterstützt hatte. Nachdem der Herzog gefallen war, gelang es dem
Könige, sowohl einen Theil der burgundischen Herrschaft mit dem fran¬
zösischen Reiche fest zu vereinigen, als auch die Macht der übrigen großen
Vasallen Schritt um Schritt zu verringern. Die Einheit Frankreichs machte
unter diesen Umständen so bedeutende Fortschritte wie niemals früher und
gegen das Ende der Regierung Ludwigs XI. war im Wesentlichen der
Staat geschaffen, der in seiner imponirenden Festigkeit und Geschlossenheit
bis auf den heutigen Tag gedauert hat. Aber dieses großartige Resultat
wurde zu gutem Theile durch recht schlechte Mittel erreicht. Ludwig XI.
war eine kleinliche, furchtsame, abergläubische Natur, die besonders die
Schwächen der Menschen beobachtete, mit denselben rechnete und durch die
Benutzung derselben zu ihren Zielen zu kommen suchte. Nicht durch offenen
Kampf, nicht durch ehrliche Verhandlungen, nicht durch einen Appell an
die Gesinnung seiner Unterthanen hat er die unbotmäßigen Herzoge und
Grafen Frankreichs gedemüthigt, sondern durch List und Betrug, durch
Spionage, Bestechung und blutige Gewaltthat. Sein Wahlspruch war: qui
ueseit. äissimulare, uoseit reguarL. Seine vornehmen Gegner scheuten sich
freilich nicht, die gleichen elenden Mittel anzuwenden, Ludwig aber siegte in
diesem Kampfe, weil er der schlaueste und vorsichtigste, der einsichtigste, eon-
sequenteste und unermüdlichste unter all den französischen Großen war.
Walter Scott vergleicht ihn mit einem Wächter wilder Thiere, der, fort¬
dauernd in Gefahr, ihrer Wuth zum Opfer zu fallen, mit wunderbarem Ge¬
schick Nahrung und Schläge auszutheilen wußte. Leopold Ranke sagt
von ihm, er habe Frankreich groß gemacht, aber ohne alle eigene, persön¬
liche Größe.

Dieser Fürst war es nun aber, der auf das Schicksal des Philippus
de Commynes den größesten Einfluß gewinnen sollte. Commynes stammte
aus einer reichen und ursprünglich bürgerlichen Familie Flanderns, die
im Dienste der Herzoge von Burgund zu hohem Adel und ehrenvollen
Staatsämtern gekommen war; er selber hatte den Herzog Philipp den Guten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/294>, abgerufen am 29.06.2024.