Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Herstellung der alten Länderrechte gefolgt und in den nächsten zehn Jahren
als nothwendiger Gegendruck der Versuch, die richtige Mitte zwischen Pro-
vinzialfreiheit und Staatseinheit ausfindig zu machen. In der Erkenntniß,
daß die Mittel verkehrte gewesen, habe Franz Josef I. durch das October-
diplom das absolutistische System mit dem Versprechen aufgegeben, von nun
an die gesetzgebende Gewalt nur unter Mitwirkung der Landtage und be>
ziehungsweise des Reichsraths auszuüben. Hierbei seien auch ausdrücklich
alle Institutionen und Rechtszustände gewahrt worden, die im Rechtsbewußt¬
sein und in der Verschiedenheit der Königreiche und Länder wurzelten, somit
die Basis wiederhergestellt, auf welcher sich die föderative Macht der Ge¬
sammtheit naturgemäß entwickeln und ein behagliches Wohnhaus für alle
Insassen erbaut werden konnte. Doch sie wurde vereitelt durch das Februar¬
patent und noch mehr durch die Decemberverfassung. Die provinzielle Selb¬
ständigkeit und Eigenberechtigung der Länder fielen der centralisirenden Ge¬
walt des Neichsraths zum Opfer, wonach wir denn vor einer formlosen
Zersetzung Oestreichs stehen, die es nach dem Ausspruch eines geistreichen
Mannes in ihren weiteren Fortschritten hinter die Zeiten Leopold's des
Glorreicher zurückführe. Zum Schluß deducirte der Redner, daß ein neuer
Aufbau Oestreichs nur auf der im Oetoberdiplom angenommenen Basis mög¬
lich sei.

Dagegen erhoben sich von liberaler Seite Baron Ingram, der in sehr
anschaulicher Weise darlegte, wie der Föderalismus in Oestreich nur zum
Absolutismus führen müsse; Dr. Leonardi wies in längerer Ausführung nach,
daß der Landtag zu Anträgen wie die vorliegenden weder nach dem gegen-
wältigen noch dem Landesstatute vom 20. October 1860 competent sei. Herr
Dietl, der auf eine wissenschaftliche Abhandlung über die staatsrechtlichen
Verhältnisse ausdrücklich verzichtete, dankte seinerseits für die Ehre, daß man
ihn als "Vater" der sechs Anträge hingestellt, was die Linke ebenso mit einem
heiteren "Nein" beantwortete, wie seine Behauptung, sie seien das Programm
des tiroler Volks. Auch der Statthalter bat Dietl, falls er sich dadurch ge-
kränkt fühlen sollte, daß er die Anträge nach seinem Namen genannt, herz¬
lich um Vergebung, er sei darin eben nur der parlamentarischen Sitte ge¬
folgt; der Auffassung aber, daß sie vom tiroler Volke ausgehen, stellte I)r.
Blaas als Vertreter Innsbrucks eine Petition des großen Bürgerausschusses
der Landeshauptstadt entgegen, welche die Bitte enthielt: der Landtag wolle
diesfalls zur Tagesordnung übergehen.

Dr. Wildauer folgte dem Berichterstatter auf der historischen Bahn und
zeigte, daß an eine Rechtscontinunität weder Kaiser Leopold noch 1816
dessen Nachfolger, weder die Kämpfer des Jahres 1809 noch die Verfassungs¬
commission von 18S9 gedacht, auch begreife er die staatsrechtlichen Ansprüche


Herstellung der alten Länderrechte gefolgt und in den nächsten zehn Jahren
als nothwendiger Gegendruck der Versuch, die richtige Mitte zwischen Pro-
vinzialfreiheit und Staatseinheit ausfindig zu machen. In der Erkenntniß,
daß die Mittel verkehrte gewesen, habe Franz Josef I. durch das October-
diplom das absolutistische System mit dem Versprechen aufgegeben, von nun
an die gesetzgebende Gewalt nur unter Mitwirkung der Landtage und be>
ziehungsweise des Reichsraths auszuüben. Hierbei seien auch ausdrücklich
alle Institutionen und Rechtszustände gewahrt worden, die im Rechtsbewußt¬
sein und in der Verschiedenheit der Königreiche und Länder wurzelten, somit
die Basis wiederhergestellt, auf welcher sich die föderative Macht der Ge¬
sammtheit naturgemäß entwickeln und ein behagliches Wohnhaus für alle
Insassen erbaut werden konnte. Doch sie wurde vereitelt durch das Februar¬
patent und noch mehr durch die Decemberverfassung. Die provinzielle Selb¬
ständigkeit und Eigenberechtigung der Länder fielen der centralisirenden Ge¬
walt des Neichsraths zum Opfer, wonach wir denn vor einer formlosen
Zersetzung Oestreichs stehen, die es nach dem Ausspruch eines geistreichen
Mannes in ihren weiteren Fortschritten hinter die Zeiten Leopold's des
Glorreicher zurückführe. Zum Schluß deducirte der Redner, daß ein neuer
Aufbau Oestreichs nur auf der im Oetoberdiplom angenommenen Basis mög¬
lich sei.

