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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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nicht anders als liberal regieren wollen; fiele es ihm auch nur ein, sich mit
der freisinnigen deutschen Partei im Lande auf feindlichen Fuß zu stellen, so
würde er die Bedingungen seiner Existenz an seinem jetzigen Platze selbst
vernichten!

So sprach man damals und noch lange nachher. Daß Beust hinter Bel-
credi's Rücken mit Ungarn und Deutschen paetirt hatte, zeugte nur für sein
diplomatisches Geschick, daß er entschlossen ausführte, was sich nicht mehr
umgehen ließ, die Anerkennung der Rechtscontinuität in Ungarn, -- für sei¬
nen staatsmännischen Blick, daß er diesseits der Leitha das parlamentarische
System mit allen seinen Consequenzen ins Leben rief, was noch Schmerling
für einfach unmöglich erklärt hatte und an die Regierung diejenige Partei
berief, welcher der genannte Staatsmann die Regierungsfähigkeit kurz und
rund aberkannt hatte, das sprach laut genug für das Vertrauen, welches
man ihm entgegenbrachte. In Rede und Schrift wurde er der große Mann,
der Retter Oestreichs.

Zwei Jahre später und der große Mann wird auf die Anklagebank
gesetzt, der Retter wird zum Verderber gestempelt, die Hostannahrufer
fordern seine Steinigung, die Schmähungen und Verdächtigungen, mit wel¬
chen die czechische Presse den importirten sächsischen Minister begrüßte, wer¬
den von eben jenen Organen reproducirt, welchen damals die Empörung
über solche Schmach die allerstärksten Ausdrücke lieh, und des Reichskanzlers
Galopins von neulich verrathen heute im Abgeordnetenhause nicht übel Lust,
ihn nicht blos figürlich in Anklagestand zu versetzen. Und weshalb das
Alles? Weil er sich treu geblieben ist. Zwar so weit wie 1867 ist er kei-
neswegs gegangen. Aber er hat die Mußezeit, welche seine Anstrengungen
zur Erhaltung des europäischen Friedens ihm ließen, dazu angewandt, wieder
eine brennende innere Frage zu studiren. Abgeordneter einer böhmischen
Corporation, hat er sich direct und indirect über die Bedingungen unter¬
richtet, unter welchen das ganze Land Böhmen zur Theilnahme an dem Ver¬
fassungsleben zu bewegen sein möchte. Er selbst hat mit Palacky und Rie-
ger über die Forderungen der Czechen gesprochen, ein Graf Cholet hat das-
selbe gethan. Endlich sind es die drei Minister der "Minorität", welche dem
Grafen Beust nahestanden, während zwischen ihm und der Majorität seit
längerer Zeit eine gewisse Erkältung eingetreten war.

So und nicht anders lauten die Anklagpunkte. Das Conferiren mit
czechischen Parteihäuplern und die Hinneigung zu jener Fraction des Cabi-
nets, welche die slavische Opposition zu versöhnen wünschte, diese beiden Jn-
dicien genügten den Stimmführern des östreichischen Parlaments, um über
Verrath zu schreien, den Reichskanzler der Conspiration gegen die Verfassung
zu zeihen oder Elegien über den Untergang des Deutschthums, den Zerfall


nicht anders als liberal regieren wollen; fiele es ihm auch nur ein, sich mit
der freisinnigen deutschen Partei im Lande auf feindlichen Fuß zu stellen, so
würde er die Bedingungen seiner Existenz an seinem jetzigen Platze selbst
vernichten!

So sprach man damals und noch lange nachher. Daß Beust hinter Bel-
credi's Rücken mit Ungarn und Deutschen paetirt hatte, zeugte nur für sein
diplomatisches Geschick, daß er entschlossen ausführte, was sich nicht mehr
umgehen ließ, die Anerkennung der Rechtscontinuität in Ungarn, — für sei¬
nen staatsmännischen Blick, daß er diesseits der Leitha das parlamentarische
System mit allen seinen Consequenzen ins Leben rief, was noch Schmerling
für einfach unmöglich erklärt hatte und an die Regierung diejenige Partei
berief, welcher der genannte Staatsmann die Regierungsfähigkeit kurz und
rund aberkannt hatte, das sprach laut genug für das Vertrauen, welches
man ihm entgegenbrachte. In Rede und Schrift wurde er der große Mann,
der Retter Oestreichs.

Zwei Jahre später und der große Mann wird auf die Anklagebank
gesetzt, der Retter wird zum Verderber gestempelt, die Hostannahrufer
fordern seine Steinigung, die Schmähungen und Verdächtigungen, mit wel¬
chen die czechische Presse den importirten sächsischen Minister begrüßte, wer¬
den von eben jenen Organen reproducirt, welchen damals die Empörung
über solche Schmach die allerstärksten Ausdrücke lieh, und des Reichskanzlers
Galopins von neulich verrathen heute im Abgeordnetenhause nicht übel Lust,
ihn nicht blos figürlich in Anklagestand zu versetzen. Und weshalb das
Alles? Weil er sich treu geblieben ist. Zwar so weit wie 1867 ist er kei-
neswegs gegangen. Aber er hat die Mußezeit, welche seine Anstrengungen
zur Erhaltung des europäischen Friedens ihm ließen, dazu angewandt, wieder
eine brennende innere Frage zu studiren. Abgeordneter einer böhmischen
Corporation, hat er sich direct und indirect über die Bedingungen unter¬
richtet, unter welchen das ganze Land Böhmen zur Theilnahme an dem Ver¬
fassungsleben zu bewegen sein möchte. Er selbst hat mit Palacky und Rie-
ger über die Forderungen der Czechen gesprochen, ein Graf Cholet hat das-
selbe gethan. Endlich sind es die drei Minister der „Minorität", welche dem
Grafen Beust nahestanden, während zwischen ihm und der Majorität seit
längerer Zeit eine gewisse Erkältung eingetreten war.

So und nicht anders lauten die Anklagpunkte. Das Conferiren mit
czechischen Parteihäuplern und die Hinneigung zu jener Fraction des Cabi-
nets, welche die slavische Opposition zu versöhnen wünschte, diese beiden Jn-
dicien genügten den Stimmführern des östreichischen Parlaments, um über
Verrath zu schreien, den Reichskanzler der Conspiration gegen die Verfassung
zu zeihen oder Elegien über den Untergang des Deutschthums, den Zerfall


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/272>, abgerufen am 29.06.2024.