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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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nicht, da weder die unfindbare s. g. Verfassung Tirols, noch das Landes¬
statut vom 20. October 1860 eine Spur jener Rechte enthalte, in deren Be¬
sitz das Land durch die Landesordnung vom 26. Februar 1861 gesetzt wurde.
Nach dem Patent von 1816 sei der Landtag blos auf Bitten und Wünsche
beschränkt gewesen, während er jetzt Gesetze beschließe. Mit Jubel sei diese
neue Verfassung Tirols von seinen Vertretern und zwar gerade von der so¬
genannten conservativen Partei gleich bei ihrer ersten Zusammenkunft im
April 1861 begrüßt und am 31. März 1863 in der Dankadresse an den
Kaiser ein "Kleinod" genannt worden; heute werfe man die Citrone weg,
weil man sie reichlich ausgepreßt. Schuld davon seien gewisse Abgeordnete,
die seither in den Landtag getreten, ihn 1866 zur Anerkennung der Sistirung
und 1867 zu einer Rechtsverwahrung gegen die Februarverfassung gedrängt;
jetzt spreche man sogar von einem Raub der Rechte, und wolle sie stürzen.

Aus dem unentwirrbaren Gedankenknäuel, den jetzt Greuter zusammen¬
flocht, konnte man nur entnehmen, daß ihn vorzüglich die Klagen der Bi¬
schöfe sowie der Verlust der Freiheit der Kirche bedrückten, dagegen regte
Bidermann das finanzielle Bedenken an, ob sich der Reichsrath durch solche
Opposition nicht aufgefordert finden möchte, Bezüge, wie jene des Approvi-
sionirungsfonds an sich zu ziehen, wofür das Land in seinem Statute keine
Garantie besitze. Schließlich stellte Dr. Harum nach einigen heiteren Be¬
merkungen über die staatsrechtlichen Rettungsversuche der Gegner im Namen
der Liberalen den Antrag auf Uebergang zur Tagesordnung. Da riß Gio-
vanelli die Geduld, er ahnte, daß die von ihm in Scene gesetzte Posse sich
bald zu Ende neige. In seiner Phantasie lehnten sich Millionen Oestreicher
gegen den Staatscentralismus auf, wenn man sie alle bestrafen wollte, gäbe
es einen Monstreproceß. Den Mitgliedern des Reichsraths aber, der "ohne
Mandat" sich selbst als Constituante aufgeworfen und die autonomen Be¬
fugnisse Tirols gestrichen, machte er den Vorwurf, daß er wenigstens zur
Hälfte aus Beamten bestehe.

Mehr konnte man kaum bieten. Da hielt der Statthalter den Moment
für gekommen, mit seiner Stellung zur Sache hervorzutreten. Vor allem
warf er die Frage auf, was denn unter dem Landrechte von Tirol eigentlich
gemeint sei? Im vorigen Jahrhundert habe dieses Recht in den ständischen
Gerechtsamen bestanden; heute sei es fraglich, ob irgend jemand, der nach dem
Ruhme dürstet, der tirolische Deal zu werden, deren Wiederherstellung als staats¬
rechtliches Programm auf seine Fahne schreiben möchte? Die charakteristischen
Rechte einer wahren Landesverfassung seien das Steuerbewilligungs- und
Gesetzgebungsrecht. Von ersterem wies er aus dem vom Berichterstatter
Jäger verfaßten Büchlein über "die alte ständische Verfassung Tirols" nach,
daß es nur in dem Rechte zu zahlen bestand. Ein Mehreres an Rechten


nicht, da weder die unfindbare s. g. Verfassung Tirols, noch das Landes¬
statut vom 20. October 1860 eine Spur jener Rechte enthalte, in deren Be¬
sitz das Land durch die Landesordnung vom 26. Februar 1861 gesetzt wurde.
Nach dem Patent von 1816 sei der Landtag blos auf Bitten und Wünsche
beschränkt gewesen, während er jetzt Gesetze beschließe. Mit Jubel sei diese
neue Verfassung Tirols von seinen Vertretern und zwar gerade von der so¬
genannten conservativen Partei gleich bei ihrer ersten Zusammenkunft im
April 1861 begrüßt und am 31. März 1863 in der Dankadresse an den
Kaiser ein „Kleinod" genannt worden; heute werfe man die Citrone weg,
weil man sie reichlich ausgepreßt. Schuld davon seien gewisse Abgeordnete,
die seither in den Landtag getreten, ihn 1866 zur Anerkennung der Sistirung
und 1867 zu einer Rechtsverwahrung gegen die Februarverfassung gedrängt;
jetzt spreche man sogar von einem Raub der Rechte, und wolle sie stürzen.

Aus dem unentwirrbaren Gedankenknäuel, den jetzt Greuter zusammen¬
flocht, konnte man nur entnehmen, daß ihn vorzüglich die Klagen der Bi¬
schöfe sowie der Verlust der Freiheit der Kirche bedrückten, dagegen regte
Bidermann das finanzielle Bedenken an, ob sich der Reichsrath durch solche
Opposition nicht aufgefordert finden möchte, Bezüge, wie jene des Approvi-
sionirungsfonds an sich zu ziehen, wofür das Land in seinem Statute keine
Garantie besitze. Schließlich stellte Dr. Harum nach einigen heiteren Be¬
merkungen über die staatsrechtlichen Rettungsversuche der Gegner im Namen
der Liberalen den Antrag auf Uebergang zur Tagesordnung. Da riß Gio-
vanelli die Geduld, er ahnte, daß die von ihm in Scene gesetzte Posse sich
bald zu Ende neige. In seiner Phantasie lehnten sich Millionen Oestreicher
gegen den Staatscentralismus auf, wenn man sie alle bestrafen wollte, gäbe
es einen Monstreproceß. Den Mitgliedern des Reichsraths aber, der „ohne
Mandat" sich selbst als Constituante aufgeworfen und die autonomen Be¬
fugnisse Tirols gestrichen, machte er den Vorwurf, daß er wenigstens zur
Hälfte aus Beamten bestehe.

Mehr konnte man kaum bieten. Da hielt der Statthalter den Moment
für gekommen, mit seiner Stellung zur Sache hervorzutreten. Vor allem
warf er die Frage auf, was denn unter dem Landrechte von Tirol eigentlich
gemeint sei? Im vorigen Jahrhundert habe dieses Recht in den ständischen
Gerechtsamen bestanden; heute sei es fraglich, ob irgend jemand, der nach dem
Ruhme dürstet, der tirolische Deal zu werden, deren Wiederherstellung als staats¬
rechtliches Programm auf seine Fahne schreiben möchte? Die charakteristischen
Rechte einer wahren Landesverfassung seien das Steuerbewilligungs- und
Gesetzgebungsrecht. Von ersterem wies er aus dem vom Berichterstatter
Jäger verfaßten Büchlein über „die alte ständische Verfassung Tirols" nach,
daß es nur in dem Rechte zu zahlen bestand. Ein Mehreres an Rechten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/268>, abgerufen am 28.09.2024.