Dagegen erhoben sich von liberaler Seite Baron Ingram, der in sehr
anschaulicher Weise darlegte, wie der Föderalismus in Oestreich nur zum
Absolutismus führen müsse; Dr. Leonardi wies in längerer Ausführung nach,
daß der Landtag zu Anträgen wie die vorliegenden weder nach dem gegen-
wältigen noch dem Landesstatute vom 20. October 1860 competent sei. Herr
Dietl, der auf eine wissenschaftliche Abhandlung über die staatsrechtlichen
Verhältnisse ausdrücklich verzichtete, dankte seinerseits für die Ehre, daß man
ihn als „Vater" der sechs Anträge hingestellt, was die Linke ebenso mit einem
heiteren „Nein" beantwortete, wie seine Behauptung, sie seien das Programm
des tiroler Volks. Auch der Statthalter bat Dietl, falls er sich dadurch ge-
kränkt fühlen sollte, daß er die Anträge nach seinem Namen genannt, herz¬
lich um Vergebung, er sei darin eben nur der parlamentarischen Sitte ge¬
folgt; der Auffassung aber, daß sie vom tiroler Volke ausgehen, stellte I)r.
Blaas als Vertreter Innsbrucks eine Petition des großen Bürgerausschusses
der Landeshauptstadt entgegen, welche die Bitte enthielt: der Landtag wolle
diesfalls zur Tagesordnung übergehen.

Dr. Wildauer folgte dem Berichterstatter auf der historischen Bahn und
zeigte, daß an eine Rechtscontinunität weder Kaiser Leopold noch 1816
dessen Nachfolger, weder die Kämpfer des Jahres 1809 noch die Verfassungs¬
commission von 18S9 gedacht, auch begreife er die staatsrechtlichen Ansprüche


