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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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des Reiches anzustimmen. Der That selbst wurde vor zwei Jahren die
Bürgerkrone zuerkannt, das Coral verdient heute den Galgen. Solchen
Helden gegenüber fiel es dem Grafen Beust nicht schwer, sich zu vertheidigen.
Er kritisirte mit Glück das Beweismittel der Gegner, erinnerte im Vorüber¬
gehen Minister und Parlament daran, daß ohne ihn sie alle möglicherweise
nicht da sein würden, ließ es an kleinen Seitenhieben auf die unfruchtbare
Politik der Majoritätsminister nicht fehlen und reichte ihnen dann der Sicher¬
heit halber die Hand zum Bündnisse. Das Haus schwieg, weil es nichts zu
entgegnen wußte und doch nicht zustimmen mochte; der Minister des Innern
lenkte ein und die ministeriellen Organe erklärten den Reichskanzler sür re-
habilitirt. Erhebend war das Schauspiel nicht. Die Minister, welche sich
selbst wohl nicht verhehlen können, daß während ihrer Amtsführung das Ver¬
hältniß der Nationalitäten Oestreichs unter einander sich bedeutend zum
schlimmeren gewendet hat, und die doch nicht eingestehen wollen, daß ihre
Personen ein Hauptbedingniß der Verständigung sind, weil sie sämmtlich
(wenn auch nicht sämmtlich durch Geburt) den Ländern mit deutscher und
czechischer Bevölkerung angehörig, auch auf der Regierungsbank deutsche
Parteiführer geblieben sind, sie brauchten einen Prügelknaben oder vielmehr
einen Störenfried, welchem das Ausbleiben des Erfolgs schuldgegeben werden
konnte. Freunde im Reichsrath und in der Presse erhielten den Wink, in
diesem Sinne die öffentliche Meinung zu bearbeiten, und beide thaten in
ihrem Eifer sichtlich zu viel. Wochen lang hörte man nur, daß nun das
falsche Spiel des Reichskanzlers werde rücksichtslos aufgedeckt, unerhörte
Dinge ans Licht gezogen, der Mann unmöglich gemacht werden. Und als
sie jetzt sahen, daß sie die Versprechungen ihrer überall vertheilten Programms
nicht einhalten konnten, vergaßen die ministeriellen Redner auch das, was sie
dem Grasen Beust hätten entgegnen können. Denn so weit waren sie ja
im Rechte, daß der Abgeordnete der Reichenberger Handelskammer gleichzeitig
Präsident des Reichsministeriums ist, und daß daher der Meinungsaustausch
zwischen ihm und erklärten Gegnern der Regierung nicht als etwas so harm¬
loses gelten kann, daß er, mochte die Unthätigkeit und Halsstarrigkeit der Mi¬
nister ihm noch so unheilvoll dünken, es jedenfalls vermeiden mußte, durch
Zuschautragen seiner. Ansicht die Männer der Opposition in ihrem Wider-
stände zu bestärken.

Allein wie soll man sich wundern, daß die Staatsmänner des Abge¬
ordnetenhauses sich so geduldig aus den Mund schlagen ließen; war doch
die ganze Adreßdebatte der actenmäßige Beleg zu Berger's ihm so sehr ver¬
argten Vorwurfe der Unfähigkeit. Die Majorität des Hauses wettert gegen
das Memorandum der Ministerminorität und votirt eine Adresse, welche
diesem M/morandum viel näher steht, als jenem Grundsatze der Unnachgiebig-


des Reiches anzustimmen. Der That selbst wurde vor zwei Jahren die
Bürgerkrone zuerkannt, das Coral verdient heute den Galgen. Solchen
Helden gegenüber fiel es dem Grafen Beust nicht schwer, sich zu vertheidigen.
Er kritisirte mit Glück das Beweismittel der Gegner, erinnerte im Vorüber¬
gehen Minister und Parlament daran, daß ohne ihn sie alle möglicherweise
nicht da sein würden, ließ es an kleinen Seitenhieben auf die unfruchtbare
Politik der Majoritätsminister nicht fehlen und reichte ihnen dann der Sicher¬
heit halber die Hand zum Bündnisse. Das Haus schwieg, weil es nichts zu
entgegnen wußte und doch nicht zustimmen mochte; der Minister des Innern
lenkte ein und die ministeriellen Organe erklärten den Reichskanzler sür re-
habilitirt. Erhebend war das Schauspiel nicht. Die Minister, welche sich
selbst wohl nicht verhehlen können, daß während ihrer Amtsführung das Ver¬
hältniß der Nationalitäten Oestreichs unter einander sich bedeutend zum
schlimmeren gewendet hat, und die doch nicht eingestehen wollen, daß ihre
Personen ein Hauptbedingniß der Verständigung sind, weil sie sämmtlich
(wenn auch nicht sämmtlich durch Geburt) den Ländern mit deutscher und
czechischer Bevölkerung angehörig, auch auf der Regierungsbank deutsche
Parteiführer geblieben sind, sie brauchten einen Prügelknaben oder vielmehr
einen Störenfried, welchem das Ausbleiben des Erfolgs schuldgegeben werden
konnte. Freunde im Reichsrath und in der Presse erhielten den Wink, in
diesem Sinne die öffentliche Meinung zu bearbeiten, und beide thaten in
ihrem Eifer sichtlich zu viel. Wochen lang hörte man nur, daß nun das
falsche Spiel des Reichskanzlers werde rücksichtslos aufgedeckt, unerhörte
Dinge ans Licht gezogen, der Mann unmöglich gemacht werden. Und als
sie jetzt sahen, daß sie die Versprechungen ihrer überall vertheilten Programms
nicht einhalten konnten, vergaßen die ministeriellen Redner auch das, was sie
dem Grasen Beust hätten entgegnen können. Denn so weit waren sie ja
im Rechte, daß der Abgeordnete der Reichenberger Handelskammer gleichzeitig
Präsident des Reichsministeriums ist, und daß daher der Meinungsaustausch
zwischen ihm und erklärten Gegnern der Regierung nicht als etwas so harm¬
loses gelten kann, daß er, mochte die Unthätigkeit und Halsstarrigkeit der Mi¬
nister ihm noch so unheilvoll dünken, es jedenfalls vermeiden mußte, durch
Zuschautragen seiner. Ansicht die Männer der Opposition in ihrem Wider-
stände zu bestärken.

Allein wie soll man sich wundern, daß die Staatsmänner des Abge¬
ordnetenhauses sich so geduldig aus den Mund schlagen ließen; war doch
die ganze Adreßdebatte der actenmäßige Beleg zu Berger's ihm so sehr ver¬
argten Vorwurfe der Unfähigkeit. Die Majorität des Hauses wettert gegen
das Memorandum der Ministerminorität und votirt eine Adresse, welche
diesem M/morandum viel näher steht, als jenem Grundsatze der Unnachgiebig-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/273>, abgerufen am 29.06.2024.