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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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volss, die hier unentgeltlich eine warme Stube finden, oder von einigen
Unterlehrern des städtischen Lyceums besucht werden. Diese machen denn
auch ihr eigentliches Publicum aus.

Die wesentliche Thätigkeit der ?g,ente6s des lettres als solche geht darin
auf. daß sie alljährlich ein Paar Tausende Baccalaureatsexamina bestehen
lassen -- und Gott weiß wie mechanisch diese Fabrication en ^roh vor sich
geht! Trotzdem soll nicht geleugnet werden, daß sie in Handelsstädten, wie
z. B. Bordeaux, doch wenigstens die letzten Spuren von Interesse an geisti¬
gen Dingen erhalten und daß sie als letztes Bollwerk gegen gänzliche lite¬
rarische und wohl auch künstlerische Verdummung noch Werth behalten.

Damit wäre die Richtigkeit unserer vorhin aufgestellten Behauptung be¬
wiesen, wenigstens soweit die Universität in Betracht kommt. Mit den an¬
deren Anstalten werden wir noch leichter fertig. Auf der Leole ach Onartes
wird zwar recht Tüchtiges gelehrt und geleistet, aber nur mittelalterliche und
moderne Geschichte, nur romanische Philologie: das Alterthum bleibt fern.
Die Wahl der Vorlesungen steht außerdem dem Schüler nicht frei, sondern
er folgt denjenigen, die für seinen Jahrescursus vorgeschrieben sind. Die
Leole normale endlich ist, wie schon gesagt wurde, keine wissenschaftliche
Schule, sondern ein Lehrerseminar.

Eine andere, gewichtigere Frage würde sich allerdings hier aufwerfen
lassen. Findet sich denn überhaupt bei den Franzosen Lust, Neigung und
Befähigung zu philologisch-historischen Studien? Es wäre verkehrt, dies
a-priori leugnen zu wollen; derartige Schlüsse sind meistens gewagt und
werden oft von der Erfahrung widerlegt. Ja, in diesem Falle können
wir geradezu behaupten, daß die Erscheinungen der letzten Jahre ein
Streben nach dauernden wissenschaftlichen Leistungen aus besagtem Gebiete
deutlich kundgeben; wir haben kürzlich dargelegt, wie Duruy dieser Richtung
einen beredten Ausdruck verlieh und ihr alle Anerkennung widerfahren ließ.
Die Leole des Kantes Dtnaes ist freilich nur ein Anfang zum Besseren,
ein Versuch, der aber unserer Ueberzeugung nach Lebenskraft genug hat, um
die bisherigen mangelhaften Anstalten zu überflügeln und um dem neidi¬
schen Widerstande der Universität und der Deole normale siegreich zu be¬
gegnen; sie ist nicht nur eine Phantasie des reformsüchtigen Ministers, wie
sie ihre Feinde schelten. Das wird wohl schon die nächste Zukunft lehren.

Es würde uns zu weit führen, wollten wir genauer auf das Budget
des höheren Unterrichts, specieller der ?aoult6s ach lettres, eingehen. Doch
wird es belehrend sein, um darzulegen, wie stiefmütterlich sie behandelt sind,
einige Zahlen und wenige sich daran knüpfende Bemerkungen vorzubringen.
Vor Allem wird man staunen beim Ueberschlag der geringen Kosten, die
der ganze höhere Unterricht dem Staate verursacht; sie haben sich für die


volss, die hier unentgeltlich eine warme Stube finden, oder von einigen
Unterlehrern des städtischen Lyceums besucht werden. Diese machen denn
auch ihr eigentliches Publicum aus.

Die wesentliche Thätigkeit der ?g,ente6s des lettres als solche geht darin
auf. daß sie alljährlich ein Paar Tausende Baccalaureatsexamina bestehen
lassen — und Gott weiß wie mechanisch diese Fabrication en ^roh vor sich
geht! Trotzdem soll nicht geleugnet werden, daß sie in Handelsstädten, wie
z. B. Bordeaux, doch wenigstens die letzten Spuren von Interesse an geisti¬
gen Dingen erhalten und daß sie als letztes Bollwerk gegen gänzliche lite¬
rarische und wohl auch künstlerische Verdummung noch Werth behalten.

Damit wäre die Richtigkeit unserer vorhin aufgestellten Behauptung be¬
wiesen, wenigstens soweit die Universität in Betracht kommt. Mit den an¬
deren Anstalten werden wir noch leichter fertig. Auf der Leole ach Onartes
wird zwar recht Tüchtiges gelehrt und geleistet, aber nur mittelalterliche und
moderne Geschichte, nur romanische Philologie: das Alterthum bleibt fern.
Die Wahl der Vorlesungen steht außerdem dem Schüler nicht frei, sondern
er folgt denjenigen, die für seinen Jahrescursus vorgeschrieben sind. Die
Leole normale endlich ist, wie schon gesagt wurde, keine wissenschaftliche
Schule, sondern ein Lehrerseminar.

Eine andere, gewichtigere Frage würde sich allerdings hier aufwerfen
lassen. Findet sich denn überhaupt bei den Franzosen Lust, Neigung und
Befähigung zu philologisch-historischen Studien? Es wäre verkehrt, dies
a-priori leugnen zu wollen; derartige Schlüsse sind meistens gewagt und
werden oft von der Erfahrung widerlegt. Ja, in diesem Falle können
wir geradezu behaupten, daß die Erscheinungen der letzten Jahre ein
Streben nach dauernden wissenschaftlichen Leistungen aus besagtem Gebiete
deutlich kundgeben; wir haben kürzlich dargelegt, wie Duruy dieser Richtung
einen beredten Ausdruck verlieh und ihr alle Anerkennung widerfahren ließ.
Die Leole des Kantes Dtnaes ist freilich nur ein Anfang zum Besseren,
ein Versuch, der aber unserer Ueberzeugung nach Lebenskraft genug hat, um
die bisherigen mangelhaften Anstalten zu überflügeln und um dem neidi¬
schen Widerstande der Universität und der Deole normale siegreich zu be¬
gegnen; sie ist nicht nur eine Phantasie des reformsüchtigen Ministers, wie
sie ihre Feinde schelten. Das wird wohl schon die nächste Zukunft lehren.

Es würde uns zu weit führen, wollten wir genauer auf das Budget
des höheren Unterrichts, specieller der ?aoult6s ach lettres, eingehen. Doch
wird es belehrend sein, um darzulegen, wie stiefmütterlich sie behandelt sind,
einige Zahlen und wenige sich daran knüpfende Bemerkungen vorzubringen.
Vor Allem wird man staunen beim Ueberschlag der geringen Kosten, die
der ganze höhere Unterricht dem Staate verursacht; sie haben sich für die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/262>, abgerufen am 29.06.2024.