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0267" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123355"/>
          <p xml:id="ID_737" prev="#ID_736"> Herstellung der alten Länderrechte gefolgt und in den nächsten zehn Jahren<lb/>
als nothwendiger Gegendruck der Versuch, die richtige Mitte zwischen Pro-<lb/>
vinzialfreiheit und Staatseinheit ausfindig zu machen. In der Erkenntniß,<lb/>
daß die Mittel verkehrte gewesen, habe Franz Josef I. durch das October-<lb/>
diplom das absolutistische System mit dem Versprechen aufgegeben, von nun<lb/>
an die gesetzgebende Gewalt nur unter Mitwirkung der Landtage und be&gt;<lb/>
ziehungsweise des Reichsraths auszuüben. Hierbei seien auch ausdrücklich<lb/>
alle Institutionen und Rechtszustände gewahrt worden, die im Rechtsbewußt¬<lb/>
sein und in der Verschiedenheit der Königreiche und Länder wurzelten, somit<lb/>
die Basis wiederhergestellt, auf welcher sich die föderative Macht der Ge¬<lb/>
sammtheit naturgemäß entwickeln und ein behagliches Wohnhaus für alle<lb/>
Insassen erbaut werden konnte. Doch sie wurde vereitelt durch das Februar¬<lb/>
patent und noch mehr durch die Decemberverfassung. Die provinzielle Selb¬<lb/>
ständigkeit und Eigenberechtigung der Länder fielen der centralisirenden Ge¬<lb/>
walt des Neichsraths zum Opfer, wonach wir denn vor einer formlosen<lb/>
Zersetzung Oestreichs stehen, die es nach dem Ausspruch eines geistreichen<lb/>
Mannes in ihren weiteren Fortschritten hinter die Zeiten Leopold's des<lb/>
Glorreicher zurückführe. Zum Schluß deducirte der Redner, daß ein neuer<lb/>
Aufbau Oestreichs nur auf der im Oetoberdiplom angenommenen Basis mög¬<lb/>
lich sei.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_738"> Dagegen erhoben sich von liberaler Seite Baron Ingram, der in sehr<lb/>
anschaulicher Weise darlegte, wie der Föderalismus in Oestreich nur zum<lb/>
Absolutismus führen müsse; Dr. Leonardi wies in längerer Ausführung nach,<lb/>
daß der Landtag zu Anträgen wie die vorliegenden weder nach dem gegen-<lb/>
wältigen noch dem Landesstatute vom 20. October 1860 competent sei. Herr<lb/>
Dietl, der auf eine wissenschaftliche Abhandlung über die staatsrechtlichen<lb/>
Verhältnisse ausdrücklich verzichtete, dankte seinerseits für die Ehre, daß man<lb/>
ihn als &#x201E;Vater" der sechs Anträge hingestellt, was die Linke ebenso mit einem<lb/>
heiteren &#x201E;Nein" beantwortete, wie seine Behauptung, sie seien das Programm<lb/>
des tiroler Volks. Auch der Statthalter bat Dietl, falls er sich dadurch ge-<lb/>
kränkt fühlen sollte, daß er die Anträge nach seinem Namen genannt, herz¬<lb/>
lich um Vergebung, er sei darin eben nur der parlamentarischen Sitte ge¬<lb/>
folgt; der Auffassung aber, daß sie vom tiroler Volke ausgehen, stellte I)r.<lb/>
Blaas als Vertreter Innsbrucks eine Petition des großen Bürgerausschusses<lb/>
der Landeshauptstadt entgegen, welche die Bitte enthielt: der Landtag wolle<lb/>
diesfalls zur Tagesordnung übergehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_739" next="#ID_740"> Dr. Wildauer folgte dem Berichterstatter auf der historischen Bahn und<lb/>
zeigte, daß an eine Rechtscontinunität weder Kaiser Leopold noch 1816<lb/>
dessen Nachfolger, weder die Kämpfer des Jahres 1809 noch die Verfassungs¬<lb/>
commission von 18S9 gedacht, auch begreife er die staatsrechtlichen Ansprüche</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0267] Herstellung der alten Länderrechte gefolgt und in den nächsten zehn Jahren als nothwendiger Gegendruck der Versuch, die richtige Mitte zwischen Pro- vinzialfreiheit und Staatseinheit ausfindig zu machen. In der Erkenntniß, daß die Mittel verkehrte gewesen, habe Franz Josef I. durch das October- diplom das absolutistische System mit dem Versprechen aufgegeben, von nun an die gesetzgebende Gewalt nur unter Mitwirkung der Landtage und be> ziehungsweise des Reichsraths auszuüben. Hierbei seien auch ausdrücklich alle Institutionen und Rechtszustände gewahrt worden, die im Rechtsbewußt¬ sein und in der Verschiedenheit der Königreiche und Länder wurzelten, somit die Basis wiederhergestellt, auf welcher sich die föderative Macht der Ge¬ sammtheit naturgemäß entwickeln und ein behagliches Wohnhaus für alle Insassen erbaut werden konnte. Doch sie wurde vereitelt durch das Februar¬ patent und noch mehr durch die Decemberverfassung. Die provinzielle Selb¬ ständigkeit und Eigenberechtigung der Länder fielen der centralisirenden Ge¬ walt des Neichsraths zum Opfer, wonach wir denn vor einer formlosen Zersetzung Oestreichs stehen, die es nach dem Ausspruch eines geistreichen Mannes in ihren weiteren Fortschritten hinter die Zeiten Leopold's des Glorreicher zurückführe. Zum Schluß deducirte der Redner, daß ein neuer Aufbau Oestreichs nur auf der im Oetoberdiplom angenommenen Basis mög¬ lich sei. Dagegen erhoben sich von liberaler Seite Baron Ingram, der in sehr anschaulicher Weise darlegte, wie der Föderalismus in Oestreich nur zum Absolutismus führen müsse; Dr. Leonardi wies in längerer Ausführung nach, daß der Landtag zu Anträgen wie die vorliegenden weder nach dem gegen- wältigen noch dem Landesstatute vom 20. October 1860 competent sei. Herr Dietl, der auf eine wissenschaftliche Abhandlung über die staatsrechtlichen Verhältnisse ausdrücklich verzichtete, dankte seinerseits für die Ehre, daß man ihn als „Vater" der sechs Anträge hingestellt, was die Linke ebenso mit einem heiteren „Nein" beantwortete, wie seine Behauptung, sie seien das Programm des tiroler Volks. Auch der Statthalter bat Dietl, falls er sich dadurch ge- kränkt fühlen sollte, daß er die Anträge nach seinem Namen genannt, herz¬ lich um Vergebung, er sei darin eben nur der parlamentarischen Sitte ge¬ folgt; der Auffassung aber, daß sie vom tiroler Volke ausgehen, stellte I)r. Blaas als Vertreter Innsbrucks eine Petition des großen Bürgerausschusses der Landeshauptstadt entgegen, welche die Bitte enthielt: der Landtag wolle diesfalls zur Tagesordnung übergehen. Dr. Wildauer folgte dem Berichterstatter auf der historischen Bahn und zeigte, daß an eine Rechtscontinunität weder Kaiser Leopold noch 1816 dessen Nachfolger, weder die Kämpfer des Jahres 1809 noch die Verfassungs¬ commission von 18S9 gedacht, auch begreife er die staatsrechtlichen Ansprüche

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/267
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/267>, abgerufen am 28.09.2